12.05.2020 -

Das Urlaubsrecht hat sich bekanntlich grundlegend gewandelt. Aufgrund der neuen Rechtsprechung des EuGH und des BAG verfallen Urlaubsansprüche nunmehr erst dann, wenn Arbeitgeber ihre Mitarbeiter zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass sie ihren Urlaub nehmen müssen und dass dieser verfällt, wenn sie ihn nicht antreten und beantragen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem weiteren Urteil nun einen wichtigen Spezialfall für die Praxis behandelt (BAG v. 19.02.2019, 9 AZR 321/16). In dem Fall geht es um die Frage, ob während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses die neuen Mitwirkungsobliegenheiten uneingeschränkt weiter gelten. Das Bundesarbeitsgericht gibt dabei wichtige Praxishinweise, wie sich Arbeitgeber verhalten müssen, um das weitere Ansammeln von Urlaubsansprüchen zu vermeiden.


Das Risiko von Urlaubsansprüchen während eines Kündigungsschutzverfahrens trägt allein der Arbeitgeber. (Copyright: aanbetta@adobe.stock)

Der Fall

Die Parteien streiten über den Jahresurlaub des klagenden Arbeitnehmers in Höhe von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2013. Der Kläger ist seit dem 1. Februar 2009 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt.

Allerdings versuchte der Arbeitgeber, das Arbeitsverhältnis im Jahre 2011 zu kündigen und sprach auch eine entsprechende Kündigung zum 30. September 2011 aus. Hiergegen klagte der Arbeitnehmer und gewann die Kündigungsschutzklage in I. und II. Instanz. Der Kündigungsschutzprozess endete mit Urteil des LAG München vom 14. November 2013. Seitdem besteht das Arbeitsverhältnis ungekündigt fort.

Im Jahre 2013 gewährte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen Urlaub. Die Aufforderung des Arbeitnehmers mit E-Mail vom 26. Februar, ihm den Urlaub aus dem Jahre 2013 in der Zeit vom 17. Februar bis zum 28. März 2014 zu gewähren, wurde abgelehnt. Der Vorgesetzte teilte mit, dass über die Genehmigung des Urlaubs erst nach rechtskräftigem Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens entschieden werden könne. Auch im Jahre 2015 wurde die beantragte konkrete Urlaubsgewährung für den Zeitraum vom 16. Februar bis zum 27. März 2015 angelehnt, diesmal mit der Begründung, der Urlaub sei bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2013 verfallen. Der Arbeitnehmer versuchte sogar im Wege einer einstweiligen Verfügung, seinen Urlaubsanspruch durchzusetzen. Das Arbeitsgericht München wies aber den Antrag zurück.

In einem von dem Beklagten erstellten „Merkblatt über Erholungsurlaub“ von Oktober 2012 heißt es u.a.:

V. Erlöschen, Übertragung, Vorgriff

1. Grundsätze

Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. Der Urlaub soll grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden, anderenfalls erlischt der Urlaubsanspruch grundsätzlich am 31.12., soweit keine Übertragung ins nächste Urlaubsjahr erfolgt.

Ist die Gewährung des Urlaubs im laufenden Kalenderjahr entweder aus dringenden betrieblichen Gründen oder aus in der Person des Mitarbeiters liegenden Gründen nicht möglich (Krankheit), wird der Urlaub in das erste Kalendervierteljahr (bis 31.03) des Folgejahres übertragen. Liegen die Voraussetzungen tatsächlich vor, bedarf es keines Antrages bzw. keiner Vereinbarung der Übertragung.

…“

Ein grundsätzlich für das Unternehmen anwendbarer Manteltarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie fand auf das konkrete Arbeitsverhältnis hier nach Feststellung des Bundesarbeitsgerichts keine Anwendung.

Die Klage des Arbeitnehmers, auf Feststellung, dass er für das Kalenderjahr 2013 einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen hat, haben Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und den Anspruch bestätigt.

I. Neue Mitwirkungsobliegenheiten

Urlaubsansprüche erlöschen nach der neuen Rechtsprechung nur dann am Ende eines Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Hat der Arbeitgeber diese Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt, ist der Urlaubsanspruch für das jeweilige Urlaubsjahr, unabhängig vom Vorliegen eines sonstigen Übertragungsgrundes, nicht an das jeweilige Urlaubsjahr gebunden. Vielmehr wird der Urlaub automatisch auf das Folgejahr übertragen.

