Die Verletzung von Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis berechtigt zur Abmahnung und ggf. auch zur Kündigung. Denkbar ist aber auch die Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Hier bedarf es dann im Einzelfall einer genauen Klärung, ob die Verletzung sanktioniert werden kann. Eine solche Nebenpflicht kann sich aus der Verpflichtung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, ergeben. Das LAG Nürnberg hat in einem nun veröffentlichten Urteil klargestellt, dass eine solche Nebenpflichtsverletzung, auch während bestehender Arbeitsunfähigkeit, eine Abmahnung rechtfertigt (LAG Nürnberg v. 19.5.2020 – 7 Sa 304/19).
Im Falle der Weigerung kann der Mitarbeiter abgemahnt, sogar ggf. (fristlos) gekündigt werden (Copyright: NIKCOA/adobe.stock).
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer ist von dem beklagten Arbeitgeber abgemahnt worden. Die Abmahnung stützt sich auf die Weigerung des Arbeitnehmers, sich beim Untersuchungstermin des ärztlichen Dienstes vorzustellen.
Hintergrund dieser Anordnung war eine schon länger bestehende Erkrankung. So war der Mitarbeiter im Jahre 2018 an insgesamt 75 Tage wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Nach kurzer Genesung Ende 2018 kam es dann zu einer erneuten Erkrankung für einen Zeitraum von über vier Monaten ab dem 28. Dezember 2018.
Der Arbeitgeber wies daraufhin den Mitarbeiter mit Schreiben vom 14. Januar 2019 an, sich am 28. Januar 2019 beim ärztlichen Dienst vorzustellen. Der Termin wurde auf Veranlassung des Klägers verschoben. An dem neuen Termin, der auf den 5. Februar 2019 festgelegt wurde, nahm der Kläger wiederum nicht teil.
Er wurde daraufhin zu der Absicht angehört, deshalb eine Abmahnung auszusprechen. Der Arbeitnehmer ließ über seinen beauftragten Rechtsanwalt mitteilen, dass er sich wegen bestehender Arbeitsunfähigkeit nicht verpflichtet sehe, an der zulässigerweise angeordneten medizinischen Untersuchung mitzuwirken.
Daraufhin wurde er schriftlich abgemahnt. Die Abmahnung wurde auf die Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht aus dem anwendbaren § 3 Abs. 5 TV öffentlicher Dienst der Länder (TV-L) gestützt. Das Fehlverhalten liege in der fehlenden Mitwirkung an der angeordneten ärztlichen Untersuchung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage, die auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte gerichtet war, abgewiesen.
Die Entscheidung
Im Berufungsverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
I. Amtsärztliche Untersuchung
Die Vertragsparteien haben die Anwendung des Tarifvertrages öffentlicher Dienst der Länder vereinbart. Dieser sieht in § 3 Abs. 5 TV-L Folgendes vor:
„Der Arbeitgeber ist bei begründeter Veranlassung berechtigt, Beschäftigte zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sind. Bei dem beauftragten Arzt kann es sich um einen Betriebsarzt, Personalarzt oder Amtsarzt handeln, soweit sich die Betriebsparteien nicht auf einen anderen Arzt geeinigt haben. Die Kosten dieser Untersuchung trägt der Arbeitgeber.“
Dem Arbeitgeber wird durch diese tarifliche Regelung das Recht zugestanden, überprüfen zu lassen, ob der Arbeitnehmer gesundheitlich in der Lage ist, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen. Hat der Arbeitgeber daran Zweifel, soll er feststellen lassen dürfen, ob seine Zweifel begründet sind. Die Verletzung dieser geregelten Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei begründeter Veranlassung auf Verlangen des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, kann sogar eine außerordentliche Kündigung nach sich ziehen.
Die „begründete Veranlassung“ ergab sich hier aus der Zusammenschau der hohen Zahl von 75 krankheitsbedingten Fehltagen in 2018 und der sich ab dem 28. Dezember 2018 anschließenden Arbeitsunfähigkeit von im damaligen Zeitpunkt voraussichtlich mehreren Monaten Dauer.
II. Arbeitsfähigkeit als Voraussetzung?
Das Recht des Arbeitgebers aus § 3 Abs. 5 TV-L, eine amtsärztliche Untersuchung vom Arbeitnehmer zu verlangen, knüpft an keine weiteren Voraussetzungen, insbesondere nicht die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers an. Schon nach dem Wortlaut der tariflichen Vorschrift ist es nicht Voraussetzung der amtsärztlichen Untersuchung, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Untersuchung arbeitsfähig ist. Auch nach Sinn und Zweck der tariflichen Vorschrift ist eine solche Auslegung nicht geboten. Die Untersuchung dient dem Zweck, festzustellen, ob der Arbeitnehmer zur Leistung der vertraglich geschuldeten Arbeit noch in der Lage ist. Gerade während bestehender langanhaltender Arbeitsunfähigkeit kann diese Untersuchung aus verschiedenen Gründen geboten sein. Daher kann mit der Untