Wiederholt haben wir an dieser Stelle über die in den meisten Fällen unsichere Rechtslage von Gewerbemietern berichtet, die sich mit behördlichen Schließungen ihrer Betriebe konfrontiert sehen und nach den Buchstaben ihrer Mietverträge die Miete ungemindert weiterzahlen sollen, obwohl sie vorübergehend die Räume nicht für den vertraglich vorgesehenen Zweck nutzen können. Zuletzt hatten sich in der Instanzrechtsprechung verschiedene, widerstreitende Tendenzen zu der Frage gezeigt, ob und inwieweit eine Corona-bedingte Schließung ein Fall der „Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB) sein könnte.


Gesetzgeber wechselt auf die Überholspur (Copyright: Marc Bode/adobe.stock).

Störung der Geschäftsgrundlage: Ein gesetzlicher Ausnahmefall

Unter „Geschäftsgrundlage“ versteht das Gesetz einen Umstand, der zur Grundlage des Vertragsverhältnisses geworden ist. Dabei handelt es sich regelmäßig nicht um die ausdrücklichen Regelungen, die Parteien im Vertrag festgelegt haben, sondern – auf den kurzen Nenner gebracht – gemeinsame, übereinstimmende Erwartungen der Parteien, dass der Vertrag und seine Durchführung sich unter bestimmten Umständen abspielen werde. Wenn und soweit sich solche Umstände wesentlich oder schwerwiegend geändert haben, kann die Geschäftsgrundlage gestört sein, d.h. sich geändert haben oder weggefallen sein, und der davon betroffenen Partei ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages zustehen, bis hin – im Extremfall – zum Vertragsrücktritt, wenn eine Anpassung des Vertrages unmöglich oder einer der Parteien nicht zuzumuten ist. Ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Änderung der Geschäftsgrundlage ist aber stets ein absoluter Ausnahmefall, der nur dann überhaupt eingreifen kann und darf, wenn die Regelungen des Vertrags selbst und die im Gesetz vorgesehenen regelmäßigen Rechtsbehelfe die eingetretene Störung im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu beheben nicht in der Lage sind. Auch deshalb war bislang so umstritten, ob Gewerbemietverträge – im Sinne vor allem einer Minderung der Miete – wegen der Auswirkungen der Covid-19-Schutzmaßnahmen nach den Regeln des § 313 BGB anzupassen sind. Denn dies setzt letztlich voraus, dass beide Vertragsparteien den Vertrag in der bewussten Erwartung abgeschlossen haben, es werde keine Pandemie ausbrechen, die zu Geschäftsschließungen führt – zumindest kein ganz naheliegender Gedanke, und bis auf die Auswirkungen der beiden Weltkriege, die den Folgen des Ausbruchs einer Pandemie nur bedingt gleich gelagert sind, in der bisherigen Rechtsprechung ohne Beispiel.

Neuregelung des Bundestages: Eine gesetzliche Vermutung

Mit der durchaus naheliegenden und plausiblen Zielsetzung, die rechtliche „Hängepartie“ unzähliger betroffener Gewerbemieter zu verkürzen, bis sich die Rechtsfrage durch die Instanzen zum Bundesgerichtshof „hochgearbeitet“ haben wird, hat der Bundestag nun die gesetzgeberische Überholspur befahren und – in einem so noch nie dagewesenen Schritt – für den Einzelfall „Corona“ in den Regelungsmechanismus des BGB eingegriffen. Mit Wirkung vom 01.01.2021 gilt die gesetzliche Vermutung, dass sich ein Umstand im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage eines Gewerbemietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie dazu führen, dass die Mieträume für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind (Art. 240 § 7 EGBGB). Begleitend dazu wurde geregelt, dass gerichtliche Verfahren über die Anpassung der Gewerbemiete aus diesem Grund vorrangig und beschleunigt behandelt werden müssen; in diesen Prozessen soll ein früher erster Termin spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift stattfinden (§ 44 EGZPO).

Aus dieser Gesetzgebung können betroffene Mieter allerdings keineswegs Minderungsrechte ableiten. Die Regelung erlaubt lediglich, das normalerweise ziemlich fest verschlossene Eingangstor zur „Störung der Geschäftsgrundlage“ mit einem Corona-Notschlüssel zu öffnen; was dann weiter geschieht, ist nach wie vor Sache des Einzelfalls und ohne sicher absehbares Ergebnis.

