17.07.2004 -

Betriebsübergang und kein Ende. Es kommt immer wieder zu Sachverhaltskonstellationen, die in § 613 a BGB nicht geregelt sind. Ohne genaue Kenntnis der Rechtsprechung können daher der Betriebsübergang und seine Auswirkungen nicht beurteilt werden. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun mit der Frage zu befassen, wie zügig das Fortsetzungsverlangen eines ungekündigten Arbeitnehmers gegenüber dem Betriebserwerber geltend gemacht werden muss bzw. unter welchen Voraussetzungen das Verlangen verwirkt ist (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 18. 12. 2003 – 8 AZR 621/02 -).

 

Der Fall (verkürzt):

 

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wurde ein schwerbehinderter Arbeitnehmer als technischer Betriebsleiter beschäftigt. Der eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter stellte diesen Arbeitnehmer mit Schreiben vom 31. Mai 2001 mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von der Arbeit frei. Eine zwei Wochen später nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgesprochene Kündigung des Insolvenzverwalters wurde von diesem nach Hinweis auf die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers Anfang Juli widerrufen. In dem Widerruf wiederholte der Insolvenzverwalter die Freistellung des Klägers von der Arbeitsleistung.

 

Der Arbeitnehmer erhob mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2001, also 4 ½ Monate nach der Freistellung, Klage. Er machte geltend, sein Arbeitsverhältnis sei aufgrund eines Betriebsübergangs bereits seit dem 1. Juni 2001 auf einen neuen Arbeitgeber zu unveränderten Bedingungen übergegangen. Der Betriebserwerber habe den Geschäftsbetrieb der Betriebstätte unverändert weitergeführt und sämtliche Mitarbeiter dieser Betriebsstätte außer ihm übernommen. Dabei habe er von dem Betriebsübergang zunächst nichts gewusst und sei davon ausgegangen, der Insolvenzverwalter werde ihm mit einer Zustimmung der Hauptfürsorgestelle (jetzt Integrationsamt) eine neue Kündigung aussprechen. Erst später habe er von dem Betriebsübergang erfahren.

 

Der beklagte Betriebserwerber bestritt den Betriebsübergang. Zudem habe es der Arbeitnehmer versäumt, unverzüglich seine Weiterbeschäftigung geltend zu machen. Die Klage sei daher verwirkt.

 

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen in der Berufung der Klage stattgegeben.

 

Die Entscheidung:

 

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Revision die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt.

 

I. Betriebsteilübergang

 

Die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs sollen an dieser Stelle nicht im Einzelnen dargestellt werden. Notwendig ist, dass ein neuer Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Dies kann sowohl durch die Übernahme der Betriebsmittel als auch durch die Übernahme einer Gesamtheit von Arbeitnehmern geschehen. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Auftragnehmer ohne Übernahme der wesentlichen Betriebsmittel oder – in betriebsmittelarmem Betrieben – der Hauptbelegschaft noch keinen Betriebsübergang dar. In solchen Fällen handelt es sich lediglich um eine reine Funktionsnachfolge, an die Rechtsfolgen nicht geknüpft sind.

 

Der Übergang eines Betriebsteils steht für dessen Arbeitnehmer dem Betriebsübergang gleich. Auch beim Erwerb eines Betriebsteils ist es erforderlich, dass die übernommene wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Bei den übertragenen sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln muss es sich um eine organisatorische Untergliederung handeln, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird, auch wenn es sich nur um eine untergeordnete Hilfsfunktion handelt.

 

Dabei müssen die übernommenen Betriebsmittel bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils haben. Eine bloße Wahrnehmung der gleichen Funktion beim Erwerber mit dessen eigenem Personal reicht also für einen Betriebsteilübergang nicht aus. Voraussetzung ist, dass der entsprechende Bereich beim Veräußerer also organisatorisch verselbständigt war.

 

Diese Voraussetzungen eines Betriebsteils waren vorliegend, ohne hier auf die weiteren Details einzugehen, erfüllt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers war also als technischer Betriebsleiter grundsätzlich gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Betriebserwerber mit allen Rechten und Pflichten unverändert übergegangen.

 

II. Verwirkung des Fortsetzungsverlangens

 

Die Geltendmachung eines Betriebsübergangs durch den Arbeitnehmer kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (wie jeder andere Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis) verwirkt werden. Die Verwirkung tritt ein, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums den Anspruch erhebt und dadurch beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen hat, dieser werde nicht mehr in Anspruch genommen. Es müssen damit ein Zeitmoment und ein so genanntes Umstandsmoment erfüllt sein. Für den Vertrauenstatbestand ist es dabei zusätzlich erforderlich, dass dem Verpflichteten (Betriebserwerber) die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zugemutet werden kann. Dies setzt regelmäßig voraus, dass bereits aufgrund des Vertrauens irgendwelche Dispositionen vorgenommen oder unterlassen wurden.

 

Von den bislang entschiedenen Fällen unterscheidet sich die vorliegende Konstellation dadurch, dass der Arbeitnehmer nicht bereits betriebsbedingt gekündigt worden war. Vielmehr war er lediglich freigestellt. Die Kündigung hatte der Insolvenzverwalter ausdrücklich zurückgenommen. Nach einer älteren Entscheidung (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 12. 11. 1998 – 8 AZR 265/97 -, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = EzA Nr. 171 zu § 613 a BGB) des Bundesarbeitsgerichts muss ein Arbeitnehmer, dem wirksam betriebsbedingt gekündigt worden ist, nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen (z.B. durch nachträgliche Einstellung der organisierten Hauptbelegschaft) sein Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Betriebserwerber unverzüglich geltend machen.

 

Ist ein Arbeitsverhältnis aber gar nicht – wie vorliegend – gekündigt, geht es aufgrund § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Betriebserwerber über. Ein besonderer Vertrauenstatbestand konnte dabei bei dem Erwerber nicht entstehen. Der Arbeitnehmer war am 31. Mai 2001 mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von der Arbeit freigestellt worden. Diese Freistellung ist auch gegenüber dem Betriebserwerber wirksam. Der Arbeitnehmer musste also diesem gegenüber seine Arbeit nicht nochmals anbieten. Im Übrigen hatte der Insolvenzverwalter die zwei Wochen später ausgesprochene Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes widerrufen. Angesichts dessen konnte daher der Betriebserwerber nicht darauf vertrauen, der Arbeitnehmer werde die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 2001 hinnehmen. Dispositionen wurden ebenfalls nicht getroffen.

 

Der Betriebserwerber war daher aufgrund des berechtigten Fortsetzungsverlangens verpflichtet, den Arbeitnehmer wegen des Teilbetriebsübergangs weiterzubeschäftigen.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Die Entscheidung macht deutlich, dass im Rahmen eines Betriebsübergangs vielfältige Gefahren drohen. Dies gilt umso mehr, wenn die Beteiligten übereinstimmend davon ausgehen, ein Betriebsübergang liege gar nicht vor. Dies kann nachträglich zu bösen Überraschungen führen, wenn nämlich eine Vielzahl von Arbeitnehmern den Übergang des Arbeitsverhältnisses geltend machen. Diese unhaltbaren wirtschaftlichen Folgen können in einem Kaufvertrag zwischen den beteiligten Arbeitnehmern geregelt werden. Wir empfehlen dennoch dringend, die Vorschrift des § 613 a BGB nicht zu unterschätzen und bereits im Vorfeld realistisch zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs gegeben sind.

  

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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