05.03.2018 -

Die Antwort auf diese Frage ist schwierig, die Grundkonstellation aber bekannt: Auch in Zeiten von Regelleistungsvolumina (RLV) und Budgets dürfen die Praxen von Berufsanfängern in den ersten Jahren wachsen. Bis in welche Höhe Wachstum erlaubt ist, gibt der jeweilige Fachgruppendurchschnitt vor. Komplizierter wird es, wenn Ärzte, die bereits seit geraumer Zeit tätig sind, in eine BAG oder ein MVZ einsteigen. Entsteht in einem solchen Fall wieder eine „Anfängerpraxis“ mit entsprechenden Wachstumsmöglichkeiten? Über zwei Konstellationen dieser Art hat das Bundessozialgericht (BSG) am 24.01.2018 entschieden.


Im MVZ führt der Einstieg eines langjährig niedergelassenen Arztes aus demselben Planungsgebiet nicht zu einem MVZ mit Anfängerstatus.

Fall 1: Anfängerstatus im MVZ eines langjährig im selben Planungsgebiet zuvor tätigen Arztes

Im ersten Fall ging es um ein 2007 gegründetes MVZ aus Bayern. Im Quartal II/09, in dem unterdurchschnittliche Fallzahlen im RLV abgerechnet wurden, war dort u.a. Dr. T. als angestellter Arzt und ärztlicher Leiter tätig. Er war zuvor seit 1986 im selben Planungsbereich wie das MVZ zugelassen. Im Juli 2009 beantragte er für das MVZ eine Anpassung des RLV durch Übernahme der RLV-relevanten Fallzahl seiner früheren Praxis unter dem Gesichtspunkt einer Anfängerpraxis. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) lehnte dies ab, da die Erstniederlassung von Dr. T. länger als fünf Jahre zurücklag. Auf den zunächst erfolglosen Widerspruch des MVZ gab das Sozialgericht im Klageverfahren dem MVZ Recht: Die Regelung für Aufbaupraxen, die noch keine 20 Quartale zugelassen seien, finde auch auf MVZ Anwendung, so das Gericht. Dabei sei auf die Zulassung des MVZ, und nicht auf die Vortätigkeit eines angestellten Arztes abzustellen. Die Berufung der KV blieb vor dem Landessozialgericht erfolglos.

Die Revision der KV beim BSG (Az. B 6 KA 23/16 R) war erfolgreich: Für eine Anknüpfung an die Fallzahlen der vormaligen Einzelpraxis von Dr. T. bestehe keine Rechtsgrundlage, weshalb eine RLV-Anpassung des MVZ ausscheide. Nach der Honorarverteilungsvereinbarung der KV ist zwar eine Praxis in den ersten 20 Quartalen ab der Zulassung als Anfängerpraxis anzusehen. Das 2007 gegründete MVZ befand sich im 2009 also noch in der Anfangsphase. Das zuzuweisende RLV des MVZ ergibt sich jedoch aus der Addition des RLV der einzelnen Ärzte. Ohne den arztbezogenen Anfängerstatus könne sich kein solcher für das MVZ ergeben. Da Dr. T schon 1986 erstmalig zugelassen wurde, war für ihn der 5-Jahres-Zeitraum überschritten und damit keine RLV-Anpassung gerechtfertigt. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Praktikabilität der Honorarverteilung sei auf die vorherige Tätigkeit im Planungsbereich abzustellen, so das BSG.

Fall 2: Anfänger-BAG darf gegenüber Alt-BAG ohne Aufbaustatus nicht schlechter dastehen

In einer zweiten Entscheidung des BSG (Urteil vom 24.01.2017, Az. B 6 KA 2/17 R) ging es um eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) aus Schleswig-Holstein. In diesem Verfahren bestand Streit darüber, wie das RLV bei einer BAG festzusetzen ist, der ein Vertragsarzt in der Anfangsphase angehört.

