21.01.2020 -

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich  mit der Frage befasst, von welchem Zeitpunkt beim Zugang eines Kündigungsschreibens auszugehen ist, wenn es im Ausland in den Hausbriefkasten des betroffenen Mitarbeiters eingeworfen wird (22.08.2019 – 2 AZR 111/19). Das höchste Arbeitsgericht hat deutlich gemacht, dass bei der Beantwortung dieser Frage regionale Unter­schiede zu berücksichtigen sind, insbe­sondere hinsichtlich der üblichen Zustel­lungs­zeiten.


Bei der Zustellung von Kündigungsschreiben im Ausland sind laut BAG regionale Unterschiede zu berücksichtigen. (Copyright: motortion/adobe.stock)

Der Fall

Ein in Frankreich lebender Mitarbeiter eines in Baden-Württemberg ansässigen Unternehmens sollte außerordentlich, fristlos entlassen werden. Die Kündigung wurde von Vertretern des Unternehmens am Freitag, dem 27.01.2017, um 13:25 Uhr in den Briefkasten des Mitarbeiters eingeworfen. Der Mitarbeiter erhob am Montag, dem 20.02.2017 Kündigungsschutzklage. Zu diesem Zeitpunkt wäre bei Zugang des Kündigungsschreibens am 27.01.2017 die dreiwöchige Klagefrist bereits abgelaufen gewesen. Er hätte sich dann also nicht mehr gegen die Wirksamkeit der Kündigung wenden können. Der Mitarbeiter machte jedoch geltend, er habe die Kündigung erst am Montag (30.01.2017) in seinem Briefkasten vorgefunden. Üblicherweise erfolge die Zustellung der Post in seinem Wohnort in Frankreich bereits um 11:00 Uhr. Somit sei ihm das Kündigungsschreiben nicht mehr am Freitag, dem 27.01.2017, sondern erst am Montag, dem 30.01.2017 zugegangen. Seine Kündigungsschutzklage sei dementsprechend fristgemäß erhoben worden.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat die Klage ebenso wie das Arbeitsgericht Karlsruhe abgewiesen.

Das LAG führte dabei aus, es könne regelmäßig mit einer Leerung des Hausbriefkastens noch nach 17:00 Uhr gerechnet werden, da dies eine Zeit sei, zu der Erwerbstätige nach Beendigung ihres Arbeitstages ihren Hausbriefkasten üblicherweise leeren. Somit sei von der Kenntnisnahme und damit des Zugangs jedes vor 17:00 Uhr eingeworfenen Schreibens noch am selben Tag auszugehen. Für den zu Entscheidung stehenden Fall bedeutete dies nach Ansicht des LAG, dass mit Zugang am 27.01.2017 die Klagefrist zu laufen begann und am 20.02.2017 bereits abgelaufen war.

Das BAG hat das Urteil aufgehoben und den Fall an das LAG zurückverwiesen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG kommt es für den Zugang einer in den Hausbriefkasten geworfenen Kündigung darauf an, wann für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit zur Kenntnisnahme bestand. Dies ist nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu beurteilen. So bejaht das BAG grundsätzlich etwa eine Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach der üblichen Postzustellzeit zu rechnen sei.

Eine solche Verkehrsanschauung sei auch bei Zustellungen im Ausland unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten zu ermitteln. Die Postzustellungszeiten im Ausland seien dagegen nicht, wie das LAG meinte, als unbeachtliche individuelle Zugangshindernisse wie etwa Urlaub oder Krankheit anzusehen. Im Falle solch individueller Umstände kann sich der Empfänger nach Auffassung der Rechtsprechung nicht darauf berufen, er habe keine Kenntnis nehmen können, vielmehr trifft jeden Empfänger die Pflicht, den Zugang der Erklärung während einer solchen Abwesenheit z.B. während Urlaubs oder Krankheit sicherzustellen.

Die lokalen Zustellungszeiten am Wohnort des Klägers sind nach Ansicht des BAG mit derartigen, den individuellen Verhältnissen geschuldeten Zugangshindernissen nicht vergleichbar. Die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten seien vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung in Bezug auf die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen.

Weiter bemängelte das BAG, dass das LAG keinerlei Ausführungen im Hinblick auf regionale Unterschiede machte, obwohl der Kläger seinen Wohnsitz in Frankreich hatte. Vielmehr bezog es sich lediglich auf die üblichen Verhältnisse in Deutschland und die dortigen gewöhnlichen Leerungszeiten von Hausbriefkästen.

Insgesamt hat das BAG mit der Entscheidung erneut bestätigt, dass es für die Bestimmung des Zugangszeitpunkts einer Erklärung gegenüber Abwesenden auf die allgemeine Verkehrsauffassung ankommt. Diese ist jedoch bei Zustellungen im Ausland unter Einbeziehung regionaler Unterschiede in Bezug auf Zustellungs- und Leerungszeiten von Hausbriefkästen zu bestimmen. Zur Ermittlung dieser Umstände muss, wenn ein Richter die maßgeblichen Umstände nicht selbst ermitteln kann, ein Sachverständiger hinzugezogen werden.

Fazit und Folgen für die arbeitsrechtliche Praxis

Mit dieser Entscheidung schreibt das BAG seine Rechtsprechung fort, nach der es für den rechtzeitigen Zugang eines in den Hausbriefkasten eingeworfenen Kündigungsschreibens auf die Möglichkeit zur Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Verhältnissen ankommt. Im Hinblick auf die Zustellung im Ausland hat das BAG nun seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass jedenfalls eine in Deutschland herrschende Verkehrsauffassung nicht einfach übertragen werden kann, sondern regionale Unterschiede zu berücksichtigen sind. Das gilt insbesondere für die üblichen Zustellungszeiten. Interessant ist dies natürlich nicht nur im Hinblick auf den Lauf der Frist für die Kündigungsschutzklage, sondern auch für die Frage, ob eine Kündigung zu einem bestimmten Termin noch rechtzeitig ausgesprochen war. Arbeitgeber, die einen rechtzeitigen Zugang sicherstellen wollen, müssen sich folglich über regionale Besonderheiten informieren. Im Zweifel sollte die Kündigung wie stets spätestens noch am Vortag des für die Kündigung letztmöglichen Termins eingeworfen werden.

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