11.10.2020 -

Einigen sich die Betriebspartner über mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten nicht, kann ein Einigungsstellenverfahren eingesetzt werden. In vielen Fällen entsteht bereits Streit über die Frage, ob es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit handelt. Dann sind die Arbeitsgerichte berufen, eine Einigungsstelle zwangsweise einzusetzen. Die Voraussetzungen für ein solches Verfahren, das dem Beschleunigungsgrundsatz unterliegt, sind im Einzelnen in § 100 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) geregelt. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in einem nun bekannt gewordenen Beschluss entschieden, dass die zu regelnden Fragen rund um den Regelungsgegenstand „Mobiles Arbeiten“ grundsätzlich Mitbestimmungsrechte auslösen und eine Einigungsstelle bei fehlender Einigung eingesetzt werden kann ( LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 25.02.2020, 5 TaBV 1/20).


Das Thema der Mobilen Arbeit berührt zahlreiche Mitbestimmungstatbestände (Copyright: fizkes/adobe.stock).

Der Fall

Der beklagte Arbeitgeber betreibt bundesweit an mehr als 20 Standorten ein Forschungszentrum und beschäftigt mehr als 8.500 Mitarbeiter. Es wird der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für den Bund geltenden Fassung angewandt. Die örtlichen Betriebsräte haben einen Gesamtbetriebsrat gebildet.

Der Gesamtbetriebsrat strebt sei mehr als vier Jahren eine Regelung zum Mobilen Arbeiten an. Der Arbeitgeber hat Verhandlungen hierüber abgelehnt. Der Gesamtbetriebsrat hat dann beim Arbeitsgericht Köln beantragt, an insgesamt zehn Standorten jeweils eine Einigungsstelle zum Thema „Mobiles Arbeiten“ einzusetzen. Das Arbeitsgericht Köln hat die Verfahren für die jeweiligen Standorte abgetrennt und an die jeweils zuständigen Arbeitsgerichte verwiesen.

Das Arbeitsgericht Stralsund hat daraufhin für den dort gebildeten Standort eine Einigungsstelle eingesetzt. Hiergegen hat der Arbeitgeber Beschwerde eingelegt. Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle sei bereits offensichtlich unzuständig. Ein Mitbestimmungsrecht sei nicht ansatzweise zu erkennen.

Die Entscheidung

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts in vollem Umfange bestätigt.

I. Spezielles Einsetzungsverfahren

Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ist bei Bedarf eine Einigungsstelle zu bilden (vgl. § 76 BetrVG). Können sich die Betriebspartner über die Bildung der Einigungsstelle nicht einigen, legt das Arbeitsgericht den Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer fest. Die Anträge auf Einsetzung einer Einigungsstelle von einem der Betriebspartner können in dem speziellen Verfahren nach § 100 ArbGG nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.

„Offensichtlich“ ist die Unzuständigkeit, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht auf den ersten Blick erkennbar ist, dass eine Zuständigkeit des Betriebsrats bzw. des Antragstellers in dieser Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. „Offensichtlich“ heißt: klar erkennbar. Bloße Zweifel an der fehlenden Zuständigkeit genügen daher nicht, um die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden abzulehnen. Voraussetzung ist vielmehr eine klare und eindeutige Rechtslage.

Hinweis für die Praxis:

Das gerichtliche Verfahren auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden, für das besonders kurze Fristen gelten, hat den Zweck, den Betriebsparteien zeitnah eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Die abschließende Prüfung der Zuständigkeit im Einzelnen obliegt daher nicht dem Arbeitsgericht, sondern ist der Einigungsstelle überlassen. Dementsprechend ist die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig, wenn in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht, und die Rechtsfrage vom Bundesarbeitsgericht noch nicht geklärt ist.

II. Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Mobiles Arbeiten“

Eine offensichtliche Unzuständigkeit ist für diesen Regelungsgegenstand nicht gegeben. Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, u.a. mitzubestimmen bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage, § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Auch bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen sowie bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften bestehen Mitbestimmungsrechte, § 87 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 BetrVG.

Die mobile Arbeit unterfällt diesen Mitbestimmungstatbeständen. Mobiles Arbeiten setzt regelmäßig die Nutzung eigener oder dienstlich beschaffter elektronischer Endgeräte voraus. Diese Geräte und die hiermit produzierten Daten lassen es üblicherweise zu, das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Die Geräte können auch zur Erfassung oder zur Kontrolle der Arbeitszeiten genutzt werden. Aus den Anforderungen und Gegebenheiten des Mobilen Arbeitens ergeben sich regelungsbedürftige Arbeitszeitfragen. Des Weiteren stellen sich Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, z.B. im Hinblick auf das zeitliche Ausmaß der Erreichbarkeit, die Gewährleistung der Arbeitssicherheit außerhalb des Betriebsgeländes oder eines eingerichteten Heimarbeitsplatzes etc.

Damit sind Mitbestimmungsrechte keinesfalls von vornherein klar und deutlich erkennbar auszuschließen.

Fazit

Das Thema der Mobilen Arbeit berührt zahlreiche Mitbestimmungstatbestände. Können sich die Betriebspartner hierüber nicht verständigen bzw. besteht Streit über die Reichweite der Mitbestimmungstatbestände oder auch nur über den Text einer Gesamtbetriebsvereinbarung bzw. Einzelbetriebsvereinbarung kann der Streit nur im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens beigelegt werden. Können die Betriebspartner sich auch über die Besetzung der Einigungsstelle nicht verständigen, legt das Arbeitsgericht den Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer fest. In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass im Einsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG das Bundesarbeitsgericht nicht zuständig ist. Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts findet kein weiteres Rechtsmittel mehr statt (vgl. § 100 Abs. 2 S. 4 ArbGG).

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