Die BAG wurde 2006 durch die Internisten G. und die erstmals zugelassene Dr. S. gegründet. Die KV teilte der BAG für das Quartal II/09 eine „Gesamt-Obergrenze der Praxis“ als Euro-Betrag im RLV-Festsetzungsbescheid mit. Die KV war der Meinung, dass sich die Obergrenze für Wachstumsärzte auf einen vollzeitbeschäftigten Arzt beziehe und sich die individuelle Obergrenze für die Honorarabrechnung II/09 nach der in diesem Quartal tatsächlich abgerechneten Fallzahl bemesse. Die BAG forderte eine höhere Vergütung für dem RLV unterfallende Leistungen an, die jedoch von der KV zwar teils zu 100 %, teils aber abgestaffelt mit der vorgenannten Begründung vergütet wurden.

Auf die Widersprüche der BAG gegen beide Bescheide änderte die KV den Honorarbescheid. Sie teilte die RLV-relevante Fallzahl nicht mehr hälftig, sondern entsprechend dem Anteil an den im Quartal erstmals arztindividuell abgerechneten Versichertenpauschalen auf. Das ergab für G. zwar eine höhere Fallzahl und ein entsprechend höheres RLV, die Obergrenze für die erstmalig zugelassene Dr. S. blieb jedoch gleich. Trotz der sich ergebenden Nachzahlung klagte die BAG gegen die im Übrigen zurückgewiesenen Widersprüche.

Das SG hat die KV zur erneuten Bescheidung verurteilt. Auf deren Berufung hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Vorgehensweise der KV entspreche den im Honorarverteilungsvertrag vereinbarten Sonderregelungen für Ärzte in der Wachstumsphase. Das RLV sei arztbezogen und nicht praxisbezogen zu ermitteln, so das LSG. Die BAG legte mit der Begründung beim BSG Revision ein, dass ein praxisbezogenes RLV ermittelt werden müsste. Schließlich müsste gleichsam dann die BAG unter einem Wachstumsschutz stehen.


Eine Anfänger-BAG dürfe gegenüber einer Alt-BAG ohne Aufbaustatus nicht schlechter dastehen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in einem aktuellen Fall.

Die Revision der BAG war erfolgreich: Der Bescheid über die Mitteilung des RLV für das Quartal II/09 war ebenso wie der Honorarbescheid rechtswidrig, weil der BAG kein praxisbezogenes RLV zugewiesen wurde, sondern für eines ihrer Mitglieder lediglich eine von den tatsächlich erreichten Fallzahlen abhängige Obergrenze. Diese Vorgehensweise stand nicht in Einklang mit höherrangigem Recht. Die (damals gültigen) vertragsarztrechtlichen Bestimmungen erforderten nicht nur eine arztpraxis¬bezogene Honorarabrechnung, sondern bereits eine arztpraxisbezogene Zuweisung des RLV. „Nur eine solche Zuweisung gewährleistet, dass die Leistungserbringung durch die Mitglieder der BAG im Rahmen der durch das RLV gesetzten Grenzen flexibel gestaltet werden kann. Eine BAG, die sich selbst noch in der Aufbauphase befinde, dürfe – wenn dies auch bei einem ihrer Mitglieder der Fall ist – nicht in typischen Konstellationen schlechter gestellt werden als eine BAG ohne Anfängerstatus“, so das BSG wörtlich.

Fazit:

Im MVZ führt der Einstieg eines langjährig niedergelassenen Arztes aus demselben Planungsgebiet nicht zu einem MVZ mit Anfängerstatus. Ein Hochziehen des MVZ mit zugekauften (Alt-)Praxissitzen ist somit nicht möglich. Interessant wäre eine Kombination mit einer jungen Arztpraxis innerhalb der Anfängerphase mit einem jungen MVZ. Ob sich hierbei ein der BAG-Rechtsprechung ähnliches Ergebnis erzielen ließe, lässt sich regelmäßig aber wohl nur im Einzelfall klären.

In der BAG hingegen kann sich die Neugründung zwischen einem langjährig niedergelassenen Arzt und einem frisch in die Niederlassung startenden Arzt durchaus lohnen. Innerhalb der BAG ist das RLV weiterhin flexibel. Das RLV ist der ganzen BAG (also nicht dem einzelnen Arzt) zuzuweisen, die als solche dann dem „Wachstumsschutz“ unterliegt. Die Neugründung einer BAG kann ein Modell des „schleichenden Ausstiegs“ des Alt-Arztes sein, soweit die notwendige Zulassung des designierten „Jung-Arztes“ erreicht wurde.

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