03.10.2018 -

Wir haben bereits eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln zur Frage des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei einer Einheit des Verhinderungsfalls besprochen (LAG Köln, 15.11.2016 – 12 Sa 453/16). Zu der Thematik passt sehr gut eine weitere Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt (LAG Sachsen-Anhalt v. 1.2.2017, 5 Sa 195/15). In dieser Entscheidung geht es nicht um sich überschneidende Krankheiten, sondern um die Frage, ob ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht, wenn eine zweite krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung unmittelbar an die erste anschließt.


Das LAG Sachsen-Anhalt hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht, wenn eine zweite krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung unmittelbar an die erste anschließt.

Der Fall (verkürzt):

Die klagende Mitarbeiterin ist bei dem Landesamt für Verbraucherschutz in Sachsen-Anhalt als Fach-MTA für Mikrobiologie beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes der Länder.

Die Klägerin war in dem Zeitraum vom 10. Juli 2013 bis einschließlich 27. September 2013 (einem Freitag) arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die erste Erkrankung dauerte bis 19. August 2013. Für die Zeit vom 20. August 2013 bis zum 27. September 2013 wurde die Klägerin wegen einer anderen Krankheit arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Das beklagte Land teilte daraufhin der Klägerin mit Schreiben vom 29. August 2013 mit, dass der Entgeltfortzahlungsanspruch am 20. August 2013 nach Ablauf der sechs Wochen ende und die weiteren Zahlungen eingestellt werden. Die Krankenkasse der Klägerin teilte dem beklagten Land auf dessen Nachfrage mit, dass die Arbeitsunfähigkeit ab 20. August 2013 aufgrund einer neuen Diagnose ausgestellt worden sei und als Erstbescheinigung anzuerkennen sei.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin von dem beklagten Land Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 20. August 2013 bis 27. September 2013. Sie vertritt dazu die Ansicht, die festgestellte Arbeitsunfähigkeit hätte auf unterschiedlichen Erkrankungen beruht. Die erste Erkrankung sei ausgeheilt gewesen.

Das beklagte Land hat hingegen die Auffassung vertreten, die Klägerin sei vom 10. Juli 2013 bis zum 27. September 2013 durchgängig arbeitsunfähig krank gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch bestünde nicht. Die Ersterkrankung sei noch nicht ausgeheilt gewesen.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat im Berufungsverfahren die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt, wenn während des Bestehens der Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen.

Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden.

Hinweis für die Praxis:

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Versicherungsfalls die Entscheidung des Arztes, der die Arbeitsunfähigkeit – unabhängig von der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers – im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertages bescheinigen wird.

II. Darlegungs- und Beweislast

Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzung des § 3 Abs. 1 EFZG trägt der Arbeitnehmer. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast.

Hier konnte die Klägerin nicht den Beweis erbringen, dass die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in der die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führte. Sie hätte aber den Beweis führen müssen, dass die erste Erkrankung tatsächlich am 19. August 2013 ausgeheilt war. Im Rahmen der Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes konnte dies ebenfalls nicht entkräftet werden. Der Arzt bestätigte in seiner Vernehmung, es habe „der Ansatz bestanden, die Klägerin wieder auf Arbeit zu schicken, aber im Rahmen eines Hamburger Modells.“ Dieser Aussage ist gerade nicht zu entnehmen, dass die erste Erkrankung tatsächlich am 19. August 2013 ausgeheilt war.

Fazit:

Die Entscheidung macht, ebenso wie die weitere in diesem Heft besprochene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln – deutlich, dass bei erneuter Erkrankung nicht ohne weiteres auch ein neuer sechswöchiger Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht. Personalabteilungen sind gut beraten, sich die ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen genau anzusehen und ggf. auch Rücksprache mit der Krankenkasse zu nehmen. Ein Anspruch scheidet immer dann aus, wenn eine Fortsetzungserkrankung vorliegt oder aber ein spezieller Fall der Einheit des Verhinderungsfalls gegeben ist. Dabei ist zu beachten, dass die volle Darlegungs- und Beweislast den Arbeitnehmer trifft. Dieser muss alle Anspruchsvoraussetzungen für einen Entgeltfortzahlungsanspruch beweisen. Kann er den Beweis nicht erbringen, schließt dies regelmäßig einen Anspruch aus.

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