04.09.2018 -

Das Weisungsrecht (auch Direktionsrecht) des Arbeitgebers ist wesentlicher Inhalt eines jeden Arbeitsverhältnisses. In § 106 Gewerbeordnung (GewO) hat dieses Recht seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden. Mit dem Weisungsrecht konkretisiert der Arbeitgeber die arbeitsvertraglich häufig nur rahmenmäßig bestimmte Arbeitspflicht hinsichtlich Zeit, Ort und Art der zu erbringenden Arbeitsleistung.

Damit schafft der Arbeitgeber regelmäßig die Voraussetzung dafür, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbringen und das Arbeitsverhältnis praktisch durchgeführt werden kann. Wie verhält es sich aber mit Weisungen, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahren (auch unbillige Weisungen)? Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einer Grundsatzentscheidung klargestellt, dass Arbeitnehmer an solche unbilligen Weisungen nicht, auch nicht vorläufig, gebunden sind (BAG v. 18.10.2017, 10 AZR 330/16).


Das BAG hat in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass Arbeitnehmer an Weisungen des Arbeitnehmers dann nicht gebunden sind, wenn sie die Grenzen billigen Ermessens überschreiten. 

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer ist bei der Deutschen Telekom Immobilien und Service GmbH (DeTeImmobilien) seit April 2001 beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:

㤠1
Art und Ort der Beschäftigung

1. Der Arbeitnehmer wird im Aufgabenbereich Service Center Nord in Münster als Immobilienkaufmann vollzeitbeschäftigt.

2. Die DeTeImmobilien ist berechtigt, dem Arbeitnehmer auch eine andere, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit, ggf. auch unter Veränderung des Arbeitsortes/Einsatzgebietes oder des Aufgabenbereichs zu übertragen. Der Arbeitnehmer ist zuvor zu hören.

3. Die Beteiligung des Betriebsrats bleibt hiervon unberührt.

§ 2
Anzuwendende Regelungen (Tarifbindung)

Das Arbeitsverhältnis unterliegt den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung.“

Den Beschäftigungsort Münster änderten die Parteien mit einem Änderungsvertrag wie folgt:

㤠1
Änderung des Arbeitsvertrages

1. § 1 Abs. 1 Ihres Arbeitsvertrages (Art und Ort der Beschäftigung) enthält folgende Fassung:

Der Arbeitnehmer wird in Dortmund als Immobilienkaufmann im Bereich C und P im Team RE3330 vollbeschäftigt.

§ 2
Schlussbestimmungen

1. Alle übrigen Bestimmungen des Arbeitsvertrages bleiben unberührt.“

Das Arbeitsverhältnis wurde wegen eines Arbeitszeitbetruges von dem Arbeitgeber fristlos gekündigt. Die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers war in beiden Instanzen erfolgreich. Der Kläger wurde weiterbeschäftigt.

Der Arbeitgeber sprach eine vorläufige Versetzung an den Standort Berlin aus. Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß beteiligt. Mit anwaltlichem Schreiben forderte der Kläger die Rücknahme der Versetzung. Nachdem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit nicht aufnahm, wurde er ein erstes Mal, nach weiterer Weigerung ein zweites Mal abgemahnt. Er erschien dann auch weiter nicht am Standort Berlin und wurde von der Beklagten fristlos gekündigt. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Revisionsverfahren ist noch vor dem Bundesarbeitsgericht anhängig.

Im vorliegenden Fall beantragte der Arbeitnehmer nunmehr festzustellen, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung Folge zu leisten. Weiter beantragte er die Entfernung der beiden Abmahnungen aus der Personalakte.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.


Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt: Billiges Ermessen sei im konkreten Fall nicht gewahrt worden. 

I. Versetzungsvorbehalt wirksam:

Der Arbeitnehmer berief sich zunächst darauf, eine Versetzung sei schon nach dem Wortlaut des Vertrages nicht möglich. Dies gelte erst recht für nur vorübergehende Versetzungen.

Dem ist das Bundesarbeitsgericht entgegengetreten. Die Bestimmung eines Orts der Arbeitsleistung in Kombination mit einer im Arbeitsvertrag durch Versetzungsvorbehalt geregelten Einsatzmöglichkeit im gesamten Unternehmen verhindert die vertragliche Beschränkung auf den im Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung.

Hier bestimmte § 1 Ziffer 1 sowohl des Änderungs- als auch das Ausgangsvertrages, dass der Kläger in Münster bzw. in Dortmund beschäftigt wird. Es handelte sich dabei aber nicht um eine konstitutive Festlegung, sondern lediglich um eine Wiedergabe des aktuellen Aufgabenbereichs und Arbeitsortes des Arbeitnehmers. Entscheidend ist, dass nach § 2 Ziffer 1 des Änderungsvertrages alle übrigen Bestimmungen des Arbeitsvertrages unverändert bleiben sollten. Zu den übrigen Bestimmungen gehörte § 1 Ziffer 2 des Ausgangsvertrages. Danach behielt sich der Arbeitgeber u.a. das Recht vor, den Kläger unter Veränderung des Arbeitsortes einzusetzen.

Hinweis für die Praxis:

Auch die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum ändert nichts an der Möglichkeit, sich auf einen vertraglichen Versetzungsvorbehalt berufen zu können.

II. Verstoß gegen billiges Ermessen

Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Weisung billiges Ermessen nicht gewahrt hat. Dabei hat es u.a. darauf abgestellt, dass es nach der ersten Kündigung und der Weiterbeschäftigung keine Konflikte mehr am Standort in Dortmund zwischen dem Arbeitnehmer und seinen Kollegen gegeben hat. Es hat auch gewürdigt, dass eine lediglich auf sechs Monate angelegte Versetzung zu der behaupteten Konfliktbereinigung nicht geeignet gewesen sei. Überwiegende Interessen des Arbeitgebers für die Versetzung nach Berlin hätten daher nicht vorgelegen.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Abwägung im Revisionsverfahren – nach Überprüfung – angeschlossen. Billiges Ermessen sei nicht gewahrt worden und die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts seien daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

III. Keine Verbindlichkeit für den Arbeitnehmer

Der unbilligen Weisung musste der Arbeitnehmer nicht, auch nicht vorläufig, Folge leisten. Den in Rechtsprechung und Literatur dazu bislang bestehenden Streit hat der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts nunmehr abschließend entschieden. Liegt eine unbillige Weisung vor, kann diese keine Bindung entfalten. Daher muss ein Arbeitnehmer eine solche unbillige Weisung auch nicht beachten und ihr nachkommen. Eine Weisung ist für den Arbeitnehmer nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Dies war hier aber gerade nicht der Fall.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit sehr ausführlicher Begründung ausgeführt, dass auch keine praktischen Gründe bestehen, von einer vorläufigen Verbindlichkeit auszugehen. Spricht der Arbeitgeber eine Weisung aus und befolgt der Arbeitnehmer diese Weisung, erbringt er seine Arbeitsleistung. Das Arbeitsverhältnis wird in der Form durchgeführt, die der Arbeitgeber begehrt. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich gegen unbillige Weisungen zu wehren, besteht nicht. Vielmehr kann er diese hinnehmen.

Akzeptiert der Arbeitnehmer hingegen eine Weisung, die er als unbillig ansieht, nicht und erbringt keine Arbeitsleistung, trägt er das Risiko, ob ein Gericht im Rahmen der Prüfung seine Einschätzung teilt. Ist dies nicht der Fall, kann der Arbeitgeber Sanktionen aussprechen und der Arbeitnehmer verlieren seinen Vergütungsanspruch. Würde man eine vorläufige Verbindlichkeit auch einer unbilligen Weisung annehmen, könnte der Arbeitgeber diese risikolos erteilen. Ein Arbeitnehmer wäre selbst dann, wenn die Weisung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspräche, Sanktionen bis hin zur Kündigung ausgesetzt.

Hinweis für die Praxis:

Das höhere Risiko trägt trotz dieser nunmehr klaren Rechtsprechung der Arbeitnehmer. Er hat das Einschätzungsrisiko. Befolgt er eine Weisung nicht, stellt sich diese aber in einem Prozess als wirksam dar, muss er die Sanktionen tragen. Aus diesem Grunde wird man Arbeitnehmern stets empfehlen, in Zweifelsfällen einer Weisung zunächst Folge zu leisten, um weitere Nachteile zu vermeiden.

Fazit:

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt zur Rechtssicherheit. Die Vertragsparteien können auf dieser Basis eine klare Entscheidung treffen, ob sie einer strittigen Weisung Folge leisten wollen oder nicht. Dennoch trägt der Arbeitnehmer weiterhin das Einschätzungsrisiko. Dies wird in der Praxis weiterhin dazu führen, dass unbilligen Weisungen zunächst Folge geleistet wird und sich der Arbeitnehmer, regelmäßig im Wege einer einstweiligen Verfügung, parallel gerichtlich zur Wehr setzt.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

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  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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