Hierzu ist es zwingend erforderlich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgefordert hat, seinen Urlaub zu nehmen und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt. Will also der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, darf er den Arbeitnehmer nicht daran hindern, den Urlaub zu nehmen. Er darf auch keine Anreize schaffen oder den Arbeitnehmer dazu anhalten, seinen Urlaub nicht zu nehmen und dadurch – faktisch – auf ihn zu verzichten.

Der Arbeitgeber hat die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten darzulegen und ggf. zu beweisen. Es ist daher für die Praxis von besonderer Bedeutung, dass die Mitwirkungsobliegenheiten nachweisbar erfüllt werden.

Hinweis für die Praxis

Der Arbeitgeber kann diese notwendigen und zwingenden Mitwirkungsobliegenheiten z.B. dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Diese Anforderungen an eine klare Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt. Abstrakte Angaben im Arbeitsvertrag oder in einem Merkblatt reichen hingegen nicht aus. Umgekehrt bedarf es auch keiner ständigen Aktualisierung der Mitteilung.

II. Mitwirkungsobliegenheiten während eines Kündigungsschutzprozesses

Im vorliegenden Fall war das Arbeitsverhältnis ursprünglich zum 30. September 2011 gekündigt worden. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben aber den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch Urteil entschieden. Damit wurde kein neues Arbeitsverhältnis geschaffen, sondern nur das Fortbestehen des gekündigten Arbeitsverhältnisses rechtskräftig festgestellt. Der Arbeitgeber war also rechtlich nicht gehindert, dem Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses durch eine entsprechende Freistellungserklärung und die Zahlung des Urlaubsentgelts vor Antritt des Urlaubs vorbehaltlos bezahlten Urlaub zu gewähren.

Der ungewisse Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens steht dem nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht entgegen. So hätte der Arbeitgeber die Zahlung des Urlaubsentgelts mit einer Tilgungsbestimmung verbinden können in dem Sinne, dass hilfsweise mit der Zahlung des Urlaubsentgelts ein ggf. bestehender Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers erfüllt werde. Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich klargestellt, dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht durch das Merkblatt aus dem Jahre 2012 entsprochen hat. Der Arbeitgeber hätte vielmehr im laufenden Kündigungsschutzverfahren ausdrücklich erklären müssen, er sei dazu bereit, dem Arbeitnehmer auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bezahlten Urlaub zu gewähren.

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber aber genau das Gegenteil erklärt. Er war den Urlaubsansprüchen des Klägers wiederholt entgegengetreten und hatte die Urlaubsanträge in den Jahren 2014 und 2015 abgelehnt, stets mit der Begründung, der Urlaub für das Jahr 2013 sei bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2013 endgültig verfallen.

Damit konnte der Arbeitnehmer nicht annehmen, der Arbeitgeber sei bereit, ihm trotz der Ungewissheit der Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durch eine entsprechende Freistellungserklärung und die Zahlung des Urlaubsentgelts vor Antritt des Urlaubs vorbehaltlos bezahlten Urlaub zu gewähren.

Hinweis für die Praxis

Das Risiko trägt damit allein der Arbeitgeber. Er muss in einem ersten Schritt seinen Mitwirkungsobliegenheiten auch während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses weiter genügen. Beantragt dann der Arbeitnehmer tatsächlich diesen Urlaub, muss der Arbeitgeber ihn gewähren und auch das entsprechende Urlaubsentgelt zahlen. Der Arbeitgeber geht also in Vorleistung. Will man diese Unsicherheit vermeiden, bleibt letztlich nur der eine Weg, keinen Urlaub auf entsprechenden Antrag hin zu gewähren, dann aber später im Falle eines erfolgreichen Kündigungsschutzrechtsverfahrens den Urlaub anzuerkennen.

Fazit

Das Bundesarbeitsgericht wendet seine Rechtsprechung zu den Mitwirkungsobliegenheiten nunmehr konsequent auf laufende Kündigungsschutzprozesse an. Arbeitgeber sind daher verpflichtet, auch nach Ablauf einer Kündigungsfrist in einem laufenden Kündigungsschutzverfahren die Mitwirkungsobliegenheiten weiter zu erfüllen. Geschieht dies nicht, kann der Urlaub, wie in einem sonstigen ungekündigten Arbeitsverhältnis, nicht verfallen. Wird später das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses festgestellt, kann der Arbeitnehmer die während des Kündigungsschutzverfahrens entstandenen Urlaubsansprüche beanspruchen. Nur bei Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten kann sich der Arbeitgeber darauf berufen, dass die Urlaubsansprüche zum Ende eines Kalenderjahres untergegangen sind.

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