Das außerdienstliche Verhalten von Arbeitnehmern ist für das Arbeitsverhältnis im Grundsatz ohne Belang. Die private Lebensführung darf für den Arbeitgeber keine Rolle spielen. Anders liegt der Fall aber, wenn sich das außerdienstliche Verhalten in die betriebliche Sphäre hinein auswirkt, sei es im Leistungsbereich, sei es im Vertrauensbereich, sei es allgemein im Bereich der betrieblichen Interessen.
Mit einer solchen Fallkonstellation hat sich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung befasst (LAG Düsseldorf v. 12.4.2018, 11 Sa 319/17). Wir möchten die sehr spezielle und einzelfallbezogene Entscheidung zum Anlass nehmen, die Grundsätze der Rechtsprechung, die in solchen Fällen gelten, darzustellen und hier zu besprechen.
Das LAG Düsseldorf hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage befasst, wann das außerdienstliche Verhalten von Arbeitnehmern für das Arbeitsverhältnis von Belangen ist.
(Copyright: Heiko Küverling/iStock.com)
Der Fall (verkürzt):
Bei dem beklagten Arbeitgeber handelt es sich um ein Chemieunternehmen. Der Betrieb liegt in einem Chemiepark, in dem weitere Chemieunternehmen angesiedelt sind. Im Chemiepark werden insgesamt mehr als 5.000 Chemikalien hergestellt.
Der Kläger ist seit 1991 bei dem Arbeitgeber als Chemielaborant beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt beträgt 3.737,00 €. Der Arbeitnehmer ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
Der Kläger arbeitet in einem Bereich, der von dem Arbeitgeber als sicherheitsrelevant eingestuft wird. Er arbeitet jedoch nicht mit Stoffen, die geeignet wären, sprengbares Material zu produzieren.
Am 2. August 2016 erschien der Kläger nicht zur Arbeit, da er von Polizeibeamten zu einer Polizeiwache gebracht wurde. Aus der Presse erfuhr der Arbeitgeber, dass in seiner Wohnung chemische Substanzen gefunden worden seien, die zur Herstellung von explosiven Stoffen und Betäubungsmitteln verwendet werden könnten. Er sei bereits wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz aufgefallen. Aus einer weiteren Pressemitteilung erfuhr der Arbeitgeber, dass bei einer Hausdurchsuchung bei dem Kläger 1,5 kg chemische Stoffmischungen gefunden worden seien, die als gefährlich zu bewerten seien. Auch wurden ca. 1 kg einer kristallinen Chemikalie beschlagnahmt, bei der es sich nach ersten Tests um ein Betäubungsmittel handelte.
Der Kläger bestätigte, dass es sich bei dem Verdächtigen aus den Presseberichten um ihn handelte.
Der Arbeitgeber hörte dann den Arbeitnehmer zu den Vorfällen und den Presseberichten an. Er äußerte den Verdacht, dass er seine Tätigkeit als Chemielaborant in der Vergangenheit missbraucht habe, um strafbare Handlungen am Arbeitsplatz oder in den ihm zugänglichen Laborräumen vorzunehmen. Der Kläger wies alle Vorwürfe zurück.
Zwischenzeitlich erlangte der Arbeitgeber aus einem weiteren Pressebericht Kenntnis von dem Umstand, dass der Kläger bereits wegen eines Sprengstoffvergehens zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 70,00 € verurteilt worden war.
Das Arbeitsverhältnis wurde nach Zustimmung des Integrationsamtes und Anhörung des Betriebsrats fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers abgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht hingegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und der Klage stattgegeben.
I. Außerdienstliches Verhalten als Kündigungsgrund?
Jede Partei des Arbeitsvertrages ist zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seine eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben und billigerweise verlangt werden kann.
Er ist daher auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass durch das – rechtswidrige – außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden. Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Dies kann wiederum der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht. Der notwendige Bezug kann auch dadurch entstehen, dass sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht werden.
Fehlt hingegen ein solcher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, scheidet eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers regelmäßig aus.
Hinweis für die Praxis:
Entscheidend ist die konkrete Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis. Diese Auswirkungen können bejaht werden, wenn sich die außerdienstliche strafbare Handlung auf die Frage der Eignung des Arbeitnehmers erstreckt oder zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führt, bspw. der Führerscheinentzug bei Kraftfahrern, Sittlichkeitsdelikte bei Erziehern oder Vermögensdelikte bei Buchhaltern.
II. Abmahnung vorrangig!
Wirkt sich ein außerdienstliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers konkret auf das Arbeitsverhältnis aus, so ist der Arbeitgeber zur Abmahnung berechtigt. Neben der Abmahnung kommt je nach Lage des Einzelfalls auch eine fristgerechte Kündigung in Betracht, regelmäßig aber erst nach vorheriger einschlägiger Abmahnung. Nur in besonders schwerwiegenden Fällen ist auch eine fristlose Kündigung gerechtfertigt.
Auf eine Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung wird nur dann verzichtet werden können, wenn die konkreten Auswirkungen eines außerdienstlichen Fehlverhaltens vertrauenszerstörenden Charakter besitzen.
III. Grenzfälle gehen zu Lasten des Arbeitgebers
Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und einen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis abgelehnt. Dies erstaunt auf den ersten Blick, war doch der Kläger Chemielaborant und ist im Umgang mit Chemikalien strafrechtlich aufgefallen und wurde sogar verurteilt. Es fehlte aber an dem oben dargestellten konkreten Bezug. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl eine Tat- als auch die hilfsweise ausgesprochene Verdachtskündigung als unwirksam angesehen. Die Kündigung könne weder auf verhaltensbedingte noch auf personenbedingte Gründe gestützt werden.
IV. Checkliste
Wird außerdienstliches Fehlverhalten, das sich nach Meinung des Arbeitgebers auf das Arbeitsverhältnis auswirkt, festgestellt, empfehlen wir die nachfolgende Checkliste:
1. Feststellung eines außerdienstlichen Fehlverhaltens und Beweissicherung
2. Prüfung konkreter Auswirkungen im Arbeitsverhältnis
3. Prüfung, ob Abmahnung als milderes Mittel geboten ist
4. Bei wiederholtem Fehlverhalten nach Abmahnung oder bei vertrauenszerstörendem Fehlverhalten Entscheidung ob fristgerechte oder fristlose Kündigung
Fazit:
Außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers ist selbst bei strafbaren Handlungen nicht stets kündigungsrelevant. Die vorliegende Entscheidung macht deutlich, dass selbst bei vorhandenen Bezügen zum Arbeitsverhältnis die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die erforderlichen konkreten Auswirkungen stellt. Entscheidend ist dabei nicht der subjektive Eindruck des Arbeitgebers oder von Arbeitskollegen. Vielmehr müssen das Arbeitsverhältnis oder die betrieblichen Interessen für den objektiven Betrachter nachhaltig berührt sein. Vor einer voreiligen Kündigung wegen missliebiger privater Lebensführung des Arbeitnehmers ist daher zu warnen.
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