12.02.2021

Seitdem die Gesellschafterliste das entscheidende Kriterium für die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten in der GmbH ist, entbrennt bei der Ausschließung eines Gesellschafters durch Einziehung seiner Geschäftsanteile ein Wettkampf um die Hoheit der Gesellschafterliste. Wer drauf steht, kann Gesellsachafterrechte wahrnehmen, auch wenn er ausgeschlossen ist, wer nicht draufsteht, eben nicht, auch wenn die vorherige Einziehung nichtig war.

Was aber, wenn nach einer Einziehung der ausgeschlossene Gesellschafter nicht mehr auf der Liste steht, mit seiner Anfechtungsklage Erfolg hat, also Gesellschafter geblieben war, aber die Gesellschaft vorher vorsorglich erneut einen Einziehungsbeschluss fassen möchte?

  • Kann man einen Geschäftsanteil einziehen, den es nach der Gesellschafterliste gar nicht mehr gibt?
  • Muss man einen ausgeschlossenen und gelöschten Gesellschafter dennoch zur Gesellschafterversammlung laden, obwohl er nach dem Gesetz gar keine Gesellschafterrechte mehr wahrnehmen darf?
  • Ist ein aus der Gesellschafterliste gelöschter Gesellschafter, der gegenüber der Gesellschaft formell keine Gesellschafterrechte mehr herleiten kann, dennoch materiell-rechtlich Gesellschafter – und was darf er dann noch?
  • Verhält sich die Gesellschaft nicht widersprüchlich, den gelöschten und nach ihrer Auffassung bereits ausgeschlossenen Gesellschafter erneut zur Gesellschafterversammlung zu laden?
  • Wenn man ihn denn laden muss, welche Rechte kann er in der Gesellschafterversammlung wahrnehmen?
  • Muss der Geschäftsführer den vermeintlich bereits mit dem ersten (angefochtenen) Beschluss ausgeschlossenen Gesellschafter vorsorglich wieder in eine Gesellschafterliste aufnehmen, um ihn vorsorglich erneut auszuschließen?

Diese und mehr außerordentlich praxisrelevanten Fragen beantwortet jetzt der BGH in seinem Urteil vom 10. November 2020 – II ZR 211/19.


Wer gewinnt – und wie man gewinnt (Copyright: pressmaster/adobe.stock).

Der Fall (vereinfacht) 

A und B waren Gesellschafter einer GmbH. A beschloss im Jahr 01 die Einziehung des Geschäftsanteils des B aus wichtigem Grund und legte den Handelsregister eine so auch eingetragene Gesellschafterliste vor, die B nicht mehr auswies, und wiederholte den Einziehungsbeschluss ebenfalls im Jahr 01. B klagte erfolgreich auf Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse über die Einziehung seines Geschäftsanteils. Das Urteil erging im Jahr 03. Kurz zuvor im Jahr 02 beschloss A erneut die Einziehung des Geschäftsanteils des B, weil dieser gepfändet worden war. Der Einziehungsbeschluss wurde dem zur Gesellschafterversammlung geladenen B am Tag der Versammlung bekannt gegeben. Dagegen klagte B und bekam vor dem LG und dem OLG Recht, verlor aber vor dem BGH.

Hinweis: Tatsächlich erfolgte eine Zurückverweisung an das OLG, aber mit derart eindeutigen Hinweisen für das Verfahren, die nur zu einer Niederlage des B führen können.

Die Entscheidung – in 12 Thesen

Die Erwägungen in den Urteilsgründen des Urteils sind zu vielschichtig, um sie vollständig wiederzugeben. Wir versuchen, nachfolgend die tragenden Urteilsgründe in zusammenfassenden 12 Thesen in übersichtlicher Darstellung aufzubereiten.

