03.04.2018 -

In vielen deutschen Betrieben werden aktuell Betriebsratswahlen durchgeführt. Ein gewählter Betriebsrat ist für vier Jahre im Amt. Die Wahl kann aber auch angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wird, § 19 BetrVG. Wir möchten daher einen aktuellen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts besprechen, der sich mit der Wahlanfechtung einer Betriebsratswahl befasst (BAG v. 2.8.2017, 7 ABR 42/15).


Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil über die Wirksamkeit einer Betriebswahl entschieden. 

Der Fall:

Die Beteiligten des Beschlussverfahrens streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. In einer Klinik zur Akutversorgung und anschließender medizinischer und beruflicher Rehabilitation von Patienten in den Fachrichtungen Orthopädie und Neurologie fanden am 26. / 27. März 2014 Betriebsratswahlen statt. Die Klinik arbeitete eng mit der Universitätsklinik U. zusammen. So werden die Chefärzte der Abteilungen Neurologie und Orthopädie sowohl von der Arbeitgeberin als auch der Universitätsklinik beschäftigt. Diese Chefärzte teilen bei der Universitätsklinik angestellte Ärzte teilweise auch in Dienstplänen bei der Arbeitgeberin ein.

Das fristgerecht erlassene Wahlausschreiben wurde von dem Wahlvorstand auch im Intranet veröffentlicht.

Nach dem 28. Januar 2014 nahm der Wahlvorstand Ergänzungen in der Wählerliste vor, ohne die im Intranet veröffentlichte Fassung entsprechend zu ändern. Auf den ausgehängten Wählerlisten waren am Wahltag daher 17 Personen mehr enthalten als auf der im Intranet veröffentlichten Wählerliste.

Zur Wahl wurden zwei Vorschlagslisten zugelassen. Von den abgegebenen Stimmen entfielen 228 Stimmen auf die Liste 1 und 220 Stimmen auf die Liste 2.

Vier Arbeitnehmer haben die Betriebsratswahl fristgerecht angefochten. Während des Wahlverfahrens hatten sie aber keinen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste beim Wahlvorstand eingelegt. Sie haben geltend gemacht, der Wahlvorstand habe in die Wählerliste Mitarbeiter der Universitätsklinik aufgenommen, die nicht wahlberechtigt seien. Nach Ablauf der Anfechtungsfrist haben sie weitere Wahlfehler gerügt. Sie haben u.a. die Auffassung vertreten, die Unwirksamkeit der Wahl folge daraus, dass die im Intranet veröffentlichte Wählerliste nicht mit dem in einem Schaukasten ausgehängten Abdruck der Wählerliste übereingestimmt habe. In der Liste der weiblichen Beschäftigten im Intranet seien 585 Beschäftigte, im Aushang zuletzt 602 Beschäftigte aufgeführt gewesen, also 17 Personen mehr.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, innerhalb der Anfechtungsfrist seien nur Fehler der Wählerliste gerügt worden. Dies hätte jedoch einen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste während des Wahlverfahrens erfordert, der unstreitig unterblieben sei. Die spätere Geltendmachung anderer Verstöße gegen Wahlvorschriften sei ausgeschlossen.

Das Arbeitsgericht hat die Wahl für unwirksam erklärt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt und die Wahl für unwirksam erklärt.


Ein Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste während des Wahlverfahrens stellt laut Bundesarbeitsgericht keine formelle Voraussetzung für die Anfechtungsberechtigung dar.

I. Formelle Voraussetzungen einer Wahlanfechtung

Zur Anfechtung berechtigt sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG mindestens drei Wahlberechtigte. Diese Voraussetzung war hier erfüllt. Ferner muss die Wahlanfechtung binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, eingereicht werden, § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Auch dieses Erfordernis war gegeben.

Die Anfechtungsberechtigten müssen innerhalb der Anfechtungsfrist einen Sachverhalt darlegen, der Anlass zu der Annahme geben kann, es sei bei der Wahl gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts verstoßen worden. Es muss ein betriebsverfassungsrechtlich erheblicher Grund vorgetragen werden, der möglicherweise die Anfechtung rechtfertigt. Hier wurde ein Verstoß gegen die Wahlberechtigung und damit eine Verletzung des § 7 BetrVG gerügt.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass ein Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste während des Wahlverfahrens keine formelle Voraussetzung für die Anfechtungsberechtigung ist. Sinn und Zweck des Einspruchsrechts besteht darin, eine möglichst zeitnahe und abschließende Klärung von Beanstandungen der Wählerliste noch während des Wahlverfahrens zu erreichen. Die Regelung soll damit eine Anfechtung der Wahl vermeiden, sie aber nicht ausschließen.

II. Materielle Anfechtungsvoraussetzungen

Das Bundesarbeitsgericht hat einen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften bejaht. Der Wahlvorstand hat gegen § 2 Abs. 4 WO verstoßen, indem er die Wählerliste nachträglich um 17 Personen ergänzt hat, ohne die im Intranet veröffentlichte Fassung der Liste entsprechend zu ändern. Werden Änderungen vorgenommen, sind diese in gleicher Weise bekanntzumachen wie die ursprüngliche Wählerliste. Der Wahlvorstand ist zwar nicht dazu verpflichtet, die Wählerliste auch in elektronischer Form zu veröffentlichen. Macht er aber von der durch § 2 Abs. 4 Satz 3 WO eröffneten Möglichkeit einer ergänzenden Bekanntmachung der Wählerliste mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik Gebrauch, so muss er auch im Verlauf des Wahlverfahrens vorgenommene Änderungen der Wählerliste auf entsprechendem Wege bekannt machen. Arbeitnehmer, die sich über ihre Wahlberechtigung informieren wollen, müssen nicht mit Abweichungen zwischen den im Betrieb ausgelegten und den im Intranet veröffentlichten Wählerlisten rechnen. Eröffnet der Wahlvorstand mehrere Informationsquellen, hat er dafür Sorge zu tragen, dass diese durchgehend übereinstimmen.

III. Auswirkung auf die Wahl

Ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften berechtigt dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre.

Im konkreten Fall wies das Wahlergebnis eine Stimmendifferenz von acht Stimmen zwischen den beiden Vorschlagslisten aus. 17 Personen waren aber im Intranet nicht auf der Wählerliste aktualisiert worden. Der Betriebsrat hatte im Verfahren vorgetragen, nach seiner Kenntnis hätten von diesen 17 Personen vier gewählt, sieben weitere hätten von ihrem Wahlrecht Kenntnis gehabt, zwei weitere hätten keinen Einblick in die Wählerliste genommen und hinsichtlich vier weiterer Personen habe eine Erklärung nicht erfolgen können. Selbst wenn man das als zutreffend unterstellt, kann bei 13 Personen nicht ausgeschlossen werden, dass sie durch die Nichtaufnahme in die im Intranet veröffentlichte Wählerliste von der Wahrnehmung ihres Wahlrechts abgehalten wurden. Dies reicht für eine Wahlanfechtung aus. Ohnehin sind nachträgliche Recherchen über das Wahlverhalten einzelner Wahlberechtigter unzulässig und verletzen den durch § 14 Abs. 1 BetrVG gewährleisteten Grundsatz der geheimen Wahl.

Fazit:

Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts enthält wichtige Hinweise, unter welchen Voraussetzungen eine Wahlanfechtung zulässig ist. So ist der Einspruch gegen eine Wählerliste keine Voraussetzung dafür, in einem späteren Wahlanfechtungsverfahren die Aufnahme nicht Wahlberechtigter in der Wählerliste rügen zu können. Ferner muss der Wahlvorstand Änderungen der Wählerliste in gleicher Weise bekannt machen wie die ursprüngliche Wählerliste. Wird innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist ein Sachverhalt dargelegt, der eine Anfechtung rechtfertigen kann, sind auch alle später nachgeschobenen Gründe zu prüfen, die die Anfechtbarkeit der Wahl begründen können. Ausgeschlossen ist eine nachträgliche Aufklärung dazu, ob wahlberechtigte Arbeitnehmer in Kenntnis oder Unkenntnis ihres Wahlrechts oder aus anderen Gründen nicht an der Wahl teilgenommen haben.

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