13.12.2018 -

Beantragt ein Vertragsarzt die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens, hat der Zulassungsausschuss seit einigen Jahren zunächst zu prüfen, ob die Nachbesetzung seines Vertragsarztsitzes aus „Versorgungsgründen“ überhaupt erforderlich ist (§ 103 Abs. 3a SGB V). Obwohl die von den Ärzten viel befürchtete „Einziehung“ von ausgelasteten Vertragsarztsitzen in der Praxis kaum eine Rolle spielt, greift sie in bestimmten Konstellationen trotzdem häufig:

Wenn der Vertragsarzt vor seinem Ausschreibungsantrag nur noch wenig vertragsärztlich tätig war, kann der Zulassungsausschuss die Ausschreibung entweder ablehnen oder – wenn ein voller Vertragsarztsitz ausgeschrieben wurde – die Nachbesetzung auf einen halben Vertragsarztsitz beschränken. Widerspruch gegen eine solche Entscheidung ist, anders als in sonstigen Zulassungsangelegenheiten, nicht möglich. Der betroffene Arzt muss direkt Klage zum Sozialgericht einlegen.

Mit einer derartigen Konstellation hatte sich das Sozialgericht Berlin zu befassen, dessen Entscheidung nun Gegenstand einer Sprungrevision zum Bundessozialgericht (BSG) war.


Wenn ein Vertragsarzt vor seinem Nachbesetzungsverfahren nur noch reduziert tätig war, kann der Zulassungsausschuss die Ausschreibung ablehnen oder den Vertragsarztsitz halbieren. Widerspruch hiergegen ist nicht vorgesehen, es hilft nur Klage beim Sozialgericht. (Copyright: Frank Bosoton/stock.adobe)

Worum ging es in dem Rechtsstreit?

Geklagt hatte eine Chirurgin, die in Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit einer Kollegin tätig war. Bis zu seinem Tod im Mai 2015 gehörte ein weiterer Facharzt für Chirurgie mit vollem Versorgungsauftrag der BAG an. Seine Fallzahlen lagen in den Quartalen I/2012 bis III/2014 zwischen 24 und 132 Fällen – bei ca. 750 Fällen im Durchschnitt der Arztgruppe. Die Fallzahlen der gesamten BAG entsprachen aber durchaus dem Durchschnitt, lagen also so, wie sie bei durchschnittlich drei Ärzten der Fachgruppe bezogen auf drei volle Versorgungsaufträge anfallen.

Den im Juli 2015 gestellten Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens über den Versorgungsauftrag des verstorbenen Arztes lehnte der Zulassungsausschuss wegen der unzureichenden Teilnahme des Arztes für einen vollen Versorgungsauftrag ab und erlaubte lediglich die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines halben Versorgungsauftrags. Die Klage hiergegen hatte das Sozialgericht Berlin abgewiesen. Im Hinblick auf den weiteren halben Versorgungsauftrag fehle es an einer fortführungsfähigen Praxis. Es sei nicht auf die BAG als Ganzes, sondern auf den einzelnen Arzt abzustellen. Die BAG sei zwar eine einheitliche Rechtspersönlichkeit, bei der Zulassung und im Nachbesetzungsverfahren komme es aber auf den einzelnen Arzt an.

Dagegen wehrte sich die Klägerin mit ihrer (Sprung)revision zum BSG – und hatte damit Erfolg. Die Klägerin machte maßgeblich geltend, dass ein Praxisnachfolger ohne weiteres an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit anknüpfen könne. Insofern sei der Bestand der BAG entscheidend. Die Fortführung der Praxis sei erforderlich, weil der regionalisierte Versorgungsgrad den durchschnittlichen Versorgungsgrad im Planungsbereich unterschreite. Der Beklagte habe die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens bereits deshalb nicht ablehnen dürfen, weil die Fortführung im Wege der Anstellung durch die BAG erfolgen solle.

Das BSG hat der BAG im Ergebnis mit Entscheidung vom 27.06.2018 (Az. B 6 KA 46/17 R) Recht gegeben. Der Zulassungsausschuss müsse die Sache neu entscheiden.


Das Bundessozialgericht in Kassel hat entschieden, dass bei der Praxisfortführung die Fallzahlen der BAG entscheidend sind und nicht die der einzelnen BAG-Ärzte. (Copyright: iStock) 

Die Urteilsbegründung:

Wenn der Vertragsarztsitz, für den die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens beantragt wird, einer BAG zugeordnet ist, sei für die Möglichkeit der Praxisfortführung auf die BAG und nicht auf den einzelnen Arzt abzustellen. Die BAG sei unter anderem durch die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit und die Abrechnung der Leistungen unter einer einheitlichen Abrechnungsnummer gekennzeichnet. Auch nach Einführung der LANR, die eine Zuordnung jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme zu einem bestimmten Arzt ermögliche, werde die BAG weiterhin als Einheit betrachtet; Behandlungen durch verschiedene Mitglieder der BAG bildeten einen einzigen Behandlungsfall, ein Vertretungsfall trete dadurch nicht ein. Bestehe danach hier eine fortführungsfähige Praxis – nämlich die BAG der Klägerin –, könne grundsätzlich entgegen der Auffassung des SG ein Nachbesetzungsverfahren durchgeführt werden.

Der Berufungsausschuss werde nunmehr zu prüfen haben, ob die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes des Arztes F. nach § 103 Abs. 3a Satz 3 SGB V aus Versorgungsgründen nicht erforderlich sei. Dem Beklagten stehe insoweit ein gerichtlich nur beschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Wenn der frei gewordene Vertragsarztsitz einer BAG zugeordnet sei und dieser nur von einem Arzt in der BAG fortgeführt werden könne, müsse die Prüfung der „Entbehrlichkeit“ des Sitzes auch an der Struktur dieser BAG ausgerichtet werden. Dabei sei zunächst von Bedeutung, ob die Praxis in ihrer gewachsenen Ausrichtung überhaupt ohne die Nachbesetzung geführt werden könne, was die folgenden Konstellationen umfasst:

1. Der ausgeschiedene Arzt hat das qualitative Angebot der Praxis entscheidend geprägt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn er als einziger über eine Befähigung nach § 135 Abs. 2 SGB V verfügt.
2. Die Fortführung der Praxis ist im bisherigen Umfang auf eine bestimmte Zusammensetzung ausgerichtet.
Die Auslastung der Praxis an ihrem konkreten Standort ist dabei ein Indiz dafür, dass sie einen relevanten Stellenwert in der Versorgung hat.

Auch der Fortführung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens könne, wenn das auf dem bisherigen quantitativen Niveau nur durch die Nachbesetzung gewährleistet werden könne, in diesem Kontext Bedeutung zukommen. Insoweit betonte das BSG auch, dass die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einer BAG dem Schutz des Art 12 Abs. 1 GG unterfalle. Es sei deshalb geboten, im Rahmen der Entscheidung nach § 103 Abs. 3a Satz 3 SGB V die berechtigten Belange der verbleibenden Mitglieder einer BAG zu berücksichtigen.

Fazit:

Entspricht in einer BAG die Gesamtfallzahl unter Berücksichtigung der Zahl der BAG-Mitglieder dem Durchschnitt, kann ein einzelnes BAG-Mitglied durchaus unterdurchschnittliche Fallzahlen aufweisen. Sollte ein Zulassungsgremium aus diesem Grunde die Ausschreibung des Sitzes ganz oder auch nur zur Hälfte ablehnen, lohnt sich auf jeden Fall das rechtliche Vorgehen dagegen. Die dargestellte Entscheidung des Bundessozialgerichts bietet hier eine wichtige Hilfestellung.

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