01.08.2018 -

Bei dauerhafter Leistungsunfähigkeit kann nach der Rechtsprechung ausnahmsweise auch einem tariflich Unkündbaren gekündigt werden. An die Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist allerdings ein sehr strenger Maßstab anzulegen, so dass nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer für den Arbeitgeber unzumutbar sein kann. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat in einer aktuellen Entscheidung diese Grundsätze erneut bestätigt (LAG Rheinland-Pfalz v. 11.7.2017, 8 Sa 23/17). Gerne stellen wir die wichtigsten Grundsätze für die Praxis aufbereitet dar.


Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat in einer aktuellen Entscheidung erneut bestätigt, dass bei dauerhafter Leistungsunfähigkeit ausnahmsweise auch einem tariflich Unkündbaren gekündigt werden kann. 

Der Fall:

Der Mitarbeiter ist bei dem Landesbetrieb Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz als Straßenwärter seit 1982 beschäftigt. Nach dem einschlägigen Tarifvertrag ist er unkündbar. Zudem ist er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Das beklagte Land kündigte bereits in zwei Fällen außerordentlich mit sozialer Auslauffrist aus krankheitsbedingten Gründen. In beiden Verfahren obsiegte der Kläger und wurde im Anschluss weiterbeschäftigt.

Zuletzt war er mehrere Monate überwiegend arbeitsunfähig erkrankt. Das beklagte Land beauftragte den Betriebsarzt, den Kläger zu untersuchen. Dieser empfahl, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Das Gutachten bestätigte deutliche Zweifel an der Eignung des Klägers für die Tätigkeit als Straßenwärter. Allerdings könne ein erfolgreicher Einsatz an einem anderen Arbeitsplatz mit einem geringeren Gefahrenpotential denkbar sein.

Der Arbeitgeber richtete im Anschluss an das Ministerium des Inneren für Sport und Infrastruktur eine Anfrage zur Prüfung einer Verwendungsmöglichkeit des Klägers bei den Behörden und Einrichtungen des Landes Rheinland-Pfalz zur Vermeidung einer personenbedingten Kündigung unter Bezugnahme auf die tarifliche Unkündbarkeit des Klägers.

Die Abfrage ergab, dass allein an einer Hochschule eine Stelle, die u.a. die Hörsaalpflege, die Außenbereichspflege und Schreinerarbeiten beinhalte, zu besetzen sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte dann mit, dass sein Mandant die angebotene Stelle in der Hochschule nicht in Erwägung ziehen könne. Die Hochschule sei 100 km von dem Wohnort des Klägers entfernt. Es fehle im Übrigen auch an jedweder Mitteilung der konkreten Stelle und deren Dotierung

Der Arbeitgeber leitete daraufhin das Kündigungsverfahren ein. Das Arbeitsverhältnis wurde, nach Zustimmung des Integrationsamtes, außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalenderjahres gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Unkündbarkeit und fehlende Leistungsfähigkeit

Ausnahmsweise kann auch unkündbaren Mitarbeitern personenbedingt gekündigt werden. Dazu ist ein wichtiger Grund erforderlich. Ein wichtiger Grund kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Umständen, die in seiner Sphäre liegen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung auf unabsehbare Dauer nicht mehr in der Lage ist. Darin liegt regelmäßig eine schwere und dauerhafte Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses, der der Arbeitgeber, wenn keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, mit einer außerordentlichen Kündigung begegnen kann.

Liegt eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit vor, kann dies den Arbeitgeber bei tariflichem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit des Arbeitnehmers jedenfalls zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigung entsprechenden Auslauffrist berechtigen.

Aber: An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist allerdings schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen, so dass nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer für den Arbeitgeber bei bestehender Unkündbarkeit unzumutbar sein kann

II. Vorrang der Änderungskündigung

Im vorliegenden Fall war der Arbeitgeber das beklagte Land Rheinland-Pfalz. In diesem Sinne war es Sache des Arbeitgebers anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten aufzuzeigen und vor Ausspruch einer Kündigung zu prüfen. Der Arbeitgeber muss alles Zumutbare unternommen haben, um eine außerordentliche Kündigung abzuwenden. Dazu gehören auch Prüf- und Sondierungspflichten des Arbeitgebers zu einer möglichen Weiterbeschäftigung. Diese erstrecken sich dabei auf sämtliche Geschäftsbereiche des betreffenden öffentlichen Arbeitgebers – und zwar im Rahmen seines gesamten territorialen Einflussbereichs.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Arbeitgeber entsprechend dem schriftlichen Arbeitsvertrag und der sodann ausgesprochenen Kündigung nicht etwa der Landesbetrieb für Mobilität, sondern das beklagte Land Rheinland-Pfalz selbst ist. Das Land hatte zwar das Innenministerium beauftragt, freie Arbeitsplätze bzw. andere Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. Das Landesarbeitsgericht hat dazu aber klargestellt, dass eine einfache Anfrage in dieser Form nicht ausreicht, um der Prüfpflicht zu genügen.

Im Übrigen bestand auch nach dem Inhalt der Abfrage eine Beschäftigungsmöglichkeit, nämlich bei der Hochschule. Vor Ausspruch einer außerordentlichen Beendigungskündigung hätte deshalb als milderes Mittel vorrangig eine Änderungskündigung ausgesprochen werden müssen. Zwar hatte der Arbeitnehmer die Beschäftigung an der Hochschule abgelehnt. Das beklagte Land hat aber dem Kläger kein ausreichendes Angebot unterbreitet. Der Inhalt der Änderungen muss klar bestimmt sein, also erkennen lassen, welche Arbeitsbedingungen in welcher Weise geändert werden sollen, so dass es dem Arbeitnehmer möglich ist, das Angebot mit einem einfachen „ja“ anzunehmen.

In dem Schreiben an den Kläger waren die dazu notwendigen Angaben aber gerade nicht enthalten. Dort wurde lediglich darauf verwiesen, dass es bei der Hochschule eine Stelle zu besetzen gibt, die u.a. Hörsaalpflege, Außenbereichspflege und Schreinerarbeiten beinhaltet, weitere Einzelheiten insbesondere die Angabe der Eingruppierung bzw. der Entgelthöhe sowie des Zeitpunktes fehlten völlig.

Hinweis für die Praxis:

Sind bei einem unkündbaren Mitarbeiter, der wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung seine bisherige vereinbarte Tätigkeit nicht mehr erbringen kann, andere Einsatzmöglichkeiten denkbar, müssen diese vorrangig angeboten werden. Dabei reicht es nicht aus, den Mitarbeiter pauschal auf diese Einsatzmöglichkeiten zu verweisen. Lehnt er diese ab, kann sich der Arbeitgeber später nicht auf die Ablehnung berufen. Er muss vielmehr formal eine Änderungskündigung aussprechen, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Genüge zu tun.

Fazit:

Positiv ist zunächst festzustellen, dass auch bei einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer eine außerordentliche Kündigung in Folge Arbeitsunfähigkeit möglich ist. Voraussetzung ist aber, dass es dem Mitarbeiter dauerhaft unmöglich ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Dem Arbeitgeber obliegt dabei eine besondere Prüfpflicht. Er muss alles Zumutbare unternehmen, um eine Kündigung zu vermeiden. Dazu gehört auch die Prüfung, ob andere Arbeitsplätze, auf denen der Mitarbeiter, ggf. auch zu geänderten Arbeitsbedingungen, weiterbeschäftigt werden kann. Vorrangig ist stets eine Änderungskündigung auszusprechen. Erst wenn alle milderen Mittel ausgeschöpft sind, kommt die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in Frage.

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