26.03.2019 -

Die Pflicht zu amtsärztlichen Untersuchungen ist in verschiedenen Tarifverträgen vorgesehen. Mitarbeiter müssen unter bestimmten Voraussetzungen z.B. ihre Arbeitsfähigkeit prüfen lassen oder es muss bestätigt werden, dass sie frei von ansteckenden Krankheiten sind. Vielen Arbeitnehmern sind aber solche Untersuchungen nicht angenehm und sie verweigern oftmals die Mitwirkung oder lehnen eine Untersuchung gänzlich ab. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu entschieden, dass eine solche Verweigerung eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann (BAG v. 25.1.2018, 2 AZR 382/17). Wir möchten die Kernaussagen der sehr langen Entscheidung für die Praxis besprechen und vorstellen.


Verweigert sich ein Arbeitnehmer einer amtsärztlichen Untersuchung, kann dies laut BAG die fristlose Kündigung rechtfertigen. (Copyright: Halfpoint/stock.adobe)

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer ist 1965 geboren und als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er ist bei der beklagten Krankenkasse bereits seit Oktober 1997 als Sachbearbeiter in der Pflege-Abrechnung beschäftigt. Im Wesentlichen hatte er in dieser Funktion die Aufgabe, Rechnungen zu bearbeiten.

Auf das Arbeitsverhältnis fand ein Manteltarifvertrag u.a. mit folgender Regelung Anwendung:

„§ 5 Ärztliche Untersuchung

(2) Der Arbeitgeber kann bei gegebener Veranlassung durch den Medizinischen Dienst oder das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob Beschäftigte arbeitsfähig oder frei von ansteckenden Krankheiten sind. Von der Befugnis darf nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden.

…“

Nach Personalgesprächen über den Umfang seiner Arbeitsleistung teilte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit, dass er beabsichtige, ihn nach § 5 Abs. 2 des Tarifvertrages beim Gesundheitsamt auf seine Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen. Der Kläger lehnte die erste Einladung zu einer amtsärztlichen Untersuchung für den 24. Februar 2015 ab. Er wurde daraufhin abgemahnt. Eine weitere Einladung lehnte er ebenfalls ab und wurde erneut abgemahnt. Schließlich lehnte er auch einen dritten vorgesehenen Untersuchungstermin ab.

Daraufhin beantragte der Arbeitgeber die Zustimmung zur fristlosen Kündigung beim zuständigen Integrationsamt. Die Zustimmung wurde erteilt. Im Anschluss wurde unverzüglich fristlos gekündigt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es fehle an einem wichtigen Grund für die fristlose Kündigung. Er sei nicht verpflichtet gewesen, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

Der Arbeitgeber hat hingegen die wiederholte Weigerung des Klägers, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, als ausreichenden Grund für eine fristlose Kündigung angesehen. Er habe nur ca. 10 bis 20 % des Bearbeitungszustandes seiner Kollegen erreicht. An einigen Arbeitstagen habe er sogar gar keine einzige Rechnung bearbeitet, an anderen nur sehr wenige. Dies und weitere Umstände hätten erhebliche Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit begründet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage hingegen stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben, den Rechtsstreit aber nicht entschieden, sondern zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Tarifvorschrift zulässig

Das Bundesarbeitsgericht hat die tarifliche Vorschrift für zulässig erachtet. Unter den tariflich gegebenen Voraussetzungen kann der Arbeitgeber eine ärztliche Untersuchung anordnen. Die Durchführung eines vorherigen Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX a.F. (seit 1. Januar 2018: § 167 Abs. 1 SGB IX) ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Die Tarifnorm setzt nicht notwendig voraus, dass der Arbeitgeber vor Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit eines schwerbehinderten Beschäftigten ein Präventionsverfahren durchgeführt hat. Dies gilt auch dann, wenn Minderleistungen des schwerbehinderten Arbeitnehmers Anlass für Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit sind.

Das Präventionsverfahren und das ärztliche Untersuchungsverfahren nach dem Tarifvertrag stehen nicht in einem Rangverhältnis, sondern ergänzen einander. Insbesondere kann die „Arbeitsfähigkeit“ eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht durch die Einschaltung der in § 167 SGB IX genannten Institution geklärt werden.

Hinweis für die Praxis:

Arbeitgeber haben zudem nicht die Möglichkeit, gegenüber dem Arbeitnehmer anzuordnen, sich einer Untersuchung durch den Betriebsarzt zu unterziehen. Arbeitsmedizinische Untersuchungen durch den Betriebsarzt erfolgen vielmehr regelmäßig auf freiwilliger Basis. Die Tarifvorschrift hingegen verpflichtet den Arbeitnehmer, bei gegebener Veranlassung an der Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken.

II. Verweigerung als fristloser Kündigungsgrund?

Die Verletzung einer tarifvertraglich geregelten Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitnehmers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Sie kann daher je nach den Umständen geeignet sein, eine auch außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht noch nicht entscheiden können, ob die Kündigung wirksam ist. So fehlte es noch an einigen Feststellungen zum Tatbestand und zu den berechtigten Zweifeln des Arbeitgebers. Auch gab es Unklarheiten im Hinblick auf eine bestehende Dienstvereinbarung und zur Zulässigkeit von EDV-gestützten Auswertungen. Schließlich hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass den Arbeitgeber eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast trifft, wenn er kein Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX durchführt. Hier gelten die ähnlichen Grundsätze wie bei einem unterlassenen BEM-Verfahren.

Fazit:

Auch wenn das Bundesarbeitsgericht die Wirksamkeit nicht abschließend entschieden hat, sind der Entscheidung doch wertvolle Hinweise zu entnehmen. So kann die Verletzung von tarifvertraglichen Nebenpflichten, dazu gehört auch die Pflicht, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, einen wichtigen Kündigungsgrund für eine fristlose Kündigung darstellen. Dies gilt sogar bei unkündbaren Arbeitnehmern. Besondere Sorgfalt ist aber bei der vorherigen Durchführung von Präventionsverfahren bei schwerbehinderten Menschen anzuwenden. Zur Absicherung sollten alle Versuche unternommen werden, um mildere Mittel festzustellen und anzuwenden. Die fristlose Kündigung ist ultima ratio. Arbeitgeber sollten daher alle denkbaren Präventionsverfahren durchführen und die Maßnahmen genau dokumentieren.

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