  1. Eine GmbH ist auch nach Veröffentlichung einer Gesellschafterliste, die einen möglicherweise fehlgeschlagenen Einziehungsversuchs abbildet, nicht gehindert, einen zwar aus der Gesellschafterliste entfernten, aber materiell bestehenden Geschäftsanteil aus wichtigem Grunde einzuziehen.
  2. Der Einziehungsbeschluss aus 02 ging nicht deshalb ins Leere, weil der Geschäftsanteil des B bereits im Jahr 01 eingezogen worden war. Aufgrund der Entscheidung des Gerichts aus 03 steht rechtskräftig fest, dass diese Einziehungsbeschlüsse nichtig waren.
  3. Der Beschluss aus 02 ist erkennbar für den Fall gefasst, dass die Unwirksamkeit der früheren Einziehungsbeschlüsse aus 01 festgestellt würde und B damit noch Inhaber des Geschäftsanteils ist.
  4. In der neuerlichen Beschlussfassung liegt kein widersprüchliches Verhalten der GmbH; vielmehr hat sie ein anerkennenswertes Interesse, Zweifel an der Wirksamkeit eines Einziehungsbeschlusses durch die Neuvornahme des Beschlusses auszuräumen oder für den Fall des Fehlschlagens eines Einziehungsversuchs wegen neu aufgetretener oder bekannt gewordener Einziehungsgründe den Geschäftsanteil vorsorglich noch einmal einzuziehen.
  5. Es war nicht erforderlich, vor der Einziehung 02 eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen, in der der – wie nachträglich festgestellt wurde – materiell berechtigte Gesellschafter B wieder als Inhaber des einzuziehenden Geschäftsanteils eingetragen war.
  6. Durch die Löschung des Geschäftsanteils des B aus der Gesellschafterliste wurde dessen formale Gesellschafterstellung unabhängig von der Wirksamkeit der ersten Einziehungsversuche beendet, so dass er der GmbH gegenüber keine Mitgliedschaftsrechte mehr geltend machen konnte. Wird der Inhaber eines Geschäftsanteils nach dessen Einziehung in der Gesellschafterliste gestrichen, kann der Gesellschafter ab dem Zeitpunkt der Aufnahme einer ihn nicht mehr aufführenden Gesellschafterliste zum Handelsregister seine mitgliedschaftlichen Rechte nicht länger ausüben.
  7. Die formale Gesellschafterstellung des von der Einziehung betroffenen Gesellschafters ist nach Streichung des Geschäftsanteils aus der Liste beendet. Dies wirkt sich jedoch nicht auf die materielle Berechtigung des Gesellschafters aus, auf die sich die Einziehung bezieht.
  8. Materielle und formale Gesellschafterstellung können entkoppelt sein. Der materiell Berechtigte, aber nicht mehr in der Gesellschafterliste Aufgeführte, ist zwar in der Ausübung seiner Rechte gegenüber der Gesellschaft gehindert, verliert aber nicht seine materiell-rechtliche Gesellschafterstellung. Die materiell-rechtliche Gesellschafterstellung ist unabhängig von der Eintragung in der Gesellschafterliste.
  9. Auch wenn der Gesellschafter keine Mitgliedschaftsrechte gegenüber der Gesellschaft mehr geltend machen kann, ist er als materiell Berechtigter Inhaber des Geschäftsanteils, so dass er ihn beispielsweise wirksam abtreten und verpfänden kann und auch seine Gläubiger den Geschäftsanteil pfänden können.
  10. Die Gesellschaft muss einen materiell möglichen, vorsorglichen erneuten Einziehungsbeschluss fassen können. Jedenfalls in diesem Fall ist daher die vorherige Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste entbehrlich. Eine lediglich vorsorgliche Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste ist, anders als die vorsorgliche Annahme der materiellen Gesellschafterstellung als Voraussetzung des erneuten Einziehungsbeschlusses, nicht möglich.
  11. Dennoch: Die Rechte des von der (erneuten) Einziehung betroffenen Gesellschafters müssen durch Ladung zur Gesellschafterversammlung wie ein gewöhnlicher Gesellschafter gewahrt werden, wenn die Gesellschaft ihn hinsichtlich der Einziehung wieder als Gesellschafter behandeln will. Weitere Gesellschafterrechte in der Gesellschafterversammlung stehen ihm jedoch nicht zu, da er aus der Gesellschafterliste gelöscht ist.
  12. Dass die formale und die materielle Gesellschafterstellung bis zur Fassung eines wirksamen Einziehungsbeschlusses möglicherweise auseinanderfallen und damit eine korrekte Nachvollziehung der Entwicklung nicht möglich ist, ist hinnehmbar. Es bestände ein ungewollter Schwebezustand, wenn man verlangte, vor der Einziehung eine „korrigierte“ Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen, in der der auszuschließende Gesellschafter wieder als Inhaber des einzuziehenden Geschäftsanteils eingetragen ist. Wenn der erste Einziehungsbeschluss wirksam war, würde eine Aufnahme in die Gesellschafterliste vor erneuter Einziehung unzutreffend einen nicht existenten Geschäftsanteil ausweisen.

Fazit

Der BGH bringt viel Erhellendes in die bislang ungeklärten Fragen rund um die Einziehung, den darauf üblicherweise folgenden Streit um die Gesellschafterliste und die formellen und materiellen Auswirkungen von Einziehungsbeschluss und Löschung in der Gesellschafterliste.
Es gibt wie immer zwei Seiten der Medaille:

  • Die Gesellschaft wird ein besonderes Interesse daran haben, die Einziehung so schnell wie möglich in der Gesellschafterliste im Handelsregister nachzuvollziehen, um formal Rechtssicherheit und -klarheit zu schaffen, indem innerhalb der Gesellschaft eindeutige Verhältnisse geschaffen werden, wer im Verhältnis zur Gesellschaft berechtigt und verpflichtet ist. Im Zweifel wird die Einziehung notfalls (mehrfach?) wiederholt.
  • Der betroffenen Gesellschafter muss demgegenüber ein Interesse daran haben, den Einziehungsbeschluss und die danach drohende – ihn formal entrechtende – Änderung der Gesellschafterliste im Handelsregister mit allen Mitteln anzugreifen, sei es auch mit einstweiligen Verfügungen, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sowie sonstigen informellen Widersprüchen gegenüber dem Handelsregister.

Auf beiden Seiten können schon kleine formale Fehler oder zu späte oder letztlich der Situation nicht angepasste Rechtsmittel über Sieg oder Niederlage entscheiden. Man sehe sich das Ergebnis des hier behandelten BGH-Falles an. Der klagende Gesellschafter gewinnt beide Anfechtungsprozesse gegen seinen Ausschluss durch Einziehung – und ist doch draußen. Den dritten und letztlich entscheidenden Prozess wird er voraussichtlich verlieren.

Autor

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Andreas Jahn
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