Fehlerhafte Abrechnungen des Chefarztes können arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, bis hin zur außerordentlich fristlosen Kündigung. Erfolgt die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen aber durch den Krankenhausträger oder eine Fremdfirma und nicht durch den Chefarzt selbst und ist im Chefarztvertrag eine Beteiligungsvergütung anstatt eines Liquidationsrechts vereinbart, erscheint der Fehler des Chefarztes in einem anderen Licht.


Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Aachen kann in der Konstellation eines fehlenden eigenen Liquidationsrechts eine fehlerhafte Abrechnung eine Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung erfordern (Copyright: cat027/adobe.stock).

Der Fall

Ein Chefarzt erhielt aufgrund entsprechender Regelungen in seinem Chefarztvertrag eine Beteiligung an den Bruttoliquidationseinahmen des Krankenhausträgers aus der gesonderten Berechnung wahlärztlicher Leistungen seiner Abteilung (Beteiligungsvergütung). Er war nicht zur Privatliquidation berechtigt, hatte also kein Liquidationsrecht. Wahlärztliche Leistungen wurden durch den Krankenhausträger mit den Kostenträgern abgerechnet.

Der Chefarzt wurde wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges angehört und anschließend außerordentlich fristlos gekündigt. Der Krankenhausträger behauptete, dass in insgesamt sieben Fällen, in denen mit Patienten eine Wahlleistungsvereinbarung abgeschlossen worden sei, der Chefarzt die Patienten gar nicht persönlich behandelt habe, sondern dessen Oberarzt, der nicht ständiger Vertreter im Sinne der Wahlleistungsvereinbarungen war. Wegen zeitlicher Überschneidungen zu anderen Operation sei ihm dies gar nicht möglich gewesen. Es reiche nicht aus, wenn der Chefarzt sich in der Nähe des Operationssaals aufhalte, vielmehr müsse er die Operationen selbst durchführen oder zumindest die fachliche Leitung innehaben, so der beklagte Krankenhausträger. Der Chefarzt bestritt die Vorwürfe und wehrte sich gegen die Kündigung.

Die Entscheidung

Die Kündigung sei unwirksam, so das Arbeitsgericht Aachen. Zwar könne auch ein dringender Verdacht für eine fristlose außerordentliche Kündigung ausreichen (sog. Verdachtskündigung). Ein dringender Verdacht des Abrechnungsbetruges läge indes nicht vor. Richtig sei zwar, dass es für die Berechnung als „selbstständige ärztliche Leistung“ gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 GOÄ nicht ausreiche, wenn der Chefarzt allgemeine organisatorische Weisungen gebe. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gehe davon aus, dass nach den Grundsätzen der gebührenrechtlichen Delegation der Chefarzt gem. § 5. Abs. 2 S. 1 GOÄ selbständige ärztliche Leistungen berechnen könne, die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht würden. Hierfür reiche es allerdings nicht aus, dass der Chefarzt allgemeine organisatorische Weisungen gebe oder die Mitarbeiter sorgfältig auswähle oder überwache. Er müsse vielmehr an der Leistungserbringung im Einzelfall mitwirken und die nach der jeweiligen Art der Leistung gebotene Aufsicht führen. Der Chefarzt müsse der Verantwortlichkeit für die Durchführung der delegierten Leistungen im Einzelfall tatsächlich und fachlich gerecht werden. Eine derartige Aufsicht setze aber – wenn schon nicht Anwesenheit – dann jedenfalls die Möglichkeit, unverzüglich persönlich einwirken zu können, voraus. Dagegen reiche es nicht aus, dass der Chefarzt die Behandlung nur supervisiere und fachlich begleite. Dadurch würden die eigenverantwortlich durch Dritte durchgeführten Behandlungsmaßnahmen noch nicht zu eigenen Leistungen des Chefarztes, zumal die Oberaufsicht, unabhängig von einer Wahlleistungsvereinbarung, ohnehin dem Chefarzt obliege. Es reiche nicht aus, dass er lediglich im Sinne einer Oberaufsicht die grundlegende Entscheidung einer Behandlung von Wahlleistungspatienten selbst treffe, deren Vollzug überwache und entsprechende Weisungen erteilen könne. Es könne nicht angenommen werden, dass ein Patient den Behandlungsvertrag mit einem Chefarzt abschließe, um die ohnehin im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen geschuldete ärztliche Leistung nochmals zu vereinbaren und zu bezahlen. Zur Erfüllung der Verpflichtung aus dem Wahlarztvertrag sei es deshalb erforderlich, dass der Chefarzt durch sein eigenes Tätigwerden der wahlärztlichen Behandlung sein persönliches Gepräge gebe, d. h. er müsse sich zu Beginn, während und zum Abschluss der Behandlung mit dem Patienten befassen. Kernleistungen habe er stets persönlich zu erbringen. Dabei sei bei jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme zu fragen, ob sie dem Wahlarzt nach herkömmlichem Verständnis zur eigenen Verantwortung zuzurechnen sei. Das Arbeitsgericht bezog sich bei seinen Ausführungen auch auf die Rechtsprechung des LAG Niedersachsen, Urteil vom 17.04.2013.

Soweit ein Chefarzt sodann nicht selbst erbrachte ärztliche Leistungen als eigene abrechne, habe er nicht lediglich behauptet, zu deren Abrechnung berechtigt zu sein, sondern er habe damit zumindest konkludent auch behauptet, dass die Voraussetzungen der der Abrechnung zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften (GOÄ) eingehalten worden sind und mithin einen Abrechnungsbetrug begangen. Damit begehe der Chefarzt mithin einen Abrechnungsbetrug.

