27.11.2019 -

Wir haben bereits über die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Anschluss an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu den neuen Hinweispflichten von Arbeitgebern bei der Urlaubsgewährung berichtet. Nunmehr liegt eine erste Entscheidung eines Instanzgerichts zu dieser Thematik vor. Das Landesarbeitsgericht Köln hat einen Arbeitgeber rückwirkend für drei Jahre zur Zahlung von Urlaubsansprüchen verurteilt (LAG Köln v. 09.04.2019, 4 Sa 242/18). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier besprechen und nochmals eindringlich auf die neuen Anforderungen hinweisen.


Nach der neuen Rechtsprechung muss der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer förmlich unterrichten und auffordern, ihren Urlaub zu nehmen. Ansonsten kann Urlaub, der nicht genommen wurde, nicht verfallen. (Copyright: Thomas Reimer/stock.adobe.com)

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Apotheker für den Zeitraum vom 1. September 2012 bis zum 31. März 2017 als Bote und Helfer beschäftigt. Vereinbart war ein regelmäßiges Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.300,00 € bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden.

§ 4 des Arbeitsvertrages des Klägers lautet wie folgt:

㤠4 Urlaub

1. Der/die Mitarbeiter/in erhält einen Jahresurlaub Ausnahme: Auf Wunsch des Mitarbeiters, Arbeitszeitverkürzung.

2. Der Urlaub ist im jeweiligen Kalenderjahr zu nehmen. Ist dies aus betrieblichen bzw. persönlichen Gründen nicht möglich, kann der Urlaubsanspruch auf das nächstfolgende Kalenderjahr übertragen werden und ist dann bis spätestens zum 31. März zu nehmen. Ist der Urlaub bis dahin, gleich aus welchen Gründen, nicht genommen, verfällt der Anspruch. Die Übertragung bedarf einer schriftlichen Vereinbarung bis zum Ende des Kalenderjahres.“

§ 9 des Arbeitsvertrages lautet auszugsweise wie folgt:

㤠9 Besondere Vereinbarungen

1. […]

2. Auf eigenen Wunsch nimmt Herr S seinen Jahresurlaub in Form von wöchentlicher Arbeitsverküzung. Er arbeitet statt der bezahlten 30 Stunden/Woche 27,5 Stunden/Woche.“

Gemäß § 11 des Arbeitsvertrages mit der Überschrift „Verfallfristen“ sind alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten schriftlich geltend zu machen und im Falle einer Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von weiteren zwei Monaten einzuklagen.

Der Apotheker kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. September 2016 zum 31. März 2017. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 stellte er den Kläger „bis zum 31. März 2017“ von der Arbeit in der Apotheke bedingt frei.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte der Mitarbeiter den Arbeitgeber auf, den Urlaubsanspruch für die Jahre 2014 bis 2017 abzugelten. Der Arbeitgeber lehnte dies ab.

Mit seiner Klage hat der Kläger Schadensersatz für jeweils 22 Urlaubstage für die Jahre 2014, 2015 und 2016 sowie Abgeltung von sechs Urlaubstagen für das Jahr 2017 beansprucht. Der Apotheker habe ihm im laufenden Arbeitsverhältnis gesetzeswidrig keinen Urlaub gewährt. In Form einer Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden pro Woche könne der Erholungsurlaub nicht erfüllt werden. Ausgehend von der Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden pro Woche lasse sich ein Jahresurlaub von 22 Tagen ableiten.

Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, der geltend gemachte Urlaub sei in Natur erfüllt worden. Die Regelung in § 9 Nr. 2 des Arbeitsvertrages sei auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers in den Arbeitsvertrag aufgenommen worden. Im Übrigen seien die Urlaubsansprüche jedenfalls für die Jahre 2014 bis 2016 verfallen. Der Kläger habe keinen Urlaub beantragt, so dass auch ein Schadensersatzanspruch ausscheide.

Das Arbeitsgericht hat der Klage lediglich für den Urlaub für das Jahr 2017 stattgegeben und im Übrigen die Auffassung vertreten, Urlaubsansprüche für die Vorjahre seien bereits verfallen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Urlaubsansprüche auch für die Jahre 2014 bis 2016 in Höhe von jeweils 20 Urlaubstagen im Jahr bejaht.

I. Neue Rechtsprechung

Nach der Rechtsprechung muss der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer förmlich unterrichten und auffordern, ihren Urlaub zu nehmen. Dies hat jährlich zu erfolgen. Fehlen solche klaren Hinweise, kann Urlaub, der nicht genommen wurde, nicht verfallen.

Hinweis für die Praxis:

Wir können der Praxis nur erneut dringend empfehlen, die notwendigen Hinweispflichten vorzunehmen, um Rechtsnachteile zu vermeiden.

II. Wöchentliche Arbeitszeitverkürzung als Urlaub?

Zutreffend hat das LAG Köln die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeitverkürzung nicht als Erholungsurlaub i.S.d. §§ 1 ff. BUrlG angesehen. Dies ergibt sich bereits aus § 3 BUrlG, der den Urlaubsanspruch in Werktagen berechnet. Urlaub kann daher nicht stundenweise berechnet und regelmäßig auch nicht stundenweise gewährt werden. Auch die Befreiung an Teilen eines Tages (halber Tag, viertel Tag) ist zu Urlaubszwecken nicht statthaft, solange der Arbeitnehmer noch wenigstens Anspruch auf einen Tag Urlaub hat.

Urlaub kann damit nicht durch eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung erfüllt werden. Die vertragliche Vereinbarung stellt daher eine Abweichung zu Ungunsten des Arbeitnehmers dar, die § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG nicht zulässt.

III. Urlaubsberechnung für die Vergangenheit

Das Landesarbeitsgericht hat den gesetzlichen Urlaub von jährlich 20 Tagen für die Jahre 2014, 2015 und 2016 als nicht verfallen angesehen, insgesamt also 60 Tage. Der Verfall von Urlaub kann nach der neuen Rechtsprechung nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Diese Initiativlast und Hinweispflicht des Arbeitgebers bezieht sich nicht nur auf den Jahresurlaub, sondern auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren. Der Arbeitgeber ist seinen entsprechenden Obliegenheiten unstreitig nicht nachgekommen. Im Gegenteil: Durch die konkrete Vertragsgestaltung ist sogar der Eindruck entstanden, dass über eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung hinaus kein Urlaubsanspruch mehr besteht.

Hinweis für die Praxis:

Der Urlaubsanspruch ist auch nicht durch Erfüllung erloschen, § 362 Abs. 1 BGB. Die Vereinbarung über die Arbeitszeitverkürzung war unwirksam. Auch durch die Freistellung ist der Urlaubsanspruch nicht untergegangen. Die erklärte Arbeitsbefreiung lässt schon nicht erkennen, dass eine Befreiung von der Arbeitspflicht unter Anrechnung auf Urlaub gewährt werden sollte. Hinzukam, dass der Arbeitgeber den Kläger auch nicht unwiderruflich freigestellt hat, sondern lediglich „bedingt“.

IV. Keine Aufrechnung möglich

Der Arbeitgeber hatte sich darauf berufen, dass dann jedenfalls ein Rückforderungsanspruch in Höhe der gewährten 2,5 Stunden steht. Mit diesem Rückforderungsanspruch werde aufgerechnet. Das Landesarbeitsgericht hat diese Aufrechnung abgelehnt. Dabei hat es sich auf die vertraglichen Verfallfristen berufen. Nach dem Arbeitsvertrag müssen alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen einer Frist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Dies war hier nicht erfolgt.

Die Urlaubsansprüche können damit rückwirkend geltend gemacht werden, ein Rückforderungsanspruch besteht aber nur innerhalb der Verfallfristen. Die Verfallfristen finden auf den Urlaubsanspruch hingegen keine Anwendung.

Fazit:

Die neue Rechtsprechung ist dringend zu beachten und umzusetzen. Unklar ist weiterhin die Frage, ob nicht genommener Urlaub aus den Vorjahren unbegrenzt nunmehr nachträglich geltend gemacht werden kann, wenn Hinweispflichten fehlen oder aber ob hier Verjährungsfristen einschlägig sind. Im vorliegenden Fall hatte der Mitarbeiter die Verjährungsfristen beachtet, so dass sich die Frage nicht stellte. Bis zu einer gegenteiligen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts empfehlen wir weiterhin, für die Vergangenheit nur innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist Urlaub nach zu gewähren. Wir werden über die weitere Entwicklung dieser Rechtsprechung regelmäßig berichten.

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