07.07.2004 -

Wir hatten den neuen Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG bereits vorgestellt. Der Abfindungsanspruch wirft aber nicht nur arbeitsrechtliche Probleme auf. Für die Praxis sind auch die arbeitsförderungsrechtlichen Bestimmungen von herausragender Bedeutung. Würde nämlich bei einem Vorgehen nach § 1 a KSchG bspw. eine Sperrzeit nach § 144 SGB III verhängt, wäre die Vorschrift wenig praxistauglich. Bedeutung erlangt der neue Abfindungsanspruch auch im Zusammenhang mit der Erstattungspflicht des Arbeitgebers sowie der Anrechnung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld nach §§ 143 a, 147 a SGB III.

 

1. Sperrzeit

 

a) Grundsätze

 

Eine Sperrzeit wird immer dann verhängt, wenn der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe).

 

Beispiel:

 

Arbeitgeber und Arbeitnehmer verständigen sich einvernehmlich auf eine Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. In diesem Fall wird regelmäßig eine Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Ziffer 1 SGB III verhängt, denn der Arbeitnehmer hat mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses herbeigeführt.

 

b) Hinnahme einer Arbeitgeberkündigung

 

Für die bloße Hinnahme einer Arbeitgeberkündigung gilt grundsätzlich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts etwas anderes. Das Unterlassen einer Klageerhebung gegen eine Kündigung des Arbeitgebers stellt keine Lösung im Sinne des § 144 Abs. 1 Ziffer 1 SGB III dar. Die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe knüpft also an ein aktives Verhalten des Versicherten, nicht an die bloße Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung an.

 

Beispiel:

 

Der Arbeitgeber kündigt dem Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum nächst möglichen Termin. Tatsächlich liegen jedoch betriebsbedingte Gründe nicht vor. Der Arbeitnehmer entschließt sich, gegen die Kündigung keine Kündigungsschutzklage einzureichen. Eine Sperrzeit wird in diesem Fall nicht verhängt, denn ein aktives Verhalten des Versicherten liegt gerade nicht vor; vielmehr hat er lediglich die nicht offensichtlich rechtswidrige Kündigung hingenommen.

 

c) Verschärfte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts

 

Das Bundessozialgericht hat nun diese Grundsätze in seiner neuesten Rechtsprechung allerdings weiter verschärft. Danach sind Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nach Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung getroffen werden und die Kündigung absichern sollen, als Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zu behandeln.

 

Wichtig: Der zuständige 11. Senat hält es dabei nicht für ausschlaggebend, ob eine Abstimmung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor oder kurz nach Ausspruch der Kündigung getroffen wird. In beiden Fällen treffe den Arbeitnehmer eine wesentliche Verantwortung für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.

 

Es werden jedoch nicht alle Vereinbarungen, die nach Ausspruch einer Kündigung getroffen werden, nunmehr als Lösung des Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III angesehen. Als Ausnahmen nennt das BSG Vereinbarungen nach Ablauf der 3-wöchigen Klagefrist des § 4 KSchG oder aber Vergleiche in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren. Die Möglichkeiten, eine Sperrzeit zu vermeiden, sind durch dieses Urteil weiter eingeschränkt worden.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Die Möglichkeiten, über so genannte Abwicklungsverträge eine Sperrzeit zu vermeiden, sind damit erheblich eingeschränkt worden. Kommt es nämlich nach der neuesten Rechtsprechung nicht mehr darauf an, ob die Absprachen erst kurz nach Ausspruch der Kündigung getroffen wurden, fallen auch die echten Abwicklungsverträge, also solche, die erst nach Ausspruch der Kündigung zu Stande kommen, nunmehr unter den Sperrzeittatbestand. Wir können uns dieser Rechtsprechung nicht anschließen, denn sie ist nicht damit in Einklang zu bringen, dass die Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung grundsätzlich keine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses darstellt. Dennoch wird sich die Praxis hierauf einstellen und Arbeitnehmer im Rahmen von Beendigungsvereinbarungen entsprechend aufklären müssen.

 

d) Ausweg: Vorgehen nach § 1 a KSchG!

 

Zum 1. Januar 2004 wurde das Kündigungsschutzgesetz um einen neuen § 1 a KSchG ergänzt. Mit dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung dem Arbeitnehmer für den Fall, dass er keine Kündigungsschutzklage erhebt, eine Abfindung zuzusagen. Mit der Vorschrift sollen die im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren ohnehin üblichen Abfindungssätze bereits außergerichtlich zugesagt werden, um die Arbeitsgerichte zu entlasten.

 

In der Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen und den erforderlichen Hinweisen des Arbeitgebers nach § 1 a KSchG liegt noch keine Absprache zwischen den Parteien über eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses. Erhebt daher der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage, erfüllt dies grundsätzlich nicht den Sperrzeittatbestand. Die Tatsache, dass er darüber hinaus einen gesetzlichen Abfindungsanspruch erwirbt, ändert daran nichts.

 

Dies steht auch in Einklang mit der erwähnten Gesetzesbegründung zu § 1 a KSchG, wonach die Arbeitsgerichtsbarkeit durch die außergerichtliche Streitbeilegung entlastet werden soll. Würde man in diesen Fällen dennoch eine Sperrzeit bejahen, würde die Vorschrift letztlich zum sozialrechtlichen Bummerrang. Mit einer Akzeptanz in der betrieblichen Praxis wäre keinesfalls zu rechnen.

 

Diese Grundsätze lassen sich allerdings mit der oben zitierten neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht harmonisieren. Erfreulich ist daher, dass in der neuesten Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit das Vorgehen nach § 1 a KSchG grundsätzlich für zulässig erklärt wird.

 

e) Neue Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit

 

In den aktualisierten Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 144 SGB III wurde zu 2.2.1 (Rechtmäßige Kündigung 144.13) Folgendes ergänzt:

 

               „Ebenfalls liegt kein Sperrzeittatbestand vor, wie die nicht offensichtlich rechtswidrige arbeitgeberseitige Kündigung auf betriebsbedingte Gründe gestützt wird und eine Abfindung gem. § 1 a KSchG gezahlt wird.“

 

Unter den Ausführungen zu 11.1 wird dann im Rahmen der Sachverhaltsfeststellungen der Arbeitsverwaltung ausgeführt:

 

               „Auch wenn eine Abfindung gem. § 1 a KSchG gezahlt wird und als Begründung für die rechtmäßige arbeitgeberseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses betriebsbedingte Gründe angegeben werden, sind in i.d.R. keine weiteren Feststellungen zum Sachverhalt erforderlich.“

 

Hinweis für die Praxis:

 

Die Arbeitsverwaltung hat mit diesen neuen Hinweisen ein Vorgehen nach § 1 a KSchG grundsätzlich für sperrzeitunschädlich erklärt. Dabei muss sich die Sperrzeit nicht zwingend an den in § 1 a Abs. 2 KSchG vorgegebenen Rahmen von einem halben Bruttomonatsgehalt je Jahr der Betriebszugehörigkeit orientieren. Unsere Nachfragen bei der Agentur für Arbeit in Bonn haben vielmehr ergeben, dass auch höhere Abfindungen nicht als sperrzeitschädlich angesehen werden, solange der Weg über § 1 a KSchG gewählt wird.

 

Kommt es hingegen zu einer rein vertraglichen Zusage des Arbeitgebers, die also den Anforderungen des § 1 a KSchG nicht genügt (bspw. über einen Abwicklungsvertrag), hängt die arbeitsförderungsrechtliche Beurteilung davon ab, ob zwischen den Parteien noch vor Ausspruch der Kündigung Absprachen getroffen wurden, die eine einvernehmliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zum Gegenstand hatten. War dies der Fall, müssen entsprechende Absprachen im Rahmen von § 144 SGB III berücksichtigt werden.

 

2. Abfindungsanspruch und Erstattungspflicht für ältere Arbeitnehmer

 

Anders stellt sich hingegen die Rechtslage bei der Erstattungspflicht für ältere Arbeitnehmer nach § 147 a SGB III dar. Hier ist die Rechtsprechung des BSG deutlich strenger. Ein Aufhebungsvertrag schließt die Erstattungspflicht nicht aus. Maßgeblich ist nach § 147 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB III allein, dass eine sozial gerechtfertigte Kündigung ausgesprochen wurde. Für die Beurteilung dieser Frage sind allerdings die Arbeitsagenturen nicht an etwaige vertragliche Vereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien gebunden. Selbst die Vorschrift des § 7 KSchG findet keine Anwendung. Erhebt also der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage bzw. lässt er die Klagefrist verstreichen, was nach § 7 KSchG die Wirksamkeit der Kündigung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes fingiert, sind die Agenturen für Arbeit dennoch berechtigt, die soziale Rechtfertigung selbständig zu prüfen. Eine Bindung besteht lediglich an eine rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung.

 

Die Arbeitsverwaltung kann daher im Einzelfall nachprüfen, ob tatsächlich ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung vorlag. Bei älteren Arbeitnehmern besteht damit für den Arbeitgeber die erhebliche Gefahr, dass mit dem Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer und der damit eintretenden Wirkung des § 7 KSchG die Erstattungspflicht dennoch eintreten kann, sofern nicht sämtliche Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung für die Arbeitsverwaltung tatsächlich nachprüfbar vorliegen. War also die Kündigung betrieblich motiviert, wurde aber keine oder keine zutreffende Sozialauswahl vorgenommen, ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt und eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers nach § 147 a SGB III besteht.

 

An verschiedener Stelle ist deshalb bereits empfohlen worden, durch eine entsprechende Regelung in § 147 a SGB III klarzustellen, dass die Inanspruchnahme des gesetzlichen Abfindungsanspruchs eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers ausschließt. Geplant ist dies aktuell jedoch nicht. Die Änderungen der in § 147 a SGB III geregelten Erstattungspflicht sehen allein Verschärfungen der Altersgrenzen und der Erstattungsdauer vor; die Ausnahmetatbestände des § 147 a Abs. 1 SGB III bleiben hingegen unberührt.

 

3. Abfindungsanspruch und Anrechnung der Abfindung auf das Arbeitslosengeld nach § 143 a SGB III

 

Hinsichtlich die Anrechung von Abfindungen auf das Arbeitslosengeld können für den gesetzlichen Abfindungsanspruch nach § 1 a KSchG auf die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze für Zahlung sonstiger Abfindungen zurückgegriffen werden. Eine Anrechnung findet demnach nur statt, wenn das Beschäftigungsverhältnis vorzeitig beendet wurde: Entscheidend ist also, ob der Arbeitgeber die geltende Kündigungsfrist eingehalten hat. Dabei ist auf die objektiv nach Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag geltende Frist abzustellen und zwar unabhängig davon, ob die Parteien irrtümlich von einer kürzeren Frist ausgegangen sind. Wird also die Kündigungsfrist verkürzt, wird die Abfindung nach § 143 a SGB III auf das Arbeitslosengeld angerechnet.

  

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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