Durch ungerechtes, schikanöses Vorgesetztenverhalten können Mitarbeiter psychisch Schaden nehmen. In diesem Fall muss ein Chefarzt auch befürchten, zivilrechtlich zu haften bzw. auf Schmerzensgeld in Anspruch genommen zu werden. Gegenstand des BAG-Urteils waren aber ebenfalls die Fragen, ob dann auch der Krankenhausträger haftet und ob ein schikanierter Arbeitnehmer die Kündigung des mobbenden Chefarztes verlangen kann.


BAG, Urteil vom 25. 10. 2007 – 8 AZR 593/06 (Copyright: Tiko/adobe.stock).

Der Fall

Ein erster Oberarzt der Neurochirurgie war bei der Besetzung der Chefarztstelle zugunsten eines externen Bewerbers übergangen worden. Der Oberarzt fühlte sich vom neuen Chefarzt gemobbt. Mehrfach habe er kurzfristig seinen Urlaub umbuchen müssen, da der Chefarzt spontan für den gleichen Zeitraum Urlaub eingereicht habe – dann aber doch im Dienst verblieben sei. Der Chefarzt habe den Oberarzt zudem in Gegenwart von vier Kollegen aggressiv auf Einzelheiten seiner Operationen angesprochen und ihm im Rahmen einer Diskussion um fachübergreifende Bereitschaftsdienste unlautere Motive unterstellt. Als der Oberarzt auf Probleme bei einer Operation hingewiesen habe, sei er vom Chefarzt mit den Worten: „Ich bin hier Operateur und Sie sind mein Handlanger. Sie haben zu tun, was ich Ihnen sage!” angeschrien worden. Der Oberarzt begab sich in psychiatrische Behandlung. Er führte seine Erkrankung auf das „Mobbing-Verhalten” des Chefarztes zurück. Die Klinikleitung führte mehrere Gespräche mit den Beteiligten und initiierte ein Konfliktlösungsverfahren unter Leitung eines externen Vermittlers. Diese schlug allerdings fehl. Der Oberarzt ging gerichtlich gegen den Krankenhausträger vor. Hierbei verlangte der Oberarzt Schmerzensgeld und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses seines vorgesetzten Chefarztes, hilfsweise seine eigene Versetzung. Die Klinikleitung gab an, alles ihr Mögliche zur Lösung des Konflikts versucht zu haben.

Die Entscheidung

Der Oberarzt konnte nicht gerichtlich durchsetzen, dass dem Chefarzt gekündigt wird. Im Rahmen der Fürsorgepflicht sei der Arbeitgeber zwar verpflichtet, seine Arbeitnehmer vor Belästigungen durch Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Dritte, auf die er Einfluss habe, zu schützen und ihnen einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, so das BAG. Es bestünde aber kein Anspruch des Arbeitnehmers auf konkrete Maßnahmen. Der Arbeitnehmer könne nur verlangen, dass der Arbeitgeber das ihm zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausübe. Eine Kündigung des Chefarztes könne vom Krankenhausträger nicht verlangt werden, da diese im konkreten Fall unverhältnismäßig sei. Vor einer Kündigung müsste als milderes Mittel zunächst eine Abmahnung ausgesprochen werden.

Ein Anspruch des Oberarztes auf Versetzung auf einen seiner Leistungsfähigkeit und Stellung entsprechenden Arbeitsplatz bestehe ebenfalls nicht, so das BAG. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers reiche nicht derart weit. Der Oberarzt sei als Facharzt für Neurochirurgie auf dieses Fachgebiet beschränkt. In einer anderen Abteilung müsste er, um eine seiner bisherigen Position entsprechende Stellung zu erlangen, ebenfalls als erster Oberarzt beschäftigt werden. Ein Einsatz in einer anderen Abteilung als der Neurochirurgie komme zwar grundsätzlich in Betracht, aber nicht als weisungsbefugter erster Oberarzt. Die Klinik müsste also, um den Versetzungswunsch auf eine gleichwertige Position zu entsprechen, eine zusätzliche Abteilung für Neurochirurgie einrichten und dort eine Stelle für einen ersten Oberarzt vorsehen. Dies sei der Klinikleitung nicht zumutbar, so das Gericht.

Der Oberarzt könne aber Schmerzensgeld vom Krankenhausträger verlangen, da dieser seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt habe. Diese würden auch den Schutz der Gesundheit und der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter umfassen und seien hier durch das als Mobbing zu bezeichnende Verhalten des Chefarztes verletzt worden, stellte das BAG fest. Mobbing sei allerdings kein Rechtsbegriff und damit auch keine Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder gegen Vorgesetzte bzw. andere Arbeitskollegen. Im Rahmen deliktischer Anspruchsgrundlagen komme einem systematischen „Mobbing“ aber doch Bedeutung zu, so das Gericht. Hier sei das Rechtsgut der Gesundheit verletzt worden. Für die Ursächlichkeit des Verhaltens des Chefarztes komme es darauf an, ob ein durch „Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld” geschaffen worden sei. Wesensmerkmal der als „Mobbing” bezeichneten Form der Rechtsverletzung des Arbeitnehmers sei damit die systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen/Verhaltensweisen zusammensetzende Verletzung, wobei den einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen für sich allein betrachtet oft keine rechtliche Bedeutung zukomme.

Hier sei ein solches von Einschüchterungen und Erniedrigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen worden. Die geschilderten Vorfälle seien geeignet gewesen, die Person des Oberarztes und seine fachliche Qualifikation herabzuwürdigen. Der Chefarzt habe dem Oberarzt nicht den notwendigen Respekt entgegengebracht und auch im Übrigen erhebliche Mängel im zwischenmenschlichen Umgang mit dem Oberarzt erkennen lassen. Dieses Verhalten des Chefarztes könne dem Krankenhausträger auch zugerechnet werden, da der Chefarzt gegenüber dem Oberarzt weisungsbefugt gewesen sei. Der Chefarzt habe auch schuldhaft gehandelt, was ebenfalls zugerechnet werden könne. Auf Versuche der Klinikleitung zur Beilegung des Konflikts käme es daher nicht an. Eine Haftungsbeschränkung zugunsten des Chefarztes komme nicht in Betracht, zumindest könne sich das Krankenhaus nicht hierauf berufen. Zwar würde ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber nur eingeschränkt haften, was der Mitverantwortung des Arbeitgebers für die Organisation des Betriebs und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen Rechnung trage. Konsequenz daraus sei aber nicht, dass der Arbeitgeber bei einem zwischen den Arbeitnehmern verursachten Schaden nur eingeschränkt hafte, so das Gericht. Eine solche Konsequenz wäre widersinnig, da der Arbeitgeber dann von seiner eigenen Mitverantwortung profitieren würde.

Aus dem Mobbing des Chefarztes resultiere im Ergebnis die psychische Erkrankung des Oberarztes, sodass diesem ein Schmerzensgeldanspruch zustehe, urteilte das BAG. Keine Rolle spiele, ob die erfolglose Bewerbung um die Chefarztstelle möglicherweise eine psychische Vorschädigung ausgelöst habe. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletze, könne nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre, so das BAG.

Fazit

Wer als vorgesetzter Chefarzt nachgeordnetes Personal schikaniert, haftet nicht nur unter Umständen selbst den betreffenden Arbeitnehmern gegenüber auf Schmerzensgeld, sondern kann auch Ansprüche gegen den Krankenhausträger verursachen. Dies kann dann wiederum arbeitsrechtliche Konsequenzen – und Regeressforderungen des Arbeitgebers – nach sich ziehen.

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