Infolge der Corona-Pandemie sind Krankenhäuser durch staatliche Anordnung dazu verpflichtet, Kapazitäten zur Behandlung von COVID-19 Patienten zurückzuhalten. Insoweit sind beispielsweise in der Berliner Verordnung zu Regelungen in zugelassenen Krankenhäusern, während der Covid-19-Pandemie (Krankenhaus-Covid-19-Verordnung) Reservierungs- und Freihaltequoten dahingehend bestimmt, wie viele Betten für die intensivmedizinische Behandlung von Covid-19-Patienten freigehalten oder reserviert werden müssen. Reservierte Betten dürfen dabei ausschließlich für Covid-19-Patienten genutzt werden, freigehaltene Betten dürfen maximal 12 Stunden mit Notfallpatienten belegt werden, ehe sie wieder zur Behandlung zur Verfügung zu stellen sind (§ 8 Abs. 3 Krankenhaus-Covid-19-Verordnung Berlin). Wenn – wie im Frühjahr 2020 – diese reservierten Kapazitäten gar nicht abgerufen werden oder einzelne Abteilungen aufgrund einer Umorganisation von Einnahmen abgeschnitten werden, können sich finanzielle Einbußen für Chefärzte ergeben.

Die Reservierungs- und Freihaltepflicht hat somit oftmals Auswirkungen auf Liquidationserlöse bzw. auf die Beteiligungsvergütung der Chefärzte. Es stellt sich damit die Frage, ob Chefärzte Ersatz für entstehende Einnahmeverluste verlangen können.


Chefärzte sollten genau prüfen, ob und in welcher Form ihr Chefarztvertrag eine Entwicklungsklausel enthält (Copyright: Robert Kneschke/adobe.stock).

Ersatz für reduzierte Liquidationseinnahmen?

In vielen älteren Chefarztverträgen wird dem Chefarzt das Liquidationsrecht für gesondert berechenbare wahlärztliche Leistungen sowie für ambulante Leistungen (Privatsprechstunde, nichtstationäre Gutachtertätigkeit, persönliche Ermächtigung) eingeräumt. Nach Ansicht des BAG könne dieses Liquidationsrecht aufgrund seines Charakters als Erwerbschance nicht Gegenstand von Annahmeverzugslohnansprüchen nach § 615 S. 1 BGB sein. Der Anspruch aus § 615 S. 1 BGB sei immer dann einschlägig, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht annehmen wolle. In diesen Fällen sei die vereinbarte Vergütung dennoch zu zahlen. Anders als ein Festgehalt könne das Liquidationsrecht aber nicht einfach nachträglich eingeräumt werden. Die Vergütungspflicht könne insoweit nicht nachgeholt werden und werde also unmöglich (BAG vom 15. 9. 2011 − 8 AZR 846/09). Bei Reservierungs- und Freihalteverpflichtungen kann der Chefarzt also nicht automatisch die entgangenen Liquidationseinnahmen verlangen. Ihm steht jedoch ein Schadensersatzanspruch zu, wenn der Krankenhausträger diese Erwerbschance fahrlässig oder vorsätzlich vereitelt hat. Setzt der Krankenhausträger aber lediglich behördliche Anordnungen um, wird sich darin keine Pflichtverletzung erblicken lassen. Werden diese aber organisatorisch nicht sachgerecht umgesetzt, kommt hingegen eine Pflichtverletzung durchaus in Betracht. Eine solche darzulegen, ist aber argumentativ aufwendig. Es wird darauf abzustellen sein, ob einzelne Abteilungen unsachlich benachteiligt werden.

Interessant ist auch die Frage, ob ein Chefarzt an sogenannten „Freihalte-Pauschalen“ partizipieren kann. § 21 Abs. 1a Krankenhausfinanzierungsgesetz sieht Regelungen vor, in welchen Fällen Krankenhäuser Ausgleichszahlungen für leerstehende Betten erhalten. Ansprüche des Chefarztes, der ja immerhin sein Liquidationsrecht nicht wahrnehmen kann, auf eine Beteiligung an solchen Ausgleichszahlungen sind durchaus diskussionswürdig und sollten rechtlich geprüft werden. Als Anspruchsgrundlagen kommen insbesondere § 285 BGB sowie vertragliche Nebenpflichten in Betracht. Eine richterliche Klärung dieser Frage steht noch aus.

Ersatz bei entgangener Beteiligungsvergütung?

