17.10.2018 -

Die Betriebspartner sind verpflichtet, das Persönlichkeitsrecht der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen, § 75 Abs. 2 BetrVG. Diese Verpflichtung betrifft auch die Einigungsstelle, wenn im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens keine Einigung zu Stande kommt, sondern das Verfahren durch Spruch endet.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Beschluss klargestellt, dass Arbeitgeber zwar ein berechtigtes Interesse daran haben, die Belastungssituationen der einzelnen Arbeitnehmer analysieren zu können, um Arbeitsabläufe effektiver zu gestalten; dies rechtfertigt aber keine schwerwiegenden Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer (BAG v. 25.4.2017, 1 ABR 46/15). Die sehr spezielle Gesamtbetriebsvereinbarung und ihr Inhalt sollen hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden. Wichtig sind die Kernaussagen der Entscheidung.


Arbeitgeber dürfen bei der Analayse ihrer Arbeitnehmer bzgl. der Belastbarkeit keine schwerwiegenden Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer verüben.   

Der Fall (verkürzt):

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs. Die Arbeitgeberin ist ein Versicherungsunternehmen mit bundesweit 38 Schadenaußenstellen. Antragsteller ist der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat.

Nach Kündigung einer „Gesamtbetriebsvereinbarung zur flächendeckenden Umsetzung der Geschäftsprozessoptimierung im Schadenbereich“ konnten sich die Betriebspartner nicht über eine neue GBV einigen. Das angerufene Arbeitsgericht setzte dann eine Einigungsstelle zu dem Thema „Einführung und Anwendung einer modifizierten Belastungsstatistik für die Schadenaußenstellen“ ein.

Die Einigungsstelle stellte dann durch Spruch eine „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Belastungsstatistik für Schadenaußenstellen“ fest.

Der Betriebsrat hat mit seiner Antragsschrift die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs geltend gemacht. Die GBV führe insbesondere aufgrund der Kennzahlen und der zu erstellenden Berichte zu einer umfassenden Leistungs- und Verhaltensüberwachung der Arbeitnehmer mit einer unverhältnismäßigen Kontrolldichte, die das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer, das nach § 75 Abs. 2 BetrVG zu schützen sei, verletze.

Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsantrag des Gesamtbetriebsrats abgewiesen; seine hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren war der Gesamtbetriebsrat erfolgreich. Das Bundesarbeitsgericht hat den Feststellungsantrag bestätigt.

I. Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitzubestimmen. Damit ist dieses Mitbestimmungsrecht darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor solchen Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers zu rechtfertigen oder unverhältnismäßig sind.

Die auf technischem Wege erfolgende Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über Arbeitnehmer bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung bergen die Gefahr in sich, dass sie zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht werden, die anonym personen- oder leistungsbezogene Informationen erhebt, speichert, verknüpft und sichtbar macht.

Die Möglichkeiten, Einzelangaben über eine Person zu erheben, sie zu speichern sowie jederzeit abzurufen, sind geeignet, bei den Betroffenen einen psychischen Anpassungsdruck zu erzeugen, durch den sie in ihrer Freizeit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt werden.

II. Beschränkung des Persönlichkeitsrechts?

Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter Belange eines anderen Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten und legitimen Zweck zu erreichen. Hierzu dürfen die Betriebsparteien nur solche Regelungen treffen, mit deren Hilfe ein solcher Zweck gefördert werden kann. Zu dessen Erreichung dürfen keine anderen, gleichwirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen.

III. Verletzung des Persönlichkeitsrechts

In der GBV waren Regelungen über die Erfassung und Speicherung der Bewegungsdaten der einzelnen Sachbearbeiter sowie deren Auswertung enthalten. Das Bundesarbeitsgericht hat in sehr ausführlicher und detaillierter Begründung herausgearbeitet, dass durch diese Regelungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer unverhältnismäßig beeinträchtigt und damit verletzt wird. Dies führte hier zur Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs.

Hinweis für die Praxis:

Den Betriebspartnern steht einerseits ein weiter Handlungsspielraum zu, um Regelungen für die betroffenen Arbeitnehmer zu treffen und zu vereinbaren. Auf der anderen Seite ist dieses Recht nicht unbegrenzt. Das grundgesetzlich gewährleistete Persönlichkeitsrecht muss stets gewahrt werden. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers, die Belastungssituation der einzelnen Arbeitnehmer analysieren zu können, um Arbeitsabläufe effektiver zu gestalten, rechtfertigt einen schwerwiegenden Eingriff nicht. Ein solches Recht steht auch nicht der Einigungsstelle zu.

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