25.04.2018 -

Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist nach § 85 SGB IX ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. Probleme treten dann auf, wenn dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderten-Eeigenschaft (noch) nicht bekannt ist. Dann obliegt es dem Arbeitnehmer, seine Schwerbehinderten-Eigenschaft nachzuweisen und mitzuteilen. Gesetzliche Fristen existieren dazu nicht. Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung dazu in einer aktuellen Entscheidung weiter präzisiert (BAG v. 22.9.2016, 2 AZR 700/15 ).


Liegt dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt einer Kündigung keine Information über eine Schwerbehinderten-Eigenschaft vor, muss der Arbeitnehmer diese innerhalb einer angemessenen Frist nachweisen und mitteilen. 

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber als Leiter Revision bereits seit April 1996 beschäftigt. Unter dem 3. September 2013 wurde er rückwirkend zum 28. Juni 2013 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.

Im Verlauf des Jahres 2013 verdächtigte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, vertrauliche Informationen an Dritte weitergegeben zu haben. Ferner ergab sich, dass der Kläger während der Arbeitszeit das Internet und E-Mail-System zu privaten Zwecken benutzt hatte.

Der Arbeitgeber kündigte nach Anhörung des Betriebsrates das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. August 2013 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 29. August 2013 mit, dass er aufgrund einer ernsthaften Erkrankung nicht in der Lage sei, sich mit den Vorgängen zu befassen. Zugleich wies er darauf hin, dass er einen Feststellungsantrag nach § 69 SGB IX gestellt habe (Feststellung der Behinderung). Das Schreiben ging dem Arbeitgeber spätestens am 6. September 2013 zu.

Es folgten dann noch eine fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 13. August sei bereits mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. Der Arbeitgeber hat dazu vorgetragen, er habe keine Kenntnis von der Schwerbehinderung gehabt und sie sei ihm auch nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung vom 13. August als rechtsunwirksam angesehen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat sich das Bundesarbeitsgericht der Entscheidung der Vorinstanzen angeschlossen.

I. Zustimmungserfordernis nach SGB IX

Die Kündigung bedurfte gem. §§ 85, 91 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Diese lag bei Zugang nicht vor. Die Kündigung verstieß damit gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 70 anerkannt. Er hatte auch mehr als drei Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt, so dass der Sonderkündigungsschutz hier auch nicht ausnahmsweise nach § 90 Abs. 2 a SGB IX ausgeschlossen war.


Ein Berufen auf den Sonderkündigungsschutz innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung gilt als angemessen, wird aber nicht als starre Frist bewertet. 

II. Verwirkung

Der Arbeitgeber hatte von der Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt des Zugangs keine Kenntnis. Dennoch steht einem Arbeitnehmer der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu, wenn der Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung rechtzeitig über die Schwerbehinderung informiert wird. Dieses Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, unterliegt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Verwirkung (§ 242 BGB). Der Arbeitnehmer muss sich innerhalb einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderten-Eigenschaft berufen.

Das Bundesarbeitsgericht stellt dazu erneut klar, dass die Frist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht analog anzuwenden ist. Der Gesetzgeber hat eine entsprechende Regelung für die Mitteilung der Schwerbehinderten-Eigenschaft nicht erlassen. Die 2-Wochen-Frist aus dem Mutterschutzgesetz greift daher nicht für Schwerbehinderte.

Das Bundesarbeitsgericht orientiert sich vielmehr an der 3-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG. Binnen dieser Frist muss der Arbeitnehmer entscheiden, ob er gegen die Kündigung vorgehen will. Dieser Zeitraum steht ihm deshalb grundsätzlich auch für die Entscheidung zur Verfügung, ob er sich auf eine dem Arbeitgeber noch nicht bekannte Schwerbehinderten-Eigenschaft berufen möchte. Es handelt sich aber nicht um eine starre Frist. Vielmehr ist die Zeitspanne hinzuzurechnen, innerhalb derer der Arbeitnehmer den Zugang der Mitteilung über den bestehenden Sonderkündigungsschutz beim Arbeitgeber zu bewirken hat. Ein Berufen auf den Sonderkündigungsschutz innerhalb dieses Zeitraums ist regelmäßig nicht als illoyal verspätet anzusehen. Hierbei darf es dem Arbeitnehmer nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er etwa zu Beweiszwecken eine schriftliche Information wählt. Damit handelt es sich nicht um eine starre Grenze von drei Wochen.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht hat sich auch in dieser Entscheidung nicht abschließend festgelegt, welche Zeitspanne noch als angemessen anzusehen ist. Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber die Mitteilung des Klägers über seine Antragstellung am 6. September 2013, und damit am 22. Tag nach dem Zugang der Kündigung vom 13. August 2013 erhalten. Damit hatte der Arbeitgeber bereits am Tag nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG von dem Sonderkündigungsschutz Kenntnis. Das reichte nach dem Bundesarbeitsgericht für die fristwahrende Information aus.

Fazit:

Die Schwerbehinderten-Eigenschaft bzw. der Sonderkündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB IX muss einem Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis nicht aktiv mitgeteilt werden. Dazu besteht keine Pflicht. Kommt es allerdings zu einem Kündigungsausspruch, obliegt es dem Arbeitnehmer, sich auf den bestehenden Sonderkündigungsschutz innerhalb von drei Wochen zu berufen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine starre Frist. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sollten genau auf die Einhaltung von Fristen achten, um Rechtsnachteile zu vermeiden.

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