03.02.2021 -

Geht es um die Einbringung von Arztstellen („Zulassungen“) in ein MVZ, eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder eine Praxis zum Zwecke der Anstellung von ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, spielt bekanntlich der sog. „Zulassungsverzicht“ eine große Rolle. In § 103 SGB V ist – sinngemäß – geregelt, dass ein Vertragsarzt auf seine Zulassung verzichten kann, um sich in einem MVZ, einer BAG oder bei einem Arzt anstellen zu lassen. Der Arbeitgeber erlangt so eine Arztstelle für einen angestellten Arzt, die er grundsätzlich auch nach Beendigung des ursprünglich durch Verzichts begründeten Arbeitsverhältnisses nachbesetzten kann.

Diese, zunächst nur für MVZ geltende, Regelung war seit ihrer Einführung zunächst sehr flexibel und ein beliebtes Instrument zur Übertragung von Vertragsarztsitzen auf MVZ, gerade im Zusammenhang mit altersbedingten Praxisverkäufen. Mit einem Urteil vom Juni 2016 hat allerdings das Bundessozialgericht (BSG) die Forderung erhoben, dass das so zu begründende Anstellungsverhältnis grundsätzlich auf eine Dauer von wenigstens drei Jahren ausgerichtet sein müsse. Komme es vor Ablauf von drei Jahren zu einer Beendigung der Tätigkeit des Arztes, der unter Umwandlung seiner Zulassung in eine Anstellung bei einem MVZ „tätig werden wollte“, hänge das Nachbesetzungsrecht des MVZ davon ab, ob nach den Umständen davon ausgegangen werden könne, dass der – ursprünglich zugelassene – Arzt zunächst tatsächlich zumindest drei Jahre im MVZ als Angestellter habe tätig werden wollen. Diese Absicht habe er dann aber aufgrund von Umständen, die ihm zum Zeitpunkt des Verzichts auf die Zulassung noch nicht bekannt gewesen waren, nicht mehr realisieren können. Eine sukzessive Reduzierung des Tätigkeitsumfanges sei, so das BSG, aber möglich.

Seit diesem Urteil herrscht in der Praxis vielfach Unsicherheit, wie mit Situationen umzugehen ist, in denen ein Anstellungsverhältnis vorzeitig endet. Für das betroffene MVZ oder die „Arbeitgeberpraxis“ droht dann nämlich möglicherweise der teilweise oder vollständige Fortfall der (oft teuer „gekauften“) Angestelltenstelle.

Für eine – sicher nicht ganz alltägliche, aber wichtige – Konstellation hat das Sozialgericht Berlin (SG) jetzt eine erfreuliche Entscheidung hin zu mehr Flexibilität getroffen: Beendet ein/e angestellte/r Ärztin/Arzt die Angestelltentätigkeit vor Ablauf von drei Jahren, erlischt das Recht zur Nachbesetzung des hälftigen Angestelltensitzes für den Arbeitgeber dann nicht, wenn die vorzeitige Beendigung der Tätigkeit auf der Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beruht.


Sozialgericht Berlin (Copyright: nenetus/adobe.stock).

Der Fall

Gestritten wurde über die Nachbesetzung eines hälftigen (hausärztlichen) Angestelltensitzes in einem MVZ. Eine Ärztin mit hälftigen Versorgungsauftrag hatte zugunsten ihrer Anstellung im MVZ der Klägerin auf ihre Zulassung verzichtet (nachdem die Beteiligten bereits zuvor kooperiert hatten und die Ärztin auch bereits über mehrere Jahre schon einmal in der später zum MVZ gewordenen Praxis angestellt war, was hier aber nicht weiter vertieft werden soll) und so die Zulassung in das MVZ eingebracht.

Bereits neun Monate später kündigte die Ärztin ihr Anstellungsverhältnis wieder, da sie ein anderes Arbeitsangebot in einem anderen MVZ über eine Vollzeitanstellung entsprechend ihrer eigentlichen fachlichen Spezialisierung (Endokrinologie) erhalten hatte.

Das MVZ beantragte daraufhin beim Zulassungsausschuss die Genehmigung der Erweiterung des Beschäftigungsumfangs einer anderen Ärztin als Nachfolge des frei gewordenen halben hausärztlichen Angestelltensitzes. Sowohl der Zulassungsausschuss, wie auch der nachfolgend angerufene Berufungsausschuss, lehnten den Antrag ab und stellten darüber hinaus fest, dass aufgrund des Endens der Anstellung innerhalb des ersten Tätigkeitsjahres nach der Rechtsprechung des BSG eine Nachbesetzung der Arztstelle für das MVZ nicht möglich sei.

Das nachfolgend angerufene Sozialgericht gab dem MVZ (prozessual: im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage) Recht.

Die Begründung des Gerichts

Das SG betonte zwar zunächst auch die Grundsätze der BSG, wonach es für eine vorfristige Nachbesetzung einer Arztstelle, die aufgrund Verzichts gegen Anstellung in ein MVZ eingebracht worden sei, darauf ankomme, ob der verzichtende Arzt ursprünglich die Absicht besessen habe, sich für die Dauer von mindestens drei Jahren anstellen zu lassen. In diesem Falle sei außerdem zu prüfen, ob ein Abrücken von dieser Absicht auf anerkennenswerte Umstände zurückzuführen sei, die bei Abgabe der Verzichtserklärung noch nicht bekannt gewesen seien.

Hier sei folgender Sachverhalt festzustellen gewesen: Im Moment des Verzichts auf ihre hälftige Zulassung zum Zwecke der Anstellung beim MVZ habe die Ärztin durchaus die Absicht gehabt, die Anstellung für mehr als drei Jahre auszuüben. Zunächst – das betrifft wieder die Besonderheit des Falles – sei zu beachten, dass die Ärztin vor ihrer eigenen Zulassung bereits mehr als fünf Jahre in der Praxis angestellt beschäftigt gewesen sei, die an das MVZ übertragen worden sei.

Darüber hinaus und losgelöst von der – hier nicht weiter dargestellten – Vorgeschichte bestanden nach Auffassung des SG nachvollziehbare und wichtige Gründe der Berufsplanung, die die Ärztin nach neun Monaten zu Beendigung des Anstellungsverhältnisses gebracht hatten. Wörtlich führt das SG aus:

„Die Kammer ist weiter der Überzeugung, dass nachvollziehbare und wichtige Gründe der Berufsplanung nach neun Monaten zur Beendigung dieser Anstellung führten, entgegen der zuvor bestehenden Absicht. Das Angebot der neuen Anstellung auf einem vollen Angestelltensitz am (anderen MVZ) erfolgte zur Überzeugung der Kammer unerwartet. (Die Ärztin) ist im Bereich der Endokrinologie spezialisiert und konnte sowohl ihre Tätigkeit auf eine volle Stelle ausweiten als auch nunmehr Vollzeit in ihrem Spezialgebiet tätig sein. Die Kammer ist dabei der Überzeugung, dass es nicht absehbar war, dass sich die Bewerberlage in diesem speziellen Bereich in Berlin so kurzfristig ändern würde. Entsprechend war (die Ärztin) bereits seit mehr als 5 Jahren im hausärztlichen Bereich tätig und nur in Nebentätigkeit in einer endokrinologischen Praxis.“

Einschätzung und Ausblick

Die Entscheidung des Sozialgerichts betrifft sicherlich eine nicht allzu häufige Konstellation. Die Mehrzahl der Praxis-/Zulassungsübertragungen durch Anstellungsverzicht erfolgt ja eher in zeitlicher Nähe zum Ende der beruflichen Tätigkeit eines Arztes/einer Ärztin.

Gleichwohl ist die Entscheidung zu begrüßen, da sie klarstellt, dass gänzlich veränderte berufliche Planungen, also insbesondere auch der berufliche Aufstieg von zunächst in Teilzeit tätigen Ärztinnen und Ärzten, auch verbunden mit einer fachlichen Spezialisierung, nicht gegen die „3-Jahres-Rechtsprechung“ des BSG verstößt, sondern möglich sein muss, ohne dass der bisherige Arbeitgeber die Möglichkeit der Nachbesetzung der aufgrund dieser Gründe freiwerdenden Stelle verliert.

Anzumerken ist, dass die „3-Jahres-Rechtsprechung“ des BSG in nächster Zeit ohnehin unter Druck geraten könnte. Dem Bundesministerium für Gesundheit wurde im November 2020 ein in seinem Auftrag erstelltes Gutachten unter der Überschrift „Stand und Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)“ vorgelegt. In diesem Gutachten wird die Forderung des BSG nach einer dreijährigen Mindestdauer der Tätigkeit des einbringenden Vertragsarztes als Bedingung für die Nachbesetzung einer Arztstelle kritisch beleuchtet. Sie führe zu schwierigen Umsetzungsfragen in der Praxis und zu einer „widerwilligen“ Mentalität der Angestellten. Darüber hinaus sei fraglich, ob nicht die Grenze der richterlichen Rechtsfortbildung hierdurch überschritten sei. Das Gutachten empfiehlt in jedem Fall eine ausdrückliche Regelung durch den Gesetzgeber und im Übrigen vorzugsweise eine kürzere Mindestdauer, konkret vorgeschlagen wird ein Jahr. Es bleibt also spannend, wie sich die Fragen zur Mindestdauer von Anstellungsverhältnissen in MVZ/BAG/Praxen weiterentwickeln.

Lorbeerkranz

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    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

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    (FOCUS SPEZIAL 2022, 2021, 2020 - 2013)

  • Top-Anwalt (Wolf Constantin Bartha) für Medizinrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • „Eine der besten Wirtschaftskanzleien für Gesundheit und Pharmazie„
    (brand eins Ausgabe 23/2022, 20/2021, 16/2020)

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