Unterstellt, Mieter und Vermieter stritten sich gerichtlich über einen Anpassungsanspruch des Mieters wegen der Corona-Schließungen, funktioniert der Mechanismus wie folgt:

In einem ersten Schritt muss der Mieter zunächst darlegen und beweisen, dass seine Mieträume infolge Corona-bedingter behördlicher Schließungen für seinen Betrieb nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind. Gelingt das, greift die gesetzliche Vermutung der schwerwiegenden Veränderung von Umständen im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB. Dann ist es Sache des Vermieters, diese zu seinen Lasten wirkende Vermutung zu widerlegen, nämlich darzulegen und zu beweisen, dass, warum und in welchem Umfang die Verwendbarkeit eben nicht eingeschränkt war. Dem Mieter verbleibt seinerseits lediglich noch, darzulegen und zu beweisen, dass es unter den gegebenen Umständen für ihn unzumutbar ist, an dem Vertrag mit seinem so geschlossenen Inhalt festzuhalten.

Folgen für Gewerbemieter: Leichter an den Verhandlungstisch

Aus Sicht des Gewerbemieters darf ernsthaft bezweifelt werden, ob dies wirklich zu einer halbwegs verlässlichen Vergünstigung seiner durch die Corona-Pandemie herbeigeführten wirtschaftlichen Notlage führen kann. Dem Vermieter, an den er sich mit der Bitte um Anpassung des Mietvertrages wendet, stehen zwar die Schwierigkeiten vor Augen, in einem Streitfall den die Vermutung widerlegenden Beweis führen zu müssen, doch nichts zwingt ihn, außergerichtlich in eine mit geringerer Miete verbundene Vertragsänderung einzuwilligen. Verweigert der Vermieter seine Mitwirkung, muss der Mieter klagen und sieht sich auch unter Berücksichtigung der Verkürzungsvorschrift des § 44 EGZPO in einem immer noch voraussichtlich mehrmonatigen Klageverfahren mit ungewissem Ausgang. Denn auch die neue gesetzliche Regelung gibt keinen Anspruch auf eine bestimmte Rechtsfolge, wenn eine gestörte Geschäftsgrundlage festgestellt wird. Es bleibt vielmehr dabei, dass der Mieter einen „Anspruch auf Anpassung“ hat; dieser kann – je nach Einzelfall – z.B. in einer Minderung, einer mietfreien Zeit oder auch nur in einer Stundung der Miete bestehen.

Folgen für Gewerbevermieter: Erschwerte Beweislage

Für den Vermieter von Gewerberäumen bleibt die Lage ähnlich unbefriedigend. Der Rückzug auf eine bislang wirksame vertragliche Risikozuweisung an den Mieter wird zumeist auch dann schwierig werden, wenn die ausdrücklichen Bestimmungen des Vertrages in wirksamer Weise das Verwendungsrisiko einseitig oder weitgehend einseitig dem Mieter auferlegen. Kommt es zum Prozess, dann wird der Vermieter unter Umständen erhebliche Probleme haben, die Einschränkung der Verwendbarkeit im Einzelfall nachzuweisen, schon weil er nicht in allen Fällen ausreichenden Einblick in die Geschäftsabläufe des Betriebs des Mieters in den Mieträumen haben wird.

Bei nüchterner Betrachtung bleibt der einzige greifbare Vorteil der gesetzlichen Notfallregelung, dass Mieter ihre Vermieter leichter an den Verhandlungstisch bekommen werden, und dass in solchen Verhandlungen die Ankündigung einer auf Störung der Geschäftsgrundlage gestützten Klage mehr Druckpotential hat als bisher. Ob, wann und inwieweit daraus wirklich die dringend benötigte wirtschaftliche Erleichterung des Gewerbemieters zu erzielen ist, ist weder klar noch offensichtlich.

Risiko für das Zivilrecht: Eine Hypothek für die Zukunft

Dafür ist bei ebenso nüchterner Betrachtung festzustellen, dass der Gesetzgeber einen guten Teil eines bewährten und mit Absicht sehr restriktiv gefassten Prinzips unserer Zivilrechtsordnung im Eilverfahren auf dem Corona-Altar geopfert hat. Ganz gleich, wie am Ende der Pandemie die Bilanz von Corona-berührten § 313 BGB-Prozessen aussehen wird, steht jedenfalls zu erwarten, dass Art. 240 § 7 EGBGB in zukünftigen „Notlagen“ welcher Art auch immer zum willkommenen und gesuchten Beispiel für die großzügige Erweiterung und Öffnung einer veritablen gesetzlichen Ausnahmeregelung werden wird. Das mag für die wirtschaftlich schwächere Partei – im Regelfall also für den Mieter – ein positiver Ausblick sein, und nähert vermutlich im Ergebnis die Position von Gewerbemietern ein weiteres Stück der umfassend geschützten Rechtsstellung von Verbrauchern an. Ob es, wie dies im Zusammenhang mit der Neuregelung verbreitet zu hören war, mehr Rechtssicherheit geben wird, darf bezweifelt werden.

Autor

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