16.04.2019 -

In Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung entscheidet die Einigungsstelle, wenn die Betriebspartner nicht zu einer Einigung kommen. Die Besetzung der Einigungsstelle erfolgt entweder einvernehmlich oder in dem besonderen Verfahren nach § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). In diesem Verfahren bestimmt das Arbeitsgericht den Einigungsstellenvorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer. Wer aber wird als Vorsitzender eingesetzt? Ist das Arbeitsgericht an den Antrag einer Seite gebunden und gilt insoweit das Windhundprinzip? Das LAG Baden-Württemberg hat diese interessante und für die Praxis äußerst wichtige Frage entschieden (LAG Baden-Württemberg, Beschluss v. 28. September 2017 – 12 TaBV 7/17).


Kommt eine Einigung zwischen den Betriebspartnern nicht zustande, muss das Arbeitsgericht in dem beschleunigten und speziellen Verfahren des § 100 ArbGG die Einigungsstelle einsetzen. (Copyright: metamorworks/stock.adobe.com)

Der Fall:

Die Arbeitgeberin betreibt ein Linienbusunternehmen und bedient mit ihren Bussen regionale Strecken. Der am Verfahren beteiligte Betriebsrat ist sowohl für die Verwaltung als auch für die Niederlassungen zuständig.

Die Arbeitgeberin hat für bestimmte Niederlassungen beschlossen, sich nicht mehr an Neuausschreibungen von Verkehrsleistungen zu beteiligen. Dies führt zum Wegfall von zahlreichen Arbeitsplätzen.

Die Betriebspartner verhandelten in fünf Runden über den Abschluss eines Interessenausgleichs zum Beschluss der Geschäftsführung und den Abschluss eines Sozialplans. Sie konnten keine Einigung erzielen. Die Arbeitgeberin erklärte daraufhin die Verhandlungen für gescheitert und rief die Einigungsstelle an. Sie schlug einen bestimmten Vorsitzenden der Einigungsstelle vor und die Anzahl der Beisitzer sollte auf jeder Seite vier betragen. Der Betriebsrat hingegen schlug ohne nähere Begründung einen anderen Vorsitzenden vor. Zudem sollte die Anzahl der Beisitzer fünf betragen. Es sei notwendig, dass der Betriebsrat von den drei Mitgliedern der Verhandlungskommission, einem Gewerkschaftssekretär und der bevollmächtigten Rechtsanwältin vertreten werde. Die Beteiligten konnten sich nicht über die Besetzung der Einigungsstelle einigen.

Die Arbeitgeberin beantragte daraufhin beim zuständigen Arbeitsgericht im Verfahren nach § 100 ArbGG die Benennung des vorgeschlagenen Vorsitzenden zur Einigungsstelle und die Besetzung der Einigungsstelle mit vier Beisitzern. Der Betriebsrat hingegen beantragte, zum Vorsitzenden der Einigungsstelle eine andere Person, den eigenen Vorschlag, zu benennen. Ferner sollte die Anzahl der Beisitzer auf fünf festgesetzt werden.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen der Arbeitgeberin stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts im vollen Umfang bestätigt.

I. Vetorecht der Betriebspartner?

Die Einigungsstelle wird in dem Verfahren nach § 100 ArbGG, wenn die Betriebspartner sich nicht einigen können, durch das Arbeitsgericht festgesetzt. Das Arbeitsgericht ist nicht an die Anträge der Betriebspartner gebunden. Im vorliegenden Fall hat das Arbeitsgericht aber dem Antrag der Arbeitgeberin im vollen Umfang stattgegeben und auch die von der Arbeitgeberseite benannte Person zum Einigungsstellenvorsitzenden benannt.

Ein Vetorecht des Betriebsrats hat das LAG abgelehnt. Es entspricht nach Auffassung des LAG dem Grundgedanken des § 76 BetrVG, dass primär die Betriebspartner und nicht ein Gericht über die Zusammensetzung der Einigungsstelle entscheiden. Daher darf das Gericht bei seiner Entscheidung zunächst auf die von den Betriebspartnern benannten Personen zurückgreifen. Die Tatsache, dass das Arbeitsgericht nicht an die Anträge der Betriebspartner gebunden ist, bedeutet nicht, dass diese unbeachtlich sind und eine antragsgemäße Entscheidung ausgeschlossen ist.

Hinweis für die Praxis:

Damit hat das LAG zunächst klargestellt, dass ein Vetorecht des Betriebsrats nicht per se dazu führt, dass ein dritter Einigungsstellenvorsitzender benannt werden müsste.

II. Entscheidungskriterien

Die Arbeitsgerichte können bei der Entscheidung über die Besetzung der Einigungsstelle sachliche Gesichtspunkte berücksichtigen. So spielt die örtliche Nähe zum Betriebssitz für die Besetzung der Einigungsstelle eine große Rolle. Die örtliche Nähe ermöglicht eine erhöhte Flexibilität bei Terminierungen und nicht absehbaren Überschreitungen der geplanten Verhandlungsdauer. Auch Branchenkenntnisse, die hier gegeben waren, sind ein sachliches Kriterium.

III. Vetorecht nur bei Sachargumenten

Das LAG führt weiter aus, dass ein Veto eines der Betriebspartner, hier des Betriebsrats, bei der Entscheidung über den Vorsitz der Einigungsstelle nur dann berücksichtigt werden kann, wenn es näher dargelegt wird. Ein nicht näher dargelegtes Veto widerspreche dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit, § 2 Abs. 1 BetrVG. Dem gerichtlichen Verfahren kommt daher einem Veto, wenn es nicht begründet wird, kein Aussagewert zu. Insbesondere kann aus ihm nicht geschlossen werden, der Betriebspartner, der es ausgesprochen hat, habe kein Vertrauen in die fachliche oder persönliche Eignung der von der Gegenseite benannten Person.

Hinweis für die Praxis:

Die Ablehnung eines von der Gegenseite vorgeschlagenen Vorsitzenden hat in der Praxis meist viele Gründe. Sie beruht oftmals auf rein taktischen Erwägungen, beispielsweise um Zeit zu gewinnen oder auch neue Verhandlungsgegenstände zu schaffen. Sie erfolgt in vielen Fällen auch allein deshalb, weil Personenvorschläge der Gegenseite generell nicht akzeptiert würden. Sie kann auch darauf beruhen, dass der ablehnende Betriebspartner die von ihm selbst vorgeschlagene Person für besser hält. Schließlich kann die Ablehnung auch aus nachvollziehbaren Gründen erfolgen, insbesondere, weil tatsächlich kein Vertrauen in die von der Gegenseite benannte Person besteht.

IV. Windhundprinzip unbeachtlich

Die Befürchtung, es könne dann zu einem „Wettlauf“ um den ersten Antrag kommen, steht dem nicht entgegen. Es gibt nach Ansicht des LAG keinen Grund, einem solchen Wettlauf (Windhundprinzip) vorzubeugen. Die gesetzlichen Regelungen in den §§ 76 BetrVG und 100 ArbGG sehen gerade eine schnelle gerichtliche Entscheidung vor und unterstützen damit diesen Wettlauf.

Fazit:

Kommt eine Einigung zwischen dem Betriebspartner nicht zustande, muss das Arbeitsgericht in dem beschleunigten und speziellen Verfahren des § 100 ArbGG die Einigungsstelle einsetzen. Argumente gegen die Anzahl der Beisitzer und den Vorsitzenden der Einigungsstelle sind oftmals nicht sachlicher Natur, sondern beruhen auf taktischen Erwägungen, meist um schlicht den Vorschlag der Gegenseite nicht zu akzeptieren. Der Beschluss des LAG wirkt diesem Trend entgegen. Wird ein vorgeschlagener Einigungsstellenvorsitzender ohne nähere Begründung abgelehnt, muss das Arbeitsgericht diese Ablehnung für die gerichtliche Ermessensentscheidung nicht berücksichtigen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass andere Instanzgerichte dies bereits anders entschieden haben, insbesondere das LAG Düsseldorf (LAG Düsseldorf, Beschluss v. 25. August 2014 – 9 TaBV 39/14). In der Praxis ist dennoch zu empfehlen, Ablehnungsgründe sachlich zu begründen, um dem Gericht eine angemessene Entscheidungsgrundlage zu ermöglichen.

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