Vertragsärztinnen und Vertragsärzte üben ihre niedergelassene Tätigkeit grundsätzlich nur an einem Ort aus. Das ist der „Vertragsarztsitz“, der in der Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) geregelt ist und an dem die Sprechstunden zu halten sind. An dieser Praxisstätte sind die Leistungen zu erbringen. Leistungen außerhalb der Praxisräume zu erbringen ist im Übrigen nur unter engen Voraussetzungen möglich.
Vertragsärzt:innen müssen sich bei der Frage, wie weit ausgelagerte Praxisräume vom eigentlichen Vertragsarztsitz entfernt sein dürfen auch weiterhin an der Rechtsprechung des BSG orientieren (Copyright: nmann77/adobe.stock).
Ausgelagerte Praxisräume: Anzeigepflicht gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)
Eine Ausnahme für diese enge räumliche Bindung stellt ein sogenannter „ausgelagerter Praxisraum“ nach § 24 Absatz 5 Ärzte-ZV dar: „Erbringt der Vertragsarzt spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz (ausgelagerte Praxisräume), hat er Ort und Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit seiner Kassenärztlichen Vereinigung unverzüglich anzuzeigen“.
Neben der Frage, was „spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen“ sind und ob diese nur in den ausgelagerten Praxisräumen oder auch in der Hauptpraxis erbracht werden können, was in diesem Beitrag nicht beleuchtet werden soll, dürfen ausgelagerte Praxisräume also nicht zu weit entfernt sein.
Räumliche Nähe zum Vertragsarztsitz – wie weit ist das?
Man muss kein Jurist sein um zu ahnen, dass die von der Ärzte-ZV geforderte „räumliche Nähe“ ein dehnbarer Begriff ist und reichlich Raum für Konflikte bietet.
Mit der Frage, wie weit ausgelagerte Praxisräume eines Arztes denn den eigentlichen Praxisräumen entfernt sein können, hat sich das Landessozialgericht Berlin- Brandenburg Ende letzten Jahres befasst (Urteil vom 09.12.2020, Az. L 24 KA 6/18).
Worum ging es?
Geklagt hatte ein Arzt, der in rund 67,6 km Entfernung zu einem seiner beiden (hälftigen) Vertragsarztsitze einen ausgelagerten Praxisraum gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) angezeigt hatte. Die KV hatte mit Bescheid festgestellt, dass die Voraussetzungen eines ausgelagerten Praxisraumes nicht erfüllt seien, unter anderem, weil hier keine „räumliche Nähe“ gegeben sei. Die Entfernung sei zu groß und die zwischen Vertragsarztsitz und ausgelagerte Praxisraum erforderliche Fahrzeit von 42 Minuten sei ebenfalls zu lang.
Dagegen hatte der Arzt Widerspruch eingelegt und unter anderem vorgetragen, die Entfernung stelle kein Problem dar, da er nur vorhabe, zwei Stunden pro Woche in dem ausgelagerten Praxisraum tätig zu sein. Die KV überzeugte das nicht und wies den Widerspruch zurück.
Sozialgericht: Im Ausnahmefall auch 45 Minuten Fahrzeit zulässig
Der Arzt klagte daraufhin beim Sozialgericht und war zunächst erfolgreich. Zu Unrecht, so das Gericht habe die KV ein Tätigwerden an einer ausgelagerten Praxisstätte untersagt. In Bezug auf die Entfernung sei die „räumliche Nähe zum Vertragsarztsitz“ ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nicht mit einer Beschränkung auf den Planungsbereich oder den KV-Bezirk verbunden sei. Von räumlicher Nähe könne ausgegangen werden, wenn der Vertragsarzt seine Praxis regelmäßig innerhalb von 30 Minuten erreichen könne (Hinweis auf BSG v. 5. November 2003 – Az. B 6 KA 2/03 R). Da der Kläger aber lediglich zwei Stunden in der Woche in den ausgelagerten Praxisräumen tätig werden wolle, sei auch eine Fahrzeit von 45 Minuten hinnehmbar.
Die KV rief daraufhin das Landessozialgericht (LSG) an. Das Urteil des Sozialgerichts sei unrichtig und aufzuheben, gerade auch wegen der Erwägungen zu den Entfernungen.
LSG: „Räumliche Nähe“ auch im ländlichen Raum nicht mehr als 30km
Das sah auch das LSG so und hob das Urteil des Sozialgerichts auf. Zur Entfernung führte es aus:
Der Begriff der räumlichen Nähe sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in der Ärzte-ZV nicht weiter konkretisiert werde. Das BSG habe in seiner neuesten Rechtsprechung aber bereits Zweifel an dem Einhalten des Tatbestandsmerkmals der räumlichen Nähe geäußert, wenn die Räumlichkeiten mehr als 9 km bzw. 11 km auseinanderlägen (BSG v. 8.8.2018 – Aktenzeichen B 6 KA 24/17). Die Entfernung betrage hier aber 67,6 Km und liege damit weit über der vom BSG für zulässig gehaltenen Distanz. Auch in der Kommentarliteratur werde eine Begrenzung des Begriffs der räumlichen Nähe auf wenige Kilometer bzw. eine restriktive Auslegung des Begriffs gefordert. Jedenfalls Entfernungen von mehr als 30 Km seien auch in ländlichen Regionen nicht hinnehmbar. Die von der KV für maßgebend gehaltene Vorgabe, dass die ausgelagerten Räumlichkeiten innerhalb von 30 Minuten mit dem Auto erreichbar sein müssten, erscheine gegenüber der aktuellen Rechtsprechung des BSG eher als eine sehr großzügig gehaltene äußerste Grenze. Dies sei hier aber ohnehin nicht anzunehmen, da eher eine regelmäßige Fahrzeit von 45 Minuten erforderlich sei. Für die Rechtsauffassung des Sozialgerichts, dass die räumliche Nähe dann kein erhebliches Kriterium für die Zulässigkeit ausgelagerter Praxisräume sein könne, wenn der Arzt an den ausgelagerten Räumlichkeiten ohnehin nur eine Tätigkeit im Umfang von bis zu zwei Stunden in der Woche beabsichtige, fände sich im Text der Ärzte-ZV kein Anhaltspunkt. Eine bestehende räumliche Distanz ändere sich nicht dadurch, dass der Arzt sich ihre Bewältigung nur für einen Tag in der Woche vornimmt.
Fazit
Vertragsärztinnen und Vertragsärzte müssen sich bei der Frage, wie weit ausgelagerte Praxisräume vom eigentlichen Vertragsarztsitz entfernt sein dürfen auch weiterhin an der Rechtsprechung des BSG orientieren. Auch wenn ausgelagerte Praxisräume grundsätzlich keiner Genehmigung bedürfen, sondern nur anzeigepflichtig sind, wird es schwer sein, die Tätigkeit an einem ausgelagerten Praxisraum durchzusetzen, wenn dieser allzu weit vom Vertragsarztsitz entfernt ist. Jedenfalls 30 Minuten Fahrzeit mit dem Auto dürften aber im Regelfall hinnehmbar sein. Welche Hürden im Einzelfall zu beachten sind und welche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, erörtern wir gerne mit Ihnen.
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