27.05.2020 -

In einem kurzen Beschluss hat das Bundesarbeitsgericht eine sehr weitreichende Entscheidung gefällt. Bei der beabsichtigten Einstellung eines Arbeitnehmers müssen alle betroffenen Betriebsräte nach § 99 BetrVG beteiligt werden! Diese Betroffenheit liegt nach Ansicht des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts schon dann vor, wenn ein Arbeitnehmer Personalverantwortung für Arbeitnehmer auch anderer Betriebe innehat (BAG v. 22.10.2019, 1 ABR 13/18).

Die Reichweite der Entscheidung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.


Weitreichende BAG-Entscheidung: Bei der Einstellung von Führungskräften mit unternehmensweiten Kompetenzen müssen nach neuer Rechtsprechung alle örtlichen Betriebsräte nach § 99 BetrVG beteiligt werden. (Copyright: Coloures-Pic/adobe.stock)

Der Fall

Bei dem beteiligten Arbeitgeber handelt es sich um ein Unternehmen mit ca. 3.750 Mitarbeitern. Der Arbeitgeber erbringt IT-Dienstleistungen für die Sparkassenfinanzbranche. Es besteht ein Gesamtbetriebsrat und an den einzelnen Standorten sind örtliche Betriebsräte gebildet.

Zum 1. April 2017 stellte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer D als Leiter für den Geschäftsbereich „End-2-End-Services“ im Bereich Produktion ein. Nach Nr. 1.1 seines Arbeitsvertrages ist der Dienstort von Herrn D in M.

Herr D hat Personalverantwortung in fachlicher und disziplinarischer Hinsicht sowohl für in M tätige Arbeitnehmer als auch für zwei in H tätige Mitarbeiter im Bereich Produktion. Diesen sind jeweils 10 bis 20 Arbeitnehmer unterstellt.

Seine Aufgaben nimmt Herr D tageweise in M und in H wahr, wobei er lediglich in M über ein eigenes Büro verfügt.

Der für den Betrieb M gebildete Betriebsrat stimmte der Einstellung von D zu. Den für den Betrieb H gebildete Betriebsrat beteiligte der Arbeitgeber nicht. Dieser Betriebsrat hat geltend gemacht, der Arbeitgeber hätte auch seine Zustimmung nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG einholen müssen. Herr D sei durch die Übertragung von Personalverantwortung gegenüber den im Betrieb H beschäftigten Arbeitnehmern auch in diesen eingestellt worden. Der Betriebsrat hat daher beantragt, die Einstellung des Arbeitnehmers D im Betrieb H aufzuheben.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, eine Eingliederung in den Betrieb H liege nicht vor. Jedenfalls sei bei einer Einstellung von Herrn D in zwei Betrieben dann der Gesamtbetriebsrat zuständig.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Die Entscheidung

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht hingegen dem Antrag stattgegeben!

I. Keine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

Zunächst hat das Bundesarbeitsgericht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats abgelehnt. Der Gesamtbetriebsrat sei durch die begehrte Entscheidung nicht unmittelbar in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen. So sei der Gesamtbetriebsrat als Inhaber eines Anspruchs auf Aufhebung einer Einstellungsmaßnahme nicht nach § 101 S. 1 BetrVG zuständig. Eine Zuständigkeit komme nämlich nur für die Behandlung solcher Angelegenheiten in Betracht, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffe. Eine Einstellung für einen Betrieb betreffe jedoch nicht mehrere Betriebe, sondern immer nur den konkreten Betrieb. Für die Ausübung des dadurch ausgelösten Zustimmungsrechtes nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist deshalb auch nur der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs zuständig. Dieser Betriebsrat hat für die Wahrnehmung der Interessen seiner Belegschaft Sorge zu tragen.

Daran ändere sich auch nichts, wenn ein Mitarbeiter insoweit für zwei Betriebe eingestellt werde. Für den anderen Betrieb sei dann wiederum nur der für diesen Betrieb zuständige und gewählte Betriebsrat zu beteiligen. Es handele sich dann, anders als bei einer Kündigung, nicht um eine, sondern um zwei unterschiedliche zustimmungspflichtige Maßnahmen.

II. Übertragung von Personalverantwortung als Einstellung

Unstreitig wurde der Mitarbeiter zunächst für den Betrieb in M eingestellt. Dort hatte er sein Büro und übte seine Tätigkeiten von dort aus. Damit war er dort eingegliedert.

Der Begriff der betriebsverfassungsrechtlichen Eingliederung i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG wird aber von der Rechtsprechung und insbesondere von dem Bundesarbeitsgericht sehr weit ausgelegt. Die für eine Einstellung erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation erfordert nicht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichtet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt. Das Bundesarbeitsgericht stellt weiter klar, dass es für die Annahme einer Eingliederung auch unerheblich ist, wie häufig die zur Verwirklichung des Betriebszwecks durchgeführten Tätigkeiten erfolgen oder wieviel Zeit sie in Anspruch nehmen.

Mit anderen Worten: Für den Rechtsbegriff der Eingliederung kommt es weder darauf an, wo die vertraglichen Angelegenheiten des Arbeitnehmers abgewickelt werden, noch muss der betroffene Arbeitnehmer einer – wie auch immer gearteten – Bindung an Weisungen einer im Betrieb tätigen Führungskraft unterliegen. Auch setzt die für eine Einstellung i.S.v. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG notwendige Eingliederung in die Betriebsorganisation nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten zu bestimmten Zeiten im Betrieb verrichten muss oder dort über ein eigenes Büro verfügt.

Die Übertragung der Personalverantwortung begründet damit die Einstellung i.S.v. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Herr D ist im Betrieb H fachlich und disziplinarisch weisungsbefugt und kann damit auf die Arbeitsabläufe oder -inhalte der diesen jeweils unterstellten und in H tätigen weiteren Arbeitnehmern dieses Bereichs Einfluss nehmen. Damit ist er nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts in die dort zu erfüllenden Arbeitsprozesse eingebunden. Er kann die ihm obliegenden Aufgaben als Bereichsleiter nur in regelmäßiger Zusammenarbeit mit den beiden Arbeitnehmern in H nachkommen. In diesem Sinne verwirklicht er mit der Wahrnehmung seiner Führungsaufgaben gegenüber den in H tätigen Arbeitnehmern den auf die Erbringung von IT-Dienstleistungen für die Sparkassenfinanzbranche gerichteten arbeitstechnischen Zweck des Betriebes in H.

III. Kritik

Diese Rechtsprechung klingt zunächst nachvollziehbar und konsequent. Sie bedeutet aber weitgehende Einschnitte in unternehmerische Betätigungsfreiheit. So können sich widerstreitende Entscheidungen bei demselben Vertragsarbeitgeber ergeben. Viele Führungskräfte werden im Hinblick auf ihre Personalverantwortung nicht nur für einen Betrieb eingestellt, sondern haben unternehmensweite Kompetenzen. In all diesen Fällen müssen also nach dieser neuen Rechtsprechung nun alle örtlichen Betriebsräte nach § 99 BetrVG beteiligt werden. Dies kann dazu führen, dass einzelne Betriebsräte der Maßnahme zustimmen, andere die Zustimmung hingegen verweigern.

Das Bundesarbeitsgericht verweist den Arbeitgeber insoweit auf seine Rechte aus § 100 BetrVG, also die Durchführung der personellen Maßnahme als vorläufige Maßnahme, wenn sie aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist. Dieser Hinweis hilft aber nicht weiter, denn damit ist nicht geklärt, ob der Arbeitgeber sich am Ende tatsächlich durchsetzen kann. Es kann dann durchaus denkbar sein, dass eine Führungskraft, die unternehmensweit Kompetenzen ausüben sollte, diese im Ergebnis nur für einzelne Betriebe innehat, sollten entsprechende Verfahren nach §§ 99, 100 BetrVG nicht erfolgreich sein. Dies wiederum spricht für die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Ein für das gesamte Unternehmen eingestellter Arbeitnehmer ist für mehrere Betriebe gleichzeitig zuständig. Genau dies regelt § 50 BetrVG.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich aber nun für einen anderen Weg entschieden. Die Praxis wird sich hierauf einzustellen haben und in Zweifelsfällen muss der Arbeitnehmer entsprechend nach § 100 Abs. 1 S. 2 BetrVG aufgeklärt werden. Insoweit muss der Arbeitgeber dann auch entscheiden, ob er an der Einstellung auch dann festhalten möchte, wenn er dauerhaft keine Zustimmung eines örtlichen Betriebsrates erhält.

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