18.12.2019

Als am Freitag, dem 25. Mai 2018 die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ihre Wirkung entfaltete, war die Angst vor einer Abmahnwelle groß. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer rechneten als „Verantwortliche“ im Sinne des neuen Art. 4 Nr. 7 DSGVO damit, am folgenden Montag eine Abmahnung im Briefkasten zu finden. Doch die große Abmahnwelle blieb aus. Nur vereinzelt wurde abgemahnt, und entsprechend existieren nur wenige gerichtliche Entscheidungen zur Frage der Abmahnbarkeit datenschutzrechtlicher Verstöße.
Eine Erklärung für das Ausbleiben der Abmahnwelle aus Sicht des Rechts bietet die offene Rechtslage an der Schnittstelle zwischen Datenschutzrecht und Wettbewerbsrecht. Die Instanzgerichte sind sich bislang über zwei grundlegende und entscheidende Kardinalfragen nicht einig:

1. Statuiert das Datenschutzrecht ein in sich abschließendes Sanktionensystem? Dann bliebe kein Raum für weitere Sanktionen wie z.B. Abmahnungen aus Wettbewerbsrecht.

2. Regeln datenschutzrechtliche Normen neben ihrer Funktion als Ausgestaltung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auch das Verhalten von Unternehmen am Markt? Nur dann könnten Verstöße gegen diese datenschutzrechtlichen Regeln gleichzeitig „unlauter“ sein und gegen einen ordentlichen Wettbewerb verstoßen.


Eine Erklärung für das Ausbleiben der Abmahnwelle aus Sicht des Rechts bietet die offene Rechtslage an der Schnittstelle zwischen Datenschutzrecht und Wettbewerbsrecht. (Copyright: blende11.photo/adobe.stock) 

Keine einheitliche Rechtsprechung zur Frage der Abmahnbarkeit

Mehrere Gerichte haben sich mit einem bunten Strauß an Argumenten zu den beiden Kardinalfragen geäußert:

Nach LG Bochum (Urteil vom 7. August 2018, Az.: I-12 O 85/18) beinhaltet die DSGVO ein abgeschlossenes Sanktionensystem. Die DSGVO enthalte eine detaillierte Regelung des anspruchsberechtigten Personenkreises. Danach stünde nicht jedem Verband ein Recht zur Wahrnehmung der Rechte einer betroffenen Person zu, sondern nur bestimmten Einrichtungen, Organisationen und Vereinigungen ohne Gewinnerzielungsabsicht (Artikel 80 DSGVO). Daraus schließt das LG Bochum, dass der Unionsgesetzgeber weiteren Personenkreisen keine Möglichkeit der Sanktion eröffnen wollte.

Dieser Auffassung hat sich das LG Wiesbaden (Urteil vom 5. November 2018, Az.: 5 O 214/18) angeschlossen. Es weist darauf hin, dass angesichts des von der DSGVO vorgehaltenen Sanktionensystems keine Regelungslücke bestehe, die durch die Möglichkeit von Abmahnungen geschlossen werden müsse.

Das LG Magdeburg (Urteil vom 18. Januar 2019, Az.: 36 O 48/18) argumentiert ergänzend, dass Abmahnungen den abgestuften Katalog verschiedener behördlicher Maßnahmen (Art. 58 DSGVO) unterlaufen würden. Die Maßnahmen der Aufsichtsbehörden könnten von einem bloßen Hinweis bis zu einer Geldbuße reichen und nicht durch eine eher starre und ggf. sehr teure Abmahnung ersetzt werden.

Auch das LG Stuttgart (Urteil vom 15. April 2019, Az.: 35 O 68/18 KfH) geht von einem abgeschlossenen Sanktionensystem aus. Es spiele keine Rolle, dass das Wettbewerbsrecht eine andere Zielrichtung als das Datenschutzrecht verfolge. Die DSGVO schütze natürliche Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Ein Verbraucherschutzgedanke, der auf eine Marktverhaltensregel schließen lassen könne, stehe nicht dahinter.

Ganz anders entschied das LG Würzburg (Beschluss vom 13. September 2018, Az.: 11 O 1741/18). Es bejaht ohne nähere Begründung die Abmahnfähigkeit von Verstößen gegen Art. 13 DSGVO und Art. 32 DSGVO und qualifiziert diese Vorschriften als Marktverhaltensregeln (§ 3a UWG).

Eine gewisse Synthese bietet das OLG Hamburg (Urteil vom 25. Oktober 2018, Az.: 3 U 66/17). Es geht davon aus, dass die DSGVO kein geschlossenes Sanktionensystem beinhaltet und zivilrechtliche Ergänzungen zulasse. Die DSGVO selbst statuiere nur einen Mindeststandard an möglichen Sanktionen. Daher verbleibe Raum für eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung, denn das Wettbewerbsrecht verfolge eine andere Zielrichtung als das Datenschutzrecht. Datenschutzrechtliche Vorschriften könnten grundsätzlich auch Marktverhaltensregeln beinhalten. Jede herangezogene Vorschrift des Datenschutzrechts müsse dahingehend geprüft werden.

Tendenz zur Abmahnfähigkeit einzelner datenschutzrechtlicher Verstöße

Der vorstehenden Wertung des OLG Hamburg hat sich aktuell das OLG Naumburg (Urteil vom 7. November 2019, Az.: 9 U 6/19) angeschlossen. Nach diesem Urteil ziele die DSGVO neben dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch auf ein einheitliches Schutzniveau im grenzüberschreitenden Verkehr personenbezogener Daten.
Insgesamt kann eine leichte Tendenz der Gerichte dahingehend angenommen werden, dass

1. die DSGVO kein abschließendes Sanktionensystem beinhaltet, welches wettbewerbsrechtliche Ansprüche per se ausschließt und dass

2. datenschutzrechtliche Vorschriften im Einzelfall auch das Marktverhalten von Wettbewerbern regeln können.

Fazit

Die rechtliche Entwicklung an der Schnittstelle von Datenschutzrecht und Wettbewerbsrecht bleibt spannend und muss weiter beobachtet werden. Der derzeitige Stand der Rechtsprechung lässt sich mit einem Zitat des Physikers Enrico Fermi gut beschreiben: „I am still confused – but on a higher level.”

Gegenwärtig sind die Risiken für massenhafte Abmahnungen angesichts rechtlicher Unsicherheiten noch zu groß. Es bleibt zu hoffen, dass das angekündigte „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ missbräuchliche Abmahnungen auch im Datenschutzrecht bald umfassend stoppt. Der Gesetzesentwurf sieht einen Ausschluss der Erstattung von Abmahnkosten für datenschutzrechtliche Verstöße vor. Damit würde einem Missbrauch wirksam der Boden entzogen.

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