Steht dem Chefarzt gemäß Chefarztvertrag kein Liquidationsrecht, sondern eine Beteiligungsvergütung zu – wie es die modernen Chefarztverträge und auch das Chefarztvertragsmuster der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vorsehen – ist die Rechtslage eine andere. Eine Beteiligungsvergütung ist nicht nur eine Erwerbschance, sondern eine konkrete Zusatzvergütung (variable Vergütung). Als solche kann sie grundsätzlich auch im Rahmen des Annahmeverzugs berücksichtigt werden. Ein Annahmeverzugslohnanspruch des Chefarztes ist also grundsätzlich denkbar. Angesichts der Vielzahl möglicher Gestaltungsformen im Chefarztvertrag verbieten sich diesbezüglich jedoch pauschale Aussagen. Die Klauseln zur variablen Vergütung im Chefarztvertrag – und insbesondere auch eine im Chefarztvertrag etwaig enthaltene Entwicklungsklausel – sind konkret zu prüfen. Beruhen die geringeren Einnahmen nicht direkt auf behördlichen Anordnungen, sondern etwa auf Versäumnissen bei der Umsetzung, kommt wiederum ein Schadensersatzanspruch in Betracht.

Ist eine Anpassung der Vergütung denkbar?

Wird die Arbeitsleistung des Chefarztes aufgrund der Kapazitätsbeschränkungen tatsächlich nicht in Anspruch genommen, kann der Chefarzt gleichwohl Vergütung verlangen. Entsprechend § 615 S. 3 BGB trägt der Arbeitgeber hier das Betriebsrisiko. Regelmäßig wird sich aber eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Chefarzt finden lassen, schließlich hat dieser auch administrative Aufgaben zu erfüllen. Dass ein Chefarzt aufgrund der Kapazitätseinschränkungen überhaupt nicht arbeiten kann, ist somit eher unrealistisch.

Weicht eine Situation grundlegend von der Ausgangslage ab, von der Chefarzt und Krankenhausträger bei Abschluss des Chefarztvertrages ausgegangen sind, ist stets an das Rechtsinstitut der „Störung der Geschäftsgrundlage“ zu denken. Dieses ermöglicht in Extremsituationen eine Anpassung des Chefarztvertrags an die geänderten Umstände. Insoweit unterscheidet sich die beschriebene Situation eines Chefarztes nicht von zahlreichen anderen pandemiebedingt entstandenen Konstellationen. Ob eine Vertragsanpassung vorzunehmen ist, wird dabei stets nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu beurteilen sein. Auf jeden Fall werden die in Zielvereinbarungen genannten Vorgaben in vielen Fällen nicht zu erreichen sein. Gegebenenfalls kann insoweit aber auch ein Gespräch mit der Geschäftsführung – gerade auch im Hinblick auf die Vorgaben für das Folgejahr – zur Auflösung der Problemlage beitragen.

Entschädigung gemäß der Entwicklungsklausel im Chefarztvertrag?

§ 15 des Musterchefarztvertrags der DKG sieht ein Recht des Krankenhausträgers vor, im Rahmen seines Direktionsrechts den Umfang der Abteilung und insbesondere auch Zahl und Aufteilung der Betten in sachlich gebotenem Umfang abzuändern. Werden einzelne Betten freigehalten oder reserviert, lässt sich darin durchaus eine Änderung der Bettenzahl erblicken. Angesichts entsprechender gesetzlicher Vorgaben bzw. behördlicher Maßnahmen wäre dies unproblematisch sachlich geboten und mithin vom Direktionsrecht erfasst. Rechtsfolge der bezeichneten Änderungsmaßnahmen wären aber – im Umkehrschluss zu § 15 Abs. 3 des Musterchefarztvertrags der DKG – Entschädigungsansprüche des Arztes, wenn ein vorab bestimmter Prozentsatz der durchschnittlichen Chefarztvergütung nicht erreicht würde. Die Entwicklungsklausel sieht zumindest im Muster der DKG gerade den Fall vor, dass aufgrund gesetzgeberischer Entwicklungen oder behördlicher Maßnahmen strukturelle Änderungen durchgeführt werden, die dann zur Einnahmeverlusten beim Chefarzt führen. In der gegenwärtigen Konfliktlage handelt es sich bei der Entwicklungsklausel daher um ein sehr relevantes Instrument, welches dem Chefarzt den Ausgleich seiner Einnahmeverluste gewährleisten kann. Abzuwarten bleibt, wie Rechtsprechung und Literatur die Anwendbarkeit der Entwicklungsklausel bei Einnahmeverlusten durch Reservierungs- und Freihaltequoten bewerten werden. Auf jeden Fall sollten Chefärzte genau prüfen, ob und in welcher Form ihr Chefarztvertrag eine Entwicklungsklausel enthält. Regelmäßig wird der Chefarztvertrag auch eine Ausschlussfrist enthalten, welche unbedingt beachtet und eingehalten werden muss.

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