19.03.2019 -

Das Direktionsrecht des Arbeitgebers bezieht sich bekanntlich nicht nur auf Inhalt und Zeit der Arbeitsleistung, sondern auch auf den Ort (vgl. § 106 GewO). Der Arbeitgeber ist deshalb bei vereinbartem Direktionsrecht berechtigt, einem Arbeitnehmer auch einen anderen Arbeitsort zuzuweisen. Dabei muss aber billiges Ermessen beachtet werden. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat dazu entschieden, dass die kurzfristige Weisung, sich am nächsten Tag um 7.00 Uhr früh an einem 170 km entfernten Ort einzufinden, unzumutbar sein kann (LAG Berlin-Brandenburg v. 17.11.2017, 2 Sa 965/17).

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass es nicht nur auf das vorhandene Direktionsrecht ankommt, sondern im Einzelfall stets geprüft werden muss, ob die Grenzen billigen Ermessens noch gewahrt sind.


Der Arbeitgeber ist bei vorhandenem Direktionsrecht dazu berechtigt, einem Arbeitnehmer auch einen anderen Arbeitsort zuzuweisen, muss dabei jedoch stets die Grenzen billigen Ermessens wahren. (Copyright: anyaberkut/stock.adobe.com)

Der Fall:

Der Kläger ist als Lagerarbeiter bei dem beklagten Arbeitgeber, einem Logistikunternehmen, seit 1. August 2016 für ein Bruttomonatsgehalt von 2.200,00 € beschäftigt. Der Arbeitnehmer wohnt ca. 6 km vom Firmensitz entfernt, mit dem Auto in 6 Minuten zu erreichen.

Im Arbeitsvertrag befindet sich folgende Klausel:

„Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer entsprechend seinen Leistungen und Fähigkeiten mit einer anderen im Interesse des Arbeitgebers liegenden gleichwertigen Aufgabe betrauen, an einen anderen Ort sowie vorübergehend auch bei einem anderen Konzernunternehmen einsetzen.“

Die Parteien führten vor dem Arbeitsgericht Potsdam einen Kündigungsrechtsstreit. In der Güteverhandlung am 24. April 2017 nahm der Arbeitgeber die Kündigung zurück und forderte den Kläger auf, sich am nächstfolgenden Tag um 7.00 Uhr früh in der Niederlassung in Dresden zur Arbeit zu melden. Die Niederlassung in Dresden befindet sich ca. 170 km entfernt vom bisherigen Arbeitsort und ist mit dem Auto bei üblicher Verkehrslage in ca. einer Stunde und 45 Minuten zu erreichen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln benötigt man ca. 4 Stunden und 50 Minuten.

Am folgenden Tag erschien der Kläger nicht in Dresden, sondern am bisherigen Firmensitz und Arbeitsort. Er meinte, dass er nicht verpflichtet sei, in Dresden zu arbeiten. Er erhielt deshalb eine Abmahnung. Nachdem er ca. 1,5 Stunden am Firmensitz nicht beschäftigt wurde, ging er nach Hause. Auch deshalb erhielt er eine Abmahnung. Es folgte eine weitere Abmahnung, weil er sich nicht in Dresden eingefunden hätte. Als der Kläger auch am Folgetag nicht in Dresden erschien, sondern erneut am Firmensitz, erklärte der Arbeitgeber eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Die Kündigung war sowohl als fristlose als auch als ordentliche Kündigung unwirksam.

I. Direktionsrecht

Mitarbeiter sind nur dann verpflichtet, einen anderen Arbeitsort aufzusuchen und dort ihre Arbeit zu verrichten, wenn arbeitsvertraglich ein Direktionsrecht vereinbart ist. Das Direktionsrecht kann sich auch aus einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzlichen Vorschriften ergeben. Die maßgebliche Vorschrift für das Direktionsrecht ist § 106 Gewerbeordnung (GewO).

Hinweis für die Praxis:

Fehlt es generell an der Festlegung des Inhalts und des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang des Weisungsrechts regelmäßig direkt aus § 106 GewO. Der Praxis ist zu empfehlen, den Wortlaut des § 106 GewO im Arbeitsvertrag zu wiederholen. Dann besteht ein umfassendes Direktionsrecht.

II. Wahrung des billigen Ermessens

Wird das Direktionsrecht ausgeübt, der Mitarbeiter also an einen anderen Ort versetzt, erfolgt die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen. Dies verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen. Aber: Eine soziale Auswahl entsprechend § 1 Abs. 3 KSchG muss nicht stattfinden.

Hinweis für die Praxis:

Das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers an kurzen Pendelzeiten und geringem finanziellen Aufwand ist im Rahmen der Abwägung ein wesentliches Kriterium. Maßgeblich sind aber die dienstlichen Gründe des Arbeitgebers. Bei wichtigen dienstlichen Gründen können längere Pendelzeiten zumutbar, bei Gründen von geringem Gewicht können bereits kürzere Pendelzeiten unzumutbar sein. Feste Grenzen lassen sich generalisierend nicht definieren.

III. Disziplinierung kein Kriterium

Das Landesarbeitsgericht hat hier die Leistungsbestimmung, sich am nächsten Tag an einem 170 km entfernten anderen Arbeitsort einzufinden, als Disziplinierung des Arbeitnehmers angesehen. Betriebliche Notwendigkeiten wurden von dem Arbeitgeber nicht vorgetragen. Am selben Tag, als die Kündigung im ersten Arbeitsgerichtsprozess der Parteien zurückgenommen wurde, wurde dem Kläger um 13.00 Uhr aufgegeben, am nächsten Tag um 7.00 Uhr früh in Dresden anzufangen. Bereits dies indiziert einen Rechtsmissbrauch des Arbeitgebers. Das Landesarbeitsgericht hat daher zutreffend die Kündigung als unwirksam erachtet.

Fazit:

Für den Arbeitnehmer liegt das Risiko bei unbilligen Weisungen meist darin, dass er im Vorhinein – ohne gerichtliche Entscheidung – nicht einschätzen kann, ob die Weisung wirksam oder ermessensfehlerhaft ist. Zwar muss nach der neusten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine unbillige Weisung nicht befolgt werden. Dennoch trägt das Einschätzungsrisiko der Arbeitnehmer. Arbeitnehmern ist daher stets zu empfehlen, auch unbilligen Weisungen vorsorglich Folge zu leisten, um Rechtsnachteile zu vermeiden. Arbeitgeber sollten bei belastenden Weisungen darauf achten, einen angemessenen Vorlauf einzuräumen, damit der Arbeitnehmer sich auf die geänderten Umstände einstellen kann.

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