07.11.2018 -

Gekündigte Arbeitnehmer gehören zunächst nur noch so lange zur Betriebsgemeinschaft, bis die Kündigungsfrist abgelaufen ist. Welche Rechte haben aber Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist? Was gilt, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage eingereicht hat? Das Landesarbeitsgericht Rostock hat in einem Beschluss das Zugangsrecht eines fristlos gekündigten Arbeitnehmers nach erhobener Kündigungsschutzklage zu einer Betriebsversammlung, die allein dem Zweck der Einrichtung eines Wahlvorstands galt, bejaht (LAG Mecklenburg-Vorpommern (Rostock) v. 30.1.2017, 3 TaBVGa 1/17). Die Entscheidung ist durchaus kritikwürdig, entspricht aber der aktuellen Tendenz der Landesarbeitsgerichte, und soll daher hier für die Praxis vorgestellt werden.


Das Landesarbeitsgericht Rostock hat das Zutrittsrecht eines gekündigten Arbeitnehmers zur Betriebsversammlung vor dem Hintergrund einer erhobenen Kündigungsschutzrechtsklage bejaht. 

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer wurde mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 und vom 23. Januar 2017 jeweils fristlos gekündigt. Außerdem wurde ihm ein Hausverbot erteilt. Er war bei dem beklagten Arbeitgeber als Schichtführer und Wickler beschäftigt.

Gegen beide fristlosen Kündigungen hat der Kläger jeweils Kündigungsschutzklage eingereicht.

Mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 übersandte er dem Geschäftsführer des Arbeitgebers eine Einladung über die Durchführung einer Betriebsversammlung am 30. Januar 2017 zum Zwecke der Bestellung eines Wahlvorstands zur erstmaligen Wahl eines Betriebsrats. Das Einladungsschreiben war von dem Kläger sowie zwei weiteren Arbeitnehmern unterzeichnet.

Er hat im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens beantragt, dem Arbeitgeber aufzugeben, das gegenüber ihm ausgesprochene Hausverbot für die am 30. Januar 2017 stattfindende Betriebsversammlung zur Bestellung eines Wahlvorstands aufzuheben und ihm Zutritt zum Betrieb bis zur Beendigung der Betriebsversammlung zu gewähren.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat die einstweilige Verfügung gegen den Arbeitgeber auch im Beschwerdeverfahren aufrechterhalten.

I. Betriebsversammlung und Zutrittsrecht

Gemäß § 17 Abs. 3 BetrVG können drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs zu einer Betriebsversammlung einladen. Die Betriebsversammlung besteht aus den Arbeitnehmern des Betriebs, § 42 Abs. 1 BetrVG. Zudem darf nach § 20 Abs. 1 Satz 2 BetrVG kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darf die Wahl des Betriebsrats nicht behindert werden.

Das Landesarbeitsgericht hat das Zutrittsrecht bejaht. Bei erhobener Kündigungsschutzklage bestehe ein Zutrittsrecht. Es komme auch nicht auf die offensichtliche Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung an. An einer Betriebsversammlung sind alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer teilnahmeberechtigt, unabhängig davon, ob sie wahlberechtigt bzw. wählbar sind. Auch verhinderte Arbeitnehmer bleiben Arbeitnehmer des Betriebs und sind teilnahmeberechtigt.

Das Landesarbeitsgericht geht davon aus, dass im Falle eines gekündigten Arbeitnehmers – bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage – die rechtswirksame Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und die Zugehörigkeit zur Arbeitnehmerschaft eines Betriebs ungeklärt ist. Dieser Unsicherheitszustand führe nicht zum Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts.

II. Eilbedürftigkeit

Das Zutrittsrecht wurde im Wege einer einstweiligen Verfügung beantragt. Das Landesarbeitsgericht hat auch die notwendige Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung bejaht. Könnte der Arbeitnehmer nicht an der Betriebsversammlung teilnehmen, könnte dies sein aktives Wahlrecht vereiteln. Demgegenüber seien nennenswerte Beeinträchtigungen für den Arbeitgeber, allein für den Fall, dass dem Verfügungskläger nur Zutritt für die Zeit der Betriebsversammlung gewährt wird, nicht ersichtlich.

Hinweis für die Praxis:

Die Entscheidung ist durchaus kritikwürdig. Gerade wegen der fristlosen Kündigung und dem damit verbundenen sofortigen Ausscheiden aus der Betriebsgemeinschaft war der Mitarbeiter nicht mehr Mitglied der Belegschaft. Insoweit müsste man konsequent fordern, dass die Betriebszugehörigkeit (vorläufig) nur dann fortbesteht, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich weiterbeschäftigt wird. Gesteht man dem Mitarbeiter trotz fristloser Kündigung und ohne Weiterbeschäftigung weiterhin ein Teilnahmerecht zu Betriebsversammlungen zu, wird die Rechtswirkung der fristlosen Kündigung faktisch aufgehoben. In einem vergleichbaren Fall sollte man deshalb mit diesen Argumenten versuchen, die einstweilige Verfügung abzuwenden.

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