Im vorliegenden Fall war der Chefarzt aber gerade nicht dazu berechtigt, Wahlleistungen im Rahmen der Privatliquidation selbst abzurechnen. Im Chefarztvertrag war eine Beteiligungsvergütung vereinbart; dem Chefarzt war gerade kein Liquidationsrecht eingeräumt. Auch wurden die Wahlleistungsvereinbarungen nicht vom Chefarzt selbst abgeschlossen. Die Abrechnung der Wahlleistungen erfolgte durch den Krankenhausträger, auch das war im Chefarztvertrag so geregelt.

Allein aus der zeitlichen Überschneidung zu anderen Operationen folge aber kein dringender Verdacht des Abrechnungsbetrugs, so das Arbeitsgericht Aachen. Es reiche nämlich für die Abrechnung der Wahlleistungen aus, dass der Arzt durch sein eigenes Tätigwerden der wahlärztlichen Behandlung sein persönliches Gepräge gebe. Hierfür müsse er sich zu Beginn, während und zum Abschluss der Behandlung mit dem Patienten befassen und Kernleistungen persönlich erbringen. Aus diesem Grunde sei es auch unschädlich, wenn auf Protokollen lediglich der Operateur selbst vermerkt sei – dies schließe grundsätzlich nicht aus, dass der Chefarzt der ärztlichen Behandlung sein persönliches Gepräge gegeben habe. Denn die Protokolle, so das Arbeitsgericht, würden jedenfalls keine letztmalige Garantie dafür geben, dass ein hier nicht eingetragener Arzt nicht bei der OP anwesend gewesen sei. Vielmehr habe der Chefarzt überzeugend dargetan, dass von den hierfür zuständigen Pflegekräften häufig nur der tatsächlich operierende Arzt eingetragen werde. Dies schließe – im Sinne des für eine Verdachtskündigung erforderlichen dringenden Verdachtes, welcher eine andere Möglichkeit der tatsächlichen Geschehnisse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen müsse – eben nicht aus, dass der Chefarzt in einem solchen Fall im Protokoll nicht eingetragen würde, obgleich er im abrechnungsrechtlichen Sinne der Operation sein Gepräge gegeben habe, so das Arbeitsgericht Aachen.

Selbst aber wenn der Chefarzt den Operationen nicht sein „Gepräge“ gegeben hätte, rechtfertige dies vorliegend nicht die fristlose Kündigung. Für die Abrechnung an sich sei der Chefarzt – in der gelebten Praxis und gemäß Chefarztvertrag – nämlich nicht zuständig gewesen, da diese durch eine vom Krankenhausträger beauftragte Fremdfirma erfolgt sei. Das Vorbringen des Chefarztes, er könne nicht wissen, ob und wie eine in den Akten befindliche Leistung später abgerechnet werde, wurde vom Krankenhausträger insoweit nicht widerlegt. Soweit sich der Vorwurf aber in diesem Rahmen halte, rechtfertige er keine außerordentlich fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung, so das Arbeitsgericht. Es sei nämlich gerade nicht erkennbar, dass hierin ein derart gravierendes Fehlverhalten des Klägers zu sehen wäre, welches ohne Abmahnung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde. Vielmehr erscheine die Prognose gerechtfertigt, der Chefarzt hätte durch eine entsprechende Abmahnung die von dem Krankenhausträger hier monierte Abrechnungspraxis korrigiert und in zukünftigen Fällen die Patientenakten entweder selbst überprüft oder zumindest die Abrechnungsstelle darauf hingewiesen, dass nicht alle dort enthaltenen ärztlichen Leistungen als Wahlleistungen abzurechnen seien. Aufgrund des oben dargelegten Prognoseprinzips wäre daher eine vorherige Abmahnung selbst bei als zutreffend unterstelltem Sachvortrag der Beklagten erforderlich gewesen. Vor der Kündigung hätte also eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Die Kündigung war deshalb unwirksam.

Fazit

Da Chefarztverträge, so beispielsweise auch das Chefarztvertragsmuster der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), inzwischen oftmals kein eigenes Liquidationsrecht des Chefarztes mehr vorsehen, sondern lediglich eine Beteiligungsvergütung, hat dieses Urteil hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Folgen falscher Abrechnungen größere Bedeutung. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Aachen kann in der Konstellation eines fehlenden eigenen Liquidationsrechts eine fehlerhafte Abrechnung eine Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung erfordern. Beim Vorwurf des Abrechnungsbetrugs im Rahmen einer Kündigung kommt es also mitentscheidend auf den Chefarztvertrag und die Abrechnungspraxis an: Ist eine Beteiligungsvergütung vereinbart oder wurde dem Chefarzt ein Liquidationsrecht eingeräumt? Wer rechnet ab? Wer ist für den Abschluss der Wahlleistungsvereinbarungen und deren Inhalt verantwortlich?

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Kanzlei für Medizin­recht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • „Eine der besten Wirtschafts­kanz­leien für Gesundheit und Pharmazie“
    (brand eins Ausgabe 19/2023, 23/2022, 20/2021, 16/2020)

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei Deutsch­lands im Bereich Gesundheit & Pharmazie
    (FOCUS SPEZIAL 2022, 2021, 2020 - 2013)

  • TOP-Kanzlei für Arbeits­recht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

Autor

Bild von Dr. Christopher Liebscher, LL.M. (Penn)
Partner
Dr. Christopher Liebscher, LL.M. (Penn)
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht
  • Fachanwalt für Medizinrecht
Ihr Ansprechpartner für
  • alle Fragen des Individual- und kollektiven Arbeitsrechts
  • die arbeits- und medizinrechtliche Beratung im Gesundheitssektor
  • die Beratung von Arbeitgebern im Arbeitsrecht
  • die arbeitsrechtliche Beratung von Geschäftsführern, Führungskräften und Arbeitnehmern
  • Chefarztrecht

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen