06.05.2020 -

Wir haben bereits über die Anforderungen an eine wirksame Betriebsratsanhörung bei einer Kündigung berichtet. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Kündigung in der Wartezeit. Unter Wartezeit versteht man die ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses. In der Wartezeit besteht noch kein Kündigungsschutz. Viele Arbeitgeber gehen fälschlicherweise davon aus, dass wegen des fehlenden Kündigungsschutzes der Betriebsrat nicht angehört werden muss. Das ist aber unzutreffend. Eine Betriebsratsanhörung muss immer stattfinden, auch in der Wartezeit. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Begründung gegenüber dem Betriebsrat. Hier kommt es immer wieder zu gravierenden Fehlern. Wir möchten daher eine Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz zum Anlass nehmen, die wichtigen Grundsätze dazu vorzustellen (LAG Rheinland-Pfalz v. 13.12.2018, 5 Sa 220/18).


Der Betriebsrat ist nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. (Copyright: Stockfotos-MG/adobe.stock)

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer wurde von dem beklagten Landesverband Rheinland-Pfalz als Schulleiter eines Bildungsinstitutes zum 1. März 2017 eingestellt. In § 3 des Arbeitsvertrages haben die Parteien eine Probezeit von sechs Monaten und eine Kündigungsfrist von zwei Wochen in der Probezeit vereinbart.

Mit Anhörungsbogen vom 5. Juli 2017 hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an. Das Formblatt hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„Mitteilung an den Betriebsrat – Kündigung

Anhörung gem. § 102 BetrVG

Wir beabsichtigen folgende ordentliche/außerordentliche Kündigung auszusprechen

1. Persönliche Daten

Name, Vorname [Kläger]
Straße, Wohnort [Anschrift Kläger]
Geburtsdatum 00.00.1960
beschäftigt seit 01.03.2017
Betriebsstätte D.-Bildungsinstitut
Tätigkeit Schulleiter des Bildungsinstituts

2. Gründe

[Der Kläger] ist noch in der Probezeit. Es ist daher eine ordentliche Kündigung in der Probezeit beabsichtigt zum 31.07.2017.

Die Kündigung ist erforderlich, da seine Arbeit nicht den Anforderungen entspricht.

Wir bitten um Zustimmung der beabsichtigten Kündigung.“

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14. Juli 2017 zum 31. Juli 2017. Das Kündigungsschreiben ist am 14. Juli 2017 zugegangen.

Der Arbeitnehmer hat fristwahrend Kündigungsschutzklage erhoben und u.a. ausgeführt, die Kündigung sei willkürlich erfolgt, sie verstoße gegen Treu und Glauben und sei sittenwidrig. Die Kündigung sei einzig und allein darauf zurückzuführen, dass ihn der Vorstand nicht leiden könne. Der Vorstand habe ihn von Beginn an schikaniert und habe ihn aus eigensüchtigen Gründen gekündigt. Die Kündigung sei insbesondere nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG unwirksam. So habe der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine Unterhaltspflichten nicht mitgeteilt. Auch sei die Kündigungsfrist im Anhörungsbogen nicht angegeben worden.

Schließlich sei auch die Begründung nicht ausreichend. Die dem Werturteil zugrundeliegenden Tatsachen hätten dem Betriebsrat ebenfalls mitgeteilt werden müssen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts in vollem Umfang bestätigt.

I. Keine Anwendung des KSchG

Die Kündigung ist mangels Erfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG nicht am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes zu messen. Der zwischen den Parteien am 1. März 2017 begründete Arbeitsvertrag bestand im Kündigungszeitpunkt am 14. Juli 2017 noch keine sechs Monate. Der Arbeitgeber konnte daher das Arbeitsverhältnis der Parteien innerhalb der vereinbarten Probezeit unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen zum 31. Juli 2017 kündigen. Zur Wirksamkeit der Kündigung bedurfte es keines Kündigungsgrundes i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG. Sinn und Zweck der sechsmonatigen Wartezeit ist es, den Parteien des Arbeitsverhältnisses für eine gewisse Zeit die Prüfung zu ermöglichen, ob sie sich auf Dauer binden wollen.

Hinweis für die Praxis

In der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, also den ersten sechs Monaten, kommt es auf einen Kündigungsgrund damit nicht an. Der Arbeitgeber kann aus Motiven kündigen, die weder auf personen-, verhaltens- noch betriebsbedingten Erwägungen beruhen, solange die Kündigung nicht aus anderen Gründen (z.B. §§ 138, 242 BGB) unwirksam ist.

II. Kein Verstoß gegen Treu und Glauben oder Sittenwidrigkeit

Eine Kündigung kann auch dann unwirksam sein, wenn sie gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt oder sittenwidrig ist (§ 138 BGB). Die Anforderungen sind sehr streng und müssen im Einzelnen von dem Arbeitnehmer dargelegt werden. Anhaltspunkte für eine Treu- und/oder Sittenwidrigkeit lagen hier aber nicht vor. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit kann insbesondere nur in krassen Fällen erhoben werden. Sittenwidrig ist eine Kündigung, wenn sie dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Es gelten insoweit noch schärfere Anforderungen als bei der Prüfung der Treuwidrigkeit nach § 242 BGB. Der vorliegende Sachverhalt ist aber schon nicht geeignet gewesen, eine Treuwidrigkeit der Kündigung zu begründen, so reichte er erst recht nicht für die Annahme aus, die Kündigung sei sittenwidrig gewesen.

III. Anforderungen an die Betriebsratsanhörung

Der Betriebsrat ist nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen.

Bei einer Kündigung in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist die Substantiierungspflicht bei der Anhörung des Betriebsrates allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet. Dies folgt aus dem Grundsatz der subjektiven Determination. Demnach ist der Betriebsrat immer dann ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind.

Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Information des Betriebsrates durch den Arbeitgeber bei Wartezeitkündigungen zu stellen sind, ist deshalb zwischen Kündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt werden, und Kündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruhen, die sich in vielen Fällen durch Tatsachen nicht näher belegen lassen, zu differenzieren. In der ersten Konstellation genügt die Anhörung den Anforderungen des § 102 BetrVG nur, wenn dem Betriebsrat die zugrundeliegenden Tatsachen bzw. Ausgangsgrundlagen mitgeteilt werden. In der zweiten Konstellation reicht die Mitteilung allein des Werturteils für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus.

Hinweis für die Praxis

Bei Werturteilen ist der Arbeitgeber nach § 102 BetrVG nicht verpflichtet, dem Betriebsrat sein Werturteil zu begründen. Das gilt auch dann, wenn dem subjektiven Werturteil des Arbeitgebers nach Zeit, Ort und Umständen, kritisierbare Tatsachenelemente zugrunde liegen. Auch darüber muss der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht informieren. Es genügt für eine ordnungsgemäße Anhörung, wenn er allein das Werturteil selbst als das Ergebnis seines Entscheidungsprozesses mitteilt.

Fazit

Kündigungen in der Wartezeit unterliegen nicht den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes. Diese fehlenden Anforderungen dürfen aber nicht in das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG vorverlagert werden. Es reicht aus, wenn ein Arbeitgeber das Ergebnis seines subjektiven Werturteiles dem Betriebsrat mitteilt. Eine Begründung ist dann nicht erforderlich. Stützt sich der Arbeitgeber auf substantiierbare Tatsachen, muss er diese auch genau benennen. Tatsachen sind überprüfbar. Bei Wartezeitkündigungen in der Probezeit ist Arbeitgebern daher dringend zu empfehlen, gegenüber dem Betriebsrat die Kündigung allein auf Werturteile zu stützen, um Risiken auszuschließen. Die Arbeitsgerichte können dann das Werturteil nicht überprüfen.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

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  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

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    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

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