03.03.2021 -

Viele Arbeitgeber vereinbaren bei jährlichen Sonderzahlungen sog. Stichtagsklauseln. Eine Zahlung soll nur dann erfolgen, wenn der Mitarbeiter zu einem bestimmten Stichtag ungekündigt noch im Arbeitsverhältnis steht. Dies soll die Bindung an das Unternehmen stärken. Die Zulässigkeit von Stichtagsklauseln ist immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung. So hatte nun das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in einem aktuellen Fall die Frage zu entscheiden, ob die Betriebspartner berechtigt sind, solche Stichtagsklauseln im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zu vereinbaren (LAG Berlin-Brandenburg v. 29.1.2020, 4 Sa 1456/19). Die Entscheidung gibt aufschlussreiche Hinweise, auch zur Vertragsgestaltung. Wir möchten daher das Urteil hier besprechen.


Die von den Betriebspartnern vorgesehene Stichtagsklausel war wirksam (Copyright: Butch/adobe.stock).

Der Fall

Das seit dem 1. Februar 2012 zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endete aufgrund Eigenkündigung des Mitarbeiters zum 30. November 2018.

Bei dem beklagten Arbeitgeber besteht eine Betriebsvereinbarung „Einkommen“. In dieser heißt es u.a.:

„§ 5 Jahresprämie

Die Jahresprämie dient dazu, den flexiblen Anteil des Einkommens zu erhöhen und die Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen.

Mit dem Plan definiert das Management folgende Eckzahlen für die Jahresprämie des nächsten Geschäftsjahres:

a) geplantes operatives Ergebnis

b) die geplante Jahresprämie, die mindestens 10 % des geplanten operativen Ergebnisses beträgt.

Diese Kennzahlen werden den Mitarbeitern nach Freigabe des Plans mitgeteilt.

Die auszuzahlende Jahresprämie wird wie folgt ermittelt:

Das operative Ist-Ergebnis des Geschäftsjahres wird durch das geplante operative Ergebnis geteilt. Dieser Faktor wird mit der geplanten Jahresprämie multipliziert. Eine Ausschüttung wird nur dann vorgenommen, wenn ein Betrag in Höhe von 500 € für jeden anspruchsberechtigten vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter (bei Teilzeit entsprechend anteilig) zur Verfügung steht.

Die Auszahlung der Prämie erfolgt spätestens im Juni des Folgejahres. Mitarbeiter, die bis einschließlich zum 01.01. des folgenden Geschäftsjahres aus dem Unternehmen ausscheiden, erhalten keine Prämie.

Der Arbeitgeber zahlte dem Mitarbeiter für das Jahr 2018 keine Prämie und berief sich auf § 5 letzter Absatz.

Das Arbeitsgericht hat die Auskunfts- und Zahlungsklage abgewiesen. Durch das Ausscheiden schon zum 30. November 2018 sei der Mitarbeiter jedenfalls nicht bis zum Jahresende im Sinne der Stichtagsregelung im Betrieb anwesend gewesen. Daher scheide ein Zahlungsanspruch aus.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Zweck einer Sonderzahlung

Zunächst hat sich das Landesarbeitsgericht mit dem Zweck einer Sonderzahlung befasst. Dieser Zweck hat unmittelbare Auswirkungen auf die Wirksamkeit einer Stichtagsregelung. So kann mit einer Sonderzahlung u.a. die vom Arbeitnehmer im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich honoriert werden. In einem solchen Fall handelt es sich dann um einen im Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) stehendes Arbeitsentgelt, dass nur zu einem anderen Zeitpunkt als das monatliche Entgelt insgesamt fällig wird. Sonderzahlungen können aber auch anderen Zwecken als der Vergütung erbrachter Arbeitsleistungen dienen. Sie können als „Treueprämie“ langfristige oder als „Halteprämie“ kurzfristige oder künftige Betriebstreue belohnen. Soll eine Sonderzahlung die gezeigte oder erwartete Betriebstreue belohnen, knüpft sie aber zugleich an die Arbeitsleistung im Bezugszeitraum an und stellt Entgelt dar. In einem solchen Fall handelt es sich dann um eine Sonderzahlung mit sog. Mischcharakter.

Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht eine solche Sonderzahlung mit Mischcharakter angenommen. So soll durch die Jahresprämie auch die im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich honoriert werden. Dies ergibt sich aus der Betriebsvereinbarung.

Hinweis für die Praxis:

Bei einer Sonderzahlung, die allein im Gegenseitigkeitsverhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung steht, können Stichtagsregelungen nicht wirksam vereinbart werden. Insoweit empfiehlt es sich, genau zu regeln, zu welchem Zwecke eine Sonderzahlung gewährt werden soll. Dies schließt spätere Auslegungsprobleme aus.

II. Wirksamkeit einer Stichtagsklausel

Die Betriebspartner sind nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts befugt, die Zahlung der Sonderzahlung von einem Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum abhängig zu machen.

Aber: Damit musste geklärt werden, ob diese Voraussetzung, nämlich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum, hier erfüllt war. Die Betriebsvereinbarung sieht in § 5 letzter Absatz vor, dass

„Mitarbeiter, die bis einschließlich zum 01.01. des folgenden Geschäftsjahres aus dem Unternehmen ausscheiden, keine Prämie erhalten.“

Damit könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses noch am 01.01. des Folgejahres notwendig ist, um in den Genuss der Sonderzahlung kommen zu können. Dann würde aber die Stichtagsklausel einen Zeitraum außerhalb des Bezugszeitraumes (01.01. bis 31.12. des Kalenderjahres) erfassen. Solche Stichtagsklauseln sind regelmäßig unwirksam.

Das Landesarbeitsgericht hat hier durch Auslegung ermittelt, dass die Formulierung nicht eindeutig auch den 01.01. erfassen soll. Die Formulierung „zum“ kann im Wortsinn vielmehr auch als „bis zum Beginn des“ verstanden werden. So meint die umgangssprachliche Formulierung „zum Ersten eines Monats“ regelmäßig den Ablauf des letzten Tages des Vormonats. Bei einer sachgerechten und zweckorientierten Betrachtung kann daher im vorliegenden Fall nur der Ablauf des 31.12. des Jahres gemeint sein. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass die Betriebsparteien den absoluten Ausnahmefall, dass ein Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 01.01. eines Jahres endet, erfassen wollten.

Fazit

Die von den Betriebspartnern vorgesehene Stichtagsklausel war damit wirksam. Die Formulierung zum 01.01. ist von dem Landesarbeitsgericht zutreffend sachorientiert ausgelegt worden. Die Entscheidung macht aber deutlich, dass unklare Formulierungen zu Rechtsunsicherheiten führen. Nicht nur die Arbeitsvertragsparteien, sondern auch die Betriebsparteien sind im Rahmen von Verhandlungen und der Vereinbarung von Betriebsvereinbarungen daher gehalten, ihren Willen genau zum Ausdruck zu bringen. Bei der Auslegung wird stets derjenigen Auslegung der Vorzug gegeben, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Verständnis der Bestimmung führt. Diesen Vorgaben ist das Landesarbeitsgericht mit seiner Auslegung gerecht geworden.

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