Bekanntlich gilt das Kündigungsschutzgesetz erst bei der Beschäftigung von mehr als zehn Arbeitnehmern, § 23 KSchG. Wird diese Schwelle nicht erreicht, handelt es sich um einen Kleinbetrieb. Die Kündigung wird dann nicht auf ihre soziale Rechtfertigung nach § 1 KSchG überprüft. Dennoch kann auch in Ausnahmefällen eine im Kleinbetrieb ausgesprochene Kündigung unwirksam sein, insbesondere wenn die Kündigung sittenwidrig i.S.v. § 138 BGB ist oder gegen die Grundsätze von Treu und Glauben aus § 242 BGB verstößt. Die Anforderungen sind aber denkbar hoch und das Bundesarbeitsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung erneut bekräftigt, dass nur in seltenen Ausnahmefällen die Voraussetzungen erfüllt sind (BAG v. 05.12.2019, 2 AZR 107/19).
In Ausnahmefällen kann eine im Kleinbetrieb ausgesprochene Kündigung unwirksam sein. (Copyright: MG Stockfotos/Adobe.Stock)
Der Fall
Bei dem beklagten Arbeitgeber handelt es sich um eine Mutter, die privat eine Arbeitnehmerin als Nanny/Kinderfrau beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestand seit dem 1. Juni 2016, war bis zum 31. Mai 2017 befristet und mit gesetzlicher Frist ordentlich kündbar.
Ursprünglich war noch eine zweite Kinderfrau angestellt, die allerdings ihr Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung beendet hat. Die Arbeitgeberin beabsichtigte, als Ersatz die Zeugin B einzustellen. Frau B war in der zweiten Hälfte des Monats Januar 2017 zusammen mit der Klägerin in der Wohnung der Arbeitgeberin tätig.
Die Arbeitgeberin kündigte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis am 14. Februar 2017 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 15. März 2017.
Die fristlose Kündigung wurde bereits rechtskräftig für unwirksam erklärt. Die Parteien streiten nur noch über die ordentliche Kündigung. Die Klägerin hält diese für sitten- und treuwidrig.
Zu den Kündigungen sei es gekommen, weil die Zeugin B der Beklagten wahrheitswidrig mitgeteilt habe, dass die Klägerin behauptet habe, die Beklagte sei nie zu Hause, schließe sich immer in ihrem Zimmer ein und esse, wenn sie einmal daheim sei, nur Schokolade mit ihrer Tochter. Die Arbeitgeberin habe sich deshalb von der Klägerin in ihrer Mutterrolle kritisiert und ihrer Eitelkeit verletzt gefühlt, obwohl sie gewusst habe, dass diese Behauptungen im Kern wahr und deshalb von der Meinungsfreiheit gedeckt seien.
Die Beklagte habe sich daher aus Rachsucht und um finanzielle Mittel für eine Anstellung von Frau B frei zu machen, nicht mit einer ordentlichen Kündigung begnügen, sondern sich fristlos von der Klägerin trennen wollen. Da ihr bewusst gewesen sei, dass die vermeintlichen Äußerungen der Klägerin keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bildeten, habe die Beklagte weitere – wahrheitswidrige und die Vertraulichkeit verletzende – Äußerungen der Klägerin gegenüber Frau B sowie Kindesmissbrauch durch die Klägerin ersonnen und zum Beweis dieser frei erfundenen Kündigungsgründe im Prozess Frau B als Zeugin benannt. Damit sei das Kündigungsverhalten der Arbeitgeberin mit der Folge sittenwidrig, dass die gesamte Kündigung nichtig sei. Das Erfinden von Gründen, um die außerordentliche Kündigung zu stützen, schlage auf die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung durch.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Die ordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis fristgerecht aufgelöst.
I. Sittenwidrigkeit
Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB, wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Hierfür genügt es im Allgemeinen nicht, dass vertragliche Pflichten verletzt werden. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zu Tage getretenen Gesinnung ergeben kann.
II. Treu und Glauben
Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen. Die Vorschrift des § 242 BGB ist aber auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat gerade die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind.
III. Keine treu- oder sittenwidrige Kündigung
Ein Willkürvorwurf scheidet bereits dann aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt. Ein solcher ist bei einem auf konkreten Umständen beruhenden Vertrauensverlust grundsätzlich auch dann gegeben, wenn die Tatsachen objektiv nicht verifizierbar sind. Im vorliegenden Fall hat die Zeugin B der Beklagten unstreitig mitgeteilt, dass die Klägerin behaupte, sie – die Beklagte – sei nie zu Hause, schließe sich andernfalls immer in ihrem Zimmer ein und esse, wenn sie doch einmal daheim sei, nur Schokolade mit ihrer Tochter. Dass die Beklagte nicht weiter Kritik betreffend ihre Mutterrolle durch eine in ihrem Haushalt beschäftigte Arbeitnehmerin ausgesetzt sein wollte, ist verständlich und hat mit Rachsucht oder Vergeltung nichts zu tun.
Die Arbeitgeberin war auch nicht verpflichtet, der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu geben. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist – außer bei einer Verdachtskündigung im Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 KSchG – keine Wirksamkeitsvoraussetzung.
Auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt nicht vor. Durch das in Aussichtstellen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses ist schon kein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Die Beklagte hätte auch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis aufgrund der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG ohne das Erfordernis einer besonderen Rechtfertigung ordentlich kündigen können.
Schließlich schlagen auch etwaige unlautere Motive, die im Zusammenhang mit der fristlosen Kündigung eine Rolle gespielt haben, nicht auf die ordentliche Kündigung durch. Der erst nach Ausspruch der fristlosen Kündigung gefasste Vorsatz, die prozessuale Wahrheitspflicht zu verletzen, kann sich zwar als vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung darstellen. Zu dieser Schädigung ist es aber hier nicht gekommen, da die außerordentliche Kündigung rechtskräftig für unwirksam befunden wurde. Zudem bemisst sich eine Kündigung immer hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nach dem Zeitpunkt ihres Zugangs. Dies gilt auch für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit.
Fazit
Außerhalb des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes (vgl. § 23 KSchG) ist eine Kündigung ordentlich jederzeit möglich. Gründe müssen nicht vorhanden sein und mitgeteilt werden. Nur in seltenen Ausnahmefällen kann eine Kündigung noch als sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB oder als Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB für unwirksam angesehen werden. Für diese Gründe ist der Arbeitnehmer umfassend darlegungs- und beweisbelastet. Solche Gründe lagen hier nicht vor.
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