18.11.2020 -

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat sich in einem wichtigen Beschluss mit der Frage befasst, ob der Betriebsrat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht nur die Freistellung für den Besuch von Schulungsveranstaltungen verlangen kann, sondern der Arbeitgeber zusätzlich verpflichtet werden kann, alle anfallenden Kosten zu übernehmen (Hess. LAG v. 14.02.2019, 16 TaBVGa 24/19). Die Entscheidung hat Bedeutung für die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat, insbesondere, wenn Streit über die Durchführung von Schulungsmaßnahmen besteht. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat dabei seine bislang restriktive Rechtsprechung aufgegeben und sich anderen Landesarbeitsgerichten in Deutschland (Düsseldorf und Hamburg) angeschlossen.


Eine Teilnahme an Schulungen nur in deutlichen Fällen ablehnen, wenn die Voraussetzungen erkennbar nicht vorliegen (Copyright: ASDF/Adobe.stock).

Der Fall

Der Arbeitgeber, ein bundesweit mit einer Vielzahl von Verkaufsstellen tätiges Textileinzelhandelsunternehmen, streitet mit einem der örtlichen Betriebsräte über die Teilnahme von zwei Betriebsratsmitgliedern an einer Betriebsratsschulung sowie die Freistellung von den hierfür anfallenden Kosten.

Der in der örtlichen Filiale gewählte Betriebsrat besteht aus fünf Mitgliedern. Der Arbeitgeber führte in der Vergangenheit einige technische Neuerungen ein. Es gibt zu den verschiedenen Regelungsgegenständen Gesamtbetriebsvereinbarungen. In einer Betriebsräteversammlung aus November 2018 erklärte der Personalchef des Arbeitgebers, dass Digitalisierung und E-Commerce für die Zukunft des Unternehmens eine wichtige Rolle spielen und bat die Betriebsräte, die Belegschaft in dieser Angelegenheit zu sensibilisieren.

Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung vom 15. November 2018 daraufhin beschlossen, zwei seiner Mitglieder zu dem Seminar „Handlungsfelder und Beteiligungsrechte für die betriebliche Interessenvertretung angesichts von Digitalisierung und Entwicklung des stationären Einzelhandels“ in der Zeit vom 19. bis zum 21. Februar 2019 zu entsenden. Die Seminargebühren betragen 750,00 Euro zzgl. Mehrwertsteuer. Hinzukommen Übernachtungskosten im Hotel Airport in Höhe von 357,00 Euro sowie die Tages-/Verpflegungspauschale in Höhe von 213,00 Euro, jeweils je Teilnehmerin. Schließlich fallen Fahrtkosten für die Bahnfahrt in Höhe von 178,00 Euro je Teilnehmerin an.

Die Arbeitgeberin hat die schriftlichen Anträge abgelehnt. Für die Teilnahme an der Veranstaltung bestehe keine Notwendigkeit und kein Schulungsbedarf. Das Seminar werde nicht genehmigt und es werden auch keine Kosten übernommen.

Der Betriebsrat hat daraufhin ein einstweiliges Verfügungsverfahren eingeleitet. Das Arbeitsgericht Frankfurt hat dem Antrag, gerichtet auf Freistellung für den Besuch der genannten Schulungsveranstaltung, für ein Betriebsratsmitglied stattgegeben. Für ein weiteres Betriebsratsmitglied wurde hingegen die Teilnahme abgelehnt. Die weitergehenden Anträge, die auf die Übernahme der verschiedenen anfallenden Kosten gerichtet waren, wurden jedoch insgesamt zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht den Anträgen des Betriebsrates umfassend stattgegeben. Beide Betriebsratsmitglieder sind berechtigt, an der Schulung teilzunehmen und es müssen auch alle Kosten übernommen werden.

I. Freistellung zur Schulung

Das Landesarbeitsgericht hat zunächst den Freistellungsanspruch für die Schulung bestätigt, allerdings für beide Betriebsratsmitglieder. Zwar handelt es sich bei der Schulung nicht um eine Grundlagenschulung, sondern um eine Vertiefungsschulung. Diese war aber notwendig, da gerade der Arbeitgeber die Themen der Schulung verstärkt umsetzt und sogar auf der Betriebsräteschulung die Betriebsräte gebeten hat, die Belegschaft dazu zu sensibilisieren. Der Arbeitgeber konnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Themen mit dem Gesamtbetriebsrat und nicht mit den örtlichen Betriebsräten verhandelt werden. Die örtlichen Betriebsräte sind nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verpflichtet, über die Einhaltung von Betriebsvereinbarungen zu wachen. Dies erfordert einen entsprechenden Kenntnisstand der örtlichen Betriebsräte.

II. Übernahme auch der Kosten!

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat hingegen seine bisherige Rechtsprechung, wonach Kosten nicht übernommen werden müssen, aufgegeben. Ohne eine im Vorhinein erfolgte Freistellung von den Seminar-, Hotel- und Verpflegungskosten sowie Zuverfügungstellung von Bahnkarten wird nicht gewährleistet, dass die Betriebsratsmitglieder tatsächlich an der zur Ausübung ihres Betriebsratsamtes erforderliche Schulungsveranstaltung teilnehmen können. Der Arbeitgeber ist zur Tragung der durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten, wozu auch der Besuch von Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG gehört, verpflichtet. Dies folgt aus § 40 Abs. 1 BetrVG. Zu beachten ist weiter, dass es sich bei dem Betriebsratsamt um ein unentgeltliches Ehrenamt handelt, § 37 Abs. 1 BetrVG. Das Betriebsratsmitglied darf also nicht eigenes Vermögen für die Betriebsratstätigkeit einsetzen. Vielmehr müssen alle hieraus entstehenden Kosten von dem Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG getragen werden. Dies schließt eine Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds zur Erbringung von Vorleistungen finanzieller Art im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit aus. Hiermit ist es unvereinbar, dem Betriebsratsmitglied, das an einer Betriebsratsschulung teilnehmen möchte, eine Verpflichtung zur Vorfinanzierung dieser Schulungsmaßnahme aufzuerlegen.

Der Betriebsrat ist aufgrund seiner eingeschränkten Vermögensfähigkeit gar nicht in der Lage, Schulungsveranstaltungen vorzufinanzieren. Folgerichtig hat das Landesarbeitsgericht entschieden, dass bei einer Verpflichtung im Wege der einstweiligen Verfügung zur Teilnahme an der Schulung hieraus gleichzeitig die Verpflichtung des Arbeitgebers folgt, die Teilnehmer von den hierfür anfallenden Seminar-, Unterkunfts- und Reisekosten freizustellen.

Hinweis für die Praxis:

Die Teilnehmer können auch nicht auf eine etwaige geltende betriebliche Reisekostenordnung verwiesen werden. Reisekostenordnungen regeln im Zusammenhang mit Dienstreisen lediglich anfallende Aufwendungen, die auf das Einzelarbeitsverhältnis bezogen sind. Demgegenüber handelt es sich bei der Freistellung von Betriebsratskosten um den gesetzlichen Anspruch aus § 40 Abs. 1 BetrVG.

Fazit

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat damit eine weitere Lücke im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes jedenfalls für das Gebiet Hessen geschlossen. Wird eine Schulung, die erforderlich ist, von dem Arbeitgeber abgelehnt, kann dieser im Wege der einstweiligen Verfügung nun umfassend zur Freistellung der Teilnehmer für die Betriebsratsschulung und zur Übernahme der Kosten verpflichtet werden. Die Erforderlichkeit für die Teilnahme an Schulungen wird dabei von den Arbeitsgerichten in Zweifelsfällen regelmäßig bejaht. Wir können daher der betrieblichen Praxis nur empfehlen, die Teilnahme an Schulungen nur in deutlichen Fällen, wenn die Voraussetzungen erkennbar nicht vorliegen, abzulehnen.

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