18.07.2004 -

 

In vielen Aufhebungsverträgen werden allgemeine Ausgleichsklauseln, in denen auf sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verzichtet wird, vereinbart. In einem nun bekannt gewordenen Urteil hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit der praxisrelevanten Frage zu befassen, ob ein solcher allgemeiner Verzicht auch etwaige Abfindungen aus einem Sozialplan erfasst bzw. welche Anforderungen für einen wirksamen Verzicht erfüllt sein müssen(Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 27. 1. 2004 – 1 AZR 148/03 -, BB 2004, 1282 = NZA 2004, 667).

 

Der Fall:

 

Der klagende Arbeitnehmer war bereits seit 1958 als Konstrukteur bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt Anwendung. Nach § 19 des Manteltarifvertrages sind alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen. Die Tarifverträge selbst waren im Betrieb der Beklagten nicht ausgelegt.

 

Der Kläger schloss am 1. März 2000 mit dem Arbeitgeber und dem Initiativkreis Arbeitsbeschaffung, einer betriebsorganisatorisch selbständigen Einheit des Arbeitgebers, einen Aufhebungs- und Arbeitsvertrag. Inhalt dieses Vertrages war die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu dem bisherigen Arbeitgeber und die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses mit dem Initiativkreis. Gleichzeitig wurde Kurzarbeit Null vereinbart und das Einkommen in Höhe von 80 % des bisherigen Nettogehalts gesichert. In § 10 des Aufhebungs- und Arbeitsvertrages wurde weiter folgendes vereinbart:

 

„Mit dieser Vereinbarung sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bestehend bis zum 29. Februar 2000 und anlässlich dessen Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt. Mit der Zustimmung zu diesem Vertrag nimmt die Firma den Verzicht an.“

 

In der Firma existierte weiter ein Sozialplan. Dieser sah für Mitarbeiter, die infolge der ungünstigen Auftragslage und des auch künftig zu erwartenden negativen Betriebsergebnisses entlassen werden mussten, Abfindungen vor. Für den Arbeitnehmer hätte die Abfindung insgesamt 40.071,00 DM betragen.

 

Mit seiner ein Jahr nach dem Abschluss des Aufhebungs- und Arbeitsvertrages beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage machte der Arbeitnehmer die Sozialplanabfindung geltend. Der in § 10 des Vertrages vereinbarte weite Verzicht sei unwirksam. Zudem werde der Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan auch nicht von der tariflichen dreimonatigen Ausschlussfrist erfasst.

 

Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, der Klage jedoch nur teilweise stattgegeben.

 

Die Entscheidung:

 

Die Revision des Arbeitgebers war erfolgreich.

 

I. Voraussetzungen für einen wirksamen Verzicht auf eine Sozialplanabfindung

 

Ein Sozialplan hat gem. § 112 Abs. 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) die Wirkung einer Betriebsvereinbarung. Auf Sozialplanansprüche kann damit nicht ohne Weiteres verzichtet werden. Vielmehr ist ein Verzicht auf einen Sozialplananspruch gem. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG grundsätzlich nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam.

 

Aber: Für diese erforderliche Zustimmung gelten die §§ 182 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Zustimmung kann daher vorher als Einwilligung (§ 183 BGB) oder auch nachträglich als Genehmigung (§ 184 BGB) erteilt werden. Formvorschriften bestehen insoweit nicht.

 

Der Betriebsrat muss aber unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er mit dem Verzicht einverstanden ist. Dies setzt einen ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats gem. § 33 BetrVG voraus. Zudem kann die Zustimmung nur jeweils für den einzelnen konkreten Verzicht des Arbeitnehmers erteilt werden. Eine generelle Einwilligung des Betriebsrats in den Verzicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung ist in der Regel abzulehnen.

 

II. Ausgleichsklausel und Aufhebungsvertrag

 

Die Vereinbarung einer allgemeinen Ausgleichsklausel in einem Aufhebungsvertrag ist damit nicht ausreichend, um auf einen Sozialplananspruch wirksam verzichten zu können. Selbst wenn die Parteien des Aufhebungsvertrages den Verzicht sogar ausdrücklich im Sinn hatten, bedarf es doch nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG der notwendigen Zustimmung des Betriebsrats. Liegt diese Zustimmung nicht vor, ist der Verzicht insoweit unwirksam. Der Sozialplananspruch besteht mithin fort.

 

So lag der Fall hier. Dem in § 10 Abs. 1 des Aufhebungsvertrages vereinbarten Verzicht unterfällt auch der Sozialplananspruch. Der Verzicht ist denkbar weit formuliert. Erledigt werden sollten sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund.

 

Einschränkung: Günstigkeitsprinzip!

 

Ausnahmsweise führt ein Verzicht bei fehlender Zustimmung des Betriebsrats nicht zur Unwirksamkeit. Dies ist dann der Fall, wenn der Verzicht zugunsten des Arbeitnehmers wirkt. Dies setzt einen Günstigkeitsvergleich voraus. Ist allerdings nicht zweifelsfrei feststellbar, dass die Abweichung für den einzelnen Arbeitnehmer günstiger ist, bleibt es bei der zwingenden Geltung der Betriebsvereinbarung.

 

Vorliegend scheiterte ein Günstigkeitsvergleich schon daran, dass die im Sozialplan vorgesehene Abfindung keine Gegenleistung des Arbeitnehmers voraussetzte. Auch finanziell war die Sozialplanabfindung günstiger als die abgeschlossene Vereinbarung. Das Günstigkeitsprinzip kam damit nicht zum Tragen.

 

III. Ausschlussfristen gelten

 

Der Anspruch auf die Sozialplanabfindung war jedoch wegen Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist erloschen. Ausschlussfristen erfassen auch Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung. Der Anwendbarkeit der Ausschlussfrist steht auch nicht entgegen, dass der Manteltarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis nicht kraft beiderseitiger Tarifbindung, sondern lediglich aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung fand. Die Tatsache, dass der Arbeitgeber gegen die in § 8 Tarifvertragsgesetz (TVG) normierte Pflicht, die für den Betrieb maßgeblichen Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen, verstoßen hatte, hinderte die Anwendung der tarifvertraglichen Ausschlussfrist ebenfalls nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei § 8 TVG um eine sanktionslose Ordnungsvorschrift.

 

Fazit:

 

Der Arbeitnehmer hatte damit zwar materiell einen Sozialplananspruch erworben; dieser war auch durch den allgemeinen Verzicht in dem Aufhebungsvertrag nicht erloschen. Allerdings war der Anspruch wegen der Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist nicht mehr durchsetzbar.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Die Vorschrift des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG ist in der betrieblichen Praxis nach unserer Erfahrung weitgehend unbekannt. In vielen Fällen werden allgemeine Ausgleichsklauseln mit dem Ziel vereinbart, jedwede Ansprüche auszuschließen. Dabei werden nicht nur Abfindungsansprüche von dem Zustimmungsgebot erfasst, sondern auch andere Ansprüche der Arbeitnehmer, die in Sozialplänen vereinbart werden. Wir können daher nur dringend empfehlen, in solchen Fällen dem Betriebsrat die Vereinbarung zur Zustimmung bzw. Einwilligung vor Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung vorzulegen.

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

 

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