13.09.2018 -

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 11. September 2018 entschieden, dass die Kündigung eines Chefarztes wegen Wiederheirat durch ein katholisches Krankenhaus eine „verbotene Diskriminierung“ sein könne (EuGH, Urteil vom 11.09.2018, C-68/17). Auf der Grundlage der im Urteil getroffenen Vorgaben muss nun wieder das Bundesarbeitsgericht (BAG) entscheiden.

Der EuGH schränkt damit erneut das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Bereich des Arbeitsrechts ein. Zuletzt hatte sich der EuGH im April 2018 zu Konfessionsanforderungen der evangelischen Kirche an Bewerber geäußert (EuGH-Urteil vom 17. April 2018, C-414/16, siehe auch unsere Meldung hierzu). Nun entschieden die Luxemburger Richter zu den Auswirkungen von Loyalitätsverstößen bei katholischen Arbeitgebern.


Bei der Kündigung eines Chefarztes wegen Wiederheirat durch ein katholisches Krankenhaus könnte es sich um eine „verbotene Diskriminierung“ handeln, entschied der EuGH und verwies den Fall zurück an das Bundesarbeitsgericht. 

Der Fall

Der EuGH- Entscheidung war ein langer Streit um die Kündigungsschutzklage des Chefarztes vorangegangen. Dieser war bei einer katholischen Trägerin mehrerer Krankenhäuser beschäftigt. Den Dienstvertrag nahm die vom Erzbischof von Köln erlassene Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse in Bezug. Nachdem der Chefarzt nach einer Scheidung ein zweites Mal standesamtlich heiratete, wurde sein Arbeitsverhältnis im Jahr 2009 gekündigt. Jedenfalls nach der damaligen Fassung der Grundordnung galt der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe als ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte.

Der Chefarzt erhob Kündigungsschutzklag. Der Klage wurde der in den Vorinstanzen und beim Bundesarbeitsgericht (BAG) zunächst auch stattgegeben. So urteilte das BAG im Jahr 2011, dass der Loyalitätsverstoß zwar grundsätzlich als Kündigungsgrund in Betracht kommen könne. Allerdings seien im Rahmen einer Interessenabwägung das Selbstverständnis der Kirchen einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens andererseits zu berücksichtigen. Im Falle des wiederverheirateten Chefarztes müsse diese Abwägung zugunsten des Klägers ausfallen.

Gegen diese Entscheidung des BAG zog die Arbeitgeberin vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Unter Berufung auf das verfassungsrechtlich verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen hob das BVerfG die Entscheidung im Jahr 2014 auf und verwies zurück an das BAG (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12). Das BAG entschied jedoch nicht selbst, sondern legte den Fall dem EuGH zur Entscheidung vor (Vorlagebeschluss des vom 28.07.2016 – 2 AZR 746/14 (A)).

Das Urteil

Der EuGH betont in seiner Entscheidung, dass eine Kirche grundsätzlich an ihre leitenden Angestellten – je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit – „unterschiedliche Anforderungen“ stellen dürfe. Nationale Gerichte müssten jedoch überprüfen können, ob die Religion mit Blick auf die Tätigkeit eine wesentliche Anforderung sei. Im vorliegenden Fall muss dies nun das Bundesarbeitsgericht untersuchen.

Die Richter des EuGH wiesen darauf hin, dass sie keinen Zusammenhang zwischen der Zustimmung zum Eheverständnis der katholischen Kirche und den Tätigkeiten des Chefarztes sähen. „Erhärtet“ werde diese Annahme, da ähnliche Stellen im Krankenhaus nicht-katholischen Angestellten anvertraut worden seien. Die EuGH Richter gaben dem BAG daher den Auftrag zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände eine Beeinträchtigung des Ethos der Kirche und ihres Rechts auf Autonomie „wahrscheinlich“ und „erheblich“ sei.
Es bleibt nun abzuwarten, wie das BAG im Einzelnen entscheidet. Im Zweifel wird es – wie bereits 2011 – der Kündigungsschutzklage des Chefazrtes wieder stattgegeben, diesmal allerdings mit der „Rückendeckung“ des EuGH.

Hintergründe und Auswirkungen auf die Praxis

In der Praxis bedeutet das Urteil eine erhebliche Einschränkung der Autonomie kirchlicher Arbeitgeber. Die Kirchen genießen im deutschen Recht grundsätzlich eine besondere Rolle. Diese ist einerseits historisch gewachsen, andererseits aber auch verfassungsrechtlich abgesichert. Nach Art. 140 Grundgesetz sind die Vorschriften der Weimarer Reichverfassung (WRV) über die Rechte der Kirchen Bestandteil des Grundgesetzes. Art. 137 Abs. 3 WRV gibt den Kirchen das Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbständig zu regeln.

Dies führt zu Besonderheit in Bezug auf Streikmöglichkeiten und Mitbestimmung. Auch bei der Einstellung und bei Kündigungen konnten sich die Kirchen lange auf für sie geltende Besonderheiten berufen.

Dieses weite Verständnis lässt sich mit europarechtlichen Vorgaben wohl nicht mehr vereinbaren. Staatliche Gerichte werden zukünftig bei arbeitsrechtlichen Maßnahmen kirchlicher Arbeitgeber genau prüfen müssen, ob das kirchliche Recht und interne Vorgaben der Kirche jeweils Ausfluss einer gerechtfertigten beruflichen Anforderung sind.

In Bezug auf Konfessionsanforderungen hatte der EuGH etwa erklärt, dass diese nur zulässig sein können, wenn diese für die Ausübung der Tätigkeit eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstelle. Dies sei von staatlichen Gerichten voll überprüfbar.

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