17.09.2019 -

Besteht kein Betriebsrat, müssen auch keine Beteiligungsrechte beachtet werden. Schwierige Abgrenzungsfragen können sich aber dann stellen, wenn ein Betriebsrat neu gegründet wird und während der laufenden Wahl oder im Vorfeld bereits mitbestimmungspflichtige Entscheidungen getroffen werden. Besteht dann rückwirkend eine Beteiligungspflicht für den Betriebsrat? Welche Rechte kann der Betriebsrat geltend machen? Mit diesen schwierigen Fragen hatte sich nun das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in einem aktuellen Beschluss zu befassen (LAG Berlin-Brandenburg v. 05.07.2018, 26 TaBV 1146/17).


Das BetrVG sieht keine rückwirkende Beteiligungspflicht für bereits getroffene Entscheidungen, wenn ein Betriebsrat neu gegründet wird. (Copyright: fizkes/istockphoto)

Der Fall (verkürzt):

Die Betriebsparteien streiten darüber, ob dem Betriebsrat im Zusammenhang mit einer Prämienzahlung für das Jahr 2015 noch ein Mitbestimmungsrecht zusteht.

Die Arbeitgeberin zahlte an die Belegschaftsmitglieder bereits seit dem Jahre 2012 jährlich Prämien. Im November 2015 wurde der Betriebsrat erstmalig gewählt. Im Monatsgespräch am 30. März 2016 teilte die Arbeitgeberin mit, sie werde den Betriebsrat bei der Bestimmung der Kriterien für die anstehende Prämienzahlung im Jahre 2016 beteiligen. Eine rückwirkende Beteiligung für das Jahr 2015 erfolgte nicht mehr.

Nach dem Jahresabschluss für das Jahr 2015 zahlte die Arbeitgeberin Mitte 2016 die Prämien für das Jahr 2015 aus.

Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, ihm stehe hinsichtlich der Prämienzahlung für das Jahr 2015 noch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu, da die Auszahlung im Jahre 2016 erfolgt sei.

Die Arbeitgeberin hat dazu die Auffassung vertreten, für das Jahr 2015 sei durch Beschluss der Geschäftsführung schon am 9. September 2015 die maßgebliche Verteilungssystematik beschlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Betriebsrat noch nicht konstituiert gewesen. Ihm stehe daher für die Prämienzahlung 2015 kein Mitbestimmungsrecht zu.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrates mit dieser Begründung zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Beteiligungsrechte und Existenz des Betriebsrats

Beteiligungsrechte des Betriebsrates und Ansprüche der Arbeitnehmer aus einer Verletzung dieser Beteiligungsrechte knüpfen an die Existenz eines Betriebsrates im Zeitpunkt des Entstehens der Beteiligungsrechte an. Die Beteiligungsrechte und damit die Pflicht des Arbeitgebers, den Betriebsrat zu beteiligen, entstehen in dem Moment, in dem sich derjenige Tatbestand verwirklicht, an den das Beteiligungsrecht anknüpft. Dem steht nicht entgegen, dass spätere Maßnahmen des Arbeitgebers der Beteiligung eines jetzt bestehenden Betriebsrates unterliegen. Diese Maßnahmen erfüllen ggf. neue und andere Beteiligungstatbestände. Aus ihrer Beteiligungspflichtigkeit folgt daher nicht, dass auch die vorausgegangene geplante Maßnahme nachträglich einer Beteiligung des Betriebsrats unterworfen werden muss.

II. Bereits getroffene Entscheidungen der Geschäftsführung

Hier existierte zum Zeitpunkt der Festlegung der Kriterien für die Prämie 2015 der Betriebsrat noch nicht. Das Arbeitsgericht hat durch Vernehmung des Geschäftsführers festgestellt, dass die Kriterien für die Prämie 2015 bereits im September 2015 festgestanden hatten. Die Ausführungen des Geschäftsführers der Arbeitgeberin waren für das Arbeitsgericht glaubhaft und glaubwürdig.

Mit der Wahl des Betriebsrates erst im November 2015 bestand damit wegen der bereits getroffenen Entscheidung im September 2015 kein Raum mehr für eine Mitbestimmung. Auf den Auszahlungszeitpunkt kommt es nicht an. Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG knüpft nicht an die Auszahlung, sondern an die Mitbestimmung im Hinblick auf die Verteilungsgerechtigkeit der Entlohnungsgrundsätze. Maßgeblich ist daher die dazu ergangene inhaltliche Entscheidung aus September 2015.

Hinweis für die Praxis:

Etwas Anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn die Arbeitgeberin im unmittelbaren Vorfeld einer Betriebsratswahl und vor Konstituierung grundsätzlich aufschiebbare Maßnahmen noch einseitig durchführt. Dies kann dann dem Grundsatz einer vertrauensvollen Zusammenarbeit widersprechen. Vorliegend gab es dafür aber keine Anhaltspunkte, da die Prämie bereits seit 2012 jährlich ausgezahlt wurde und sich an den Kriterien auch im Verhältnis zu den Vorjahren nichts geändert hatte.

Fazit:

Das Betriebsverfassungsgesetz sieht eine rückwirkende Beteiligungspflicht für bereits getroffene Entscheidungen, wenn ein Betriebsrat neu gegründet wird, nicht vor. Im Einzelfall kann allerdings der Arbeitgeber gehalten sein, nach der Wahl des Betriebsrates von sich aus die Initiative zu ergreifen, um bestehende Regelungen „mitbestimmungsfest“ zu machen. Dies hängt dann von dem Inhalt der Maßnahme ab und auch von der Frage, ob die Maßnahme fort gilt bzw. neu getroffen werden muss. Dem Betriebsrat kann dazu ein Auskunftsanspruch zustehen.

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