24.01.2019 -

Viele Arbeitgeber gewähren ihren Arbeitnehmern zusätzlich ein freiwilliges Urlaubsgeld. Oftmals wird das Urlaubsgeld schlicht ausgezahlt. Weitere Regelungen dazu sind nicht vorhanden. Fehlende Regelungen können aber zu Streit führen. Mit einem solchen hatte sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in einer aktuellen Entscheidung zu befassen und die Frage zu klären, ob auch bei längerer Arbeitsunfähigkeit der Anspruch auf Urlaubsgeld erhalten bleibt (LAG Rheinland-Pfalz v. 22.6.2017, 7 Sa 438/16, NZA-RR 2018, 238).*


Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pflaz hat entschieden, dass mangels klarer Regelungen die Zahlung von Urlaubsgeld gerade nicht bei längerer Arbeitsunfähigkeit eingestellt werden durfte.

Der Fall:

Der Kläger ist bereits seit vielen Jahren bei dem beklagten Unternehmen beschäftigt. Seit mehreren Jahren erhält jeder Arbeitnehmer in jedem Quartal eine feste Summe von zuletzt 435,00 Euro brutto je Quartal. Dieser Betrag wird jeweils im März, Juni, September und Dezember abgerechnet und ausgezahlt. Schriftliche Vereinbarungen über den Auszahlungsmodus oder weitere Anspruchsvoraussetzungen existieren nicht. In den jeweiligen Abrechnungen ist der Posten als „Urlaubsgeld“ bezeichnet.

Der Kläger ist seit Juli 2014 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt und erhält seit dem 26. August 2014 Krankengeld. Das letzte Urlaubsgeld erhielt er mit dem Quartal Juni 2014 ausgezahlt. Mit seiner Klage macht er nunmehr rückständige Beträge in Höhe von insgesamt 2.610,00 Euro brutto für die Quartale September 2014, Dezember 2014, März 2015, Juni 2015, September 2015 und Dezember 2015 geltend.

Er ist der Auffassung, der Anspruch sei aufgrund von betrieblicher Übung begründet. Ein Ausschluss der Zahlung von Urlaubsgeld im Krankheitsfall sei nicht vertraglich geregelt. Daher sei auch eine Kürzung unzulässig.

Der Arbeitgeber ist hingegen der Meinung, der aufgrund betrieblicher Übung entstandene Anspruch auf Urlaubsgeld setze voraus, dass er auch tatsächlich Urlaub gewähren könne. Dies setze die Verpflichtung zur Arbeitsleistung und Arbeitsfähigkeit voraus.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat hingegen das Landesarbeitsgericht der Zahlungsklage stattgegeben.

I. Gefahr betriebliche Übung

Dauerhafte Verpflichtungen können sich auch aus einer betrieblichen Übung ergeben, wenn keine vertraglichen Ansprüche schriftlich geregelt sind. Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird, erwachsen ohne weiteres vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger (= Arbeitnehmer) die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und ob er auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durfte.

Hinweis für die Praxis:

Eine betriebliche Übung ist nach diesen Grundsätzen schnell entstanden. Wird eine Leistung freiwillig über einen längeren Zeitraum gewährt, kann die betriebliche Übung nur verhindert werden, wenn in jedem einzelnen Leistungsfall auf die Freiwilligkeit und die fehlenden Rechtsansprüche für die Zukunft hingewiesen wird. Fehlen solche Hinweise, können Ansprüche aus einer betrieblichen Übung nicht mehr verhindert werden.

II. Betriebliche Übung und fehlende Regelungen

Die betriebliche Übung entsteht dann nach diesen Maßstäben so, wie der Erklärungsempfänger sie verstehen durfte. Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht dazu entschieden, dass mangels klarer Regelungen die Zahlung des Urlaubsgeldes gerade nicht bei längerer Arbeitsunfähigkeit eingestellt werden durfte. Dazu hätte es weiterer Regelungen bedurft, die hier nicht vorlagen. Der Arbeitnehmer konnte davon ausgehen, dass ihm die Leistung auf Dauer eingeräumt werden sollte. Er konnte weiter, so das Landesarbeitsgericht, davon ausgehen, dass er die Leistung erhalten würde, solange das Arbeitsverhältnis besteht, also auch gerade in Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bzw. in Zeiten nach Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums.

Fazit:

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass betriebliche Übungen mehr als risikobehaftet sind. Der Arbeitgeber war hier davon ausgegangen, dass Urlaubsgeld nur für Zeiten gewährt werden sollte, in denen der Arbeitnehmer auch tatsächlich Urlaub nehmen konnte. Die Zahlung sollte an die Arbeitsfähigkeit anknüpfen. All dies hätte aber ausdrücklich geregelt werden müssen. Der Praxis kann daher nur dringend empfohlen werden, betriebliche Übungen zu verhindern und einerseits jede freiwillige Zahlung auch als solche zu bezeichnen und andererseits klare Regeln zu formulieren, an denen sich alle Arbeitnehmer orientieren können.

*Leitsatz:
Leistet der Arbeitgeber zusätzlich zu dem vereinbarten monatlichen Entgelt eine Sonderzahlung, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob er sich entweder nur zu der konkreten Leistung oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet hat. Von welchen Voraussetzungen das Entstehen oder Erlöschen des Anspruchs abhängt, bestimmt sich nach dem Inhalt der betrieblichen Übung. Ein Anspruch auf Urlaubsgeld aufgrund betrieblicher Übung kann daher auch für die Zukunft begründet werden, wenn der Arbeitnehmer für längere Zeit erkrankt ist und für diese Zeit kein Urlaub gewährt werden konnte.

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