15.01.2020 -

Konkrete Pflichtverletzungen im Arbeitsverhältnis können mit einer Abmahnung als milderes Mittel vor Ausspruch einer Kündigung sanktioniert werden. Ohne Pflichtverletzung kann aber auch keine Abmahnung erfolgen. In einem praxisrelevanten und interessanten Verfahren hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein sich mit der Frage beschäftigt, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, künftige Pflichtverletzungen bereits vorher abzumahnen, nämlich mit einer vorweggenommenen Abmahnung (LAG Schleswig-Holstein v. 29.06.2017, 5 Sa 5/17). Das Landesarbeitsgericht hat im konkreten Fall die Möglichkeit einer solchen vorweggenommenen Abmahnung abgelehnt und auch im Übrigen sehr strenge Anforderungen aufgestellt.


Der Verstoß gegen das Verbot der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen ist grundsätzlich ein Kündigungsgrund. Ein Hinweis auf Sanktionen im Arbeitsvertrag ersetzt die Abmahnung aber nicht. (Copyright: Minerva Studio/adobe.stock) 

Der Fall (verkürzt):

Der Kläger ist Leiter einer Dienststelle. Er ist zu einem Monatsgehalt von 4.000 Euro brutto beschäftigt. Im April 2014 unterschrieb er eine „Verpflichtungserklärung zur Einhaltung des Verbots der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen“, die u.a. folgenden Wortlaut hat:

„Ich verpflichte mich,

dienstlich überlassene Fahrzeuge ausschließlich für dienstliche Zwecke zu nutzen. Private Fahrten, d.h. Fahrten ohne dienstliche Veranlassung, sind mit Dienstfahrzeugen strengstens untersagt.

Ich bin darüber belehrt worden, dass ein Verstoß gegen diese Anordnung arbeitsrechtliche Folgen (Ermahnung/Abmahnung/Kündigung/o.a.) haben wird, …

Im Rahmen von Bereitschaftsdiensten werden Privatfahrten toleriert, soweit sie die Durchführung dieses Dienstes nicht beeinträchtigen und sie untrennbar mit dem Bereitschaftsdienst einhergehen.

Näheres zum zulässigen Umfang der tolerierten Privatfahrten entnehmen Sie aus der anliegenden Übersicht „Anhaltspunkte zur Behandlung von Fahrten mit einem Dienst-/Poolfahrzeug als Dienst-/Privatfahrt“ (Doku Nr. P 39). Wir weisen Sie darauf hin, dass dieses Dokument immer wieder und fortlaufend aktualisiert wird. Die jeweilige aktuelle und gültige Fassung entnehmen Sie bitte aus dem Intranet.

…“

In der Folge kam es zu zwei Verstößen gegen das Verbot von Privatfahrten. So holte am 3. März 2016 der Bundesfreiwilligendienstleistende B. anlässlich einer dienstlich veranlassten Fahrt mit einem Dienstfahrzeug ein privates Sakko des Klägers aus einer Reinigung mit Billigung des Klägers ab. Weiter ließ sich der Kläger am Montag, 2. Mai 2016, von dem Auszubildenden G. morgens von seinem Wohnsitz aus abholen und am Nachmittag wieder nach Hause fahren. Das Dienstfahrzeug wurde auf diese Weise viermal bewegt, sodass insgesamt eine Fahrtstrecke von etwa 112 km zurückgelegt wurde.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin fristlos, hilfsweise ordentlich das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis. Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung sei insbesondere wegen der unterzeichneten Verpflichtungserklärung entbehrlich gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Der Arbeitgeber hätte vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung aussprechen müssen. Die Voraussetzungen für eine wirksame vorweggenommene Abmahnung hätten hier nicht vorgelegen.

I. Private Nutzung als Pflichtverletzung

Das Landesarbeitsgericht hat zunächst in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte klargestellt, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen eine Kündigung begründen kann. Es handelt sich hierbei um die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Auch die Verletzung solcher vertraglicher Nebenpflichten kann je nach der Art der Nebenpflicht und dem damit verbundenen Schutzinteresse des Arbeitgebers und dem Schweregrad der Verletzung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen.

Hinweis für die Praxis:

Die von dem Kläger initiierten Privatfahrten mit Dienstfahrzeugen konnten hier auch nicht unter irgendeinen Erlaubnistatbestand fallen. Der Arbeitgeber hatte ausreichend klargestellt, dass er ein fundamentales Interesse daran hatte, dass Dienstfahrzeuge nur für dienstliche Zwecke genutzt werden und gerade nicht privat genutzt werden dürfen.

II. Vorweggenommene Abmahnung?

Das Landesarbeitsgericht hat klargestellt, dass der Verstoß zunächst hätte abgemahnt werden müssen. In diesem Zusammenhang stellte sich dann die Frage, ob in der unterschriebenen Verpflichtungserklärung bereits eine vorweggenommene Abmahnung gesehen werden könnte mit der Folge, dass schon ein Wiederholungsfall vorliegt und eine Kündigung zulässig gewesen wäre.

Eine sogenannte vorweggenommene Abmahnung z.B. durch Aushang am „Schwarzen Brett“, Rundschreiben oder im Arbeitsvertrag, mit welchem der Arbeitgeber darauf hinweist, dass er ein bestimmtes, näher bezeichnetes Verhalten nicht duldet und für den Fall der Pflichtwidrigkeit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ankündigt, genügt grundsätzlich nicht den Anforderungen einer wirksamen Abmahnung. Eine vorweggenommene Abmahnung enthält lediglich den generellen Hinweis des Arbeitgebers, dass bestimmte, in der Regel genau bezeichnete Pflichtverletzungen, zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen von einer Ermahnung bis hin zur fristlosen Kündigung führen können.

Die von einer vorweggenommenen Abmahnung ausgehende Warn- und Hinweisfunktion ist nicht vergleichbar mit derjenigen, die von einer konkreten förmlichen Abmahnung ausgeht. Dies wird auch daran deutlich, dass mit zunehmender Dauer und beanstandungsloser Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Warnfunktion einer Abmahnung wieder an Gewicht verliert. So kann es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung einer erneuten Abmahnung bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt wäre.

III. Ausnahme: beharrliche Arbeitsverweigerung

Eine solche vorweggenommene Abmahnung kann eine Abmahnung nach Tatbegehung jedoch ausnahmsweise dann ersetzen, wenn sich die Pflichtverletzung letztlich unter Berücksichtigung des vorweggenommenen Fingerzeigs als beharrliche Arbeitsverweigerung herausstellt. Hier kommt es auf die Sicht eines besonnenen Arbeitgebers an. Beharrlichkeit liegt immer dann vor, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht. Diese strengen Anforderungen lagen hier aber nicht vor.

Fazit:

Das Institut der vorweggenommenen Abmahnung ist arbeitsrechtlich auf Basis dieser Anforderungen der Rechtsprechung nicht existent. Zwar kann es für den Arbeitgeber sicherlich hilfreich sein, in Rundschreiben oder im Arbeitsvertrag auf bestimmte unerlaubte Verhaltensweisen hinzuweisen und bei deren Verletzung arbeitsrechtliche Sanktionen von der Ermahnung bis hin zur fristlosen Kündigung anzukündigen. Solche Hinweise ersetzen aber niemals die konkrete Abmahnung im Einzelfall. Eine Abmahnung ist nach allgemeiner und herrschender Rechtsprechung immer nur dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft ohnehin nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme für den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar ist. Einer vorweggenommenen Abmahnung bedarf es in solchen Fällen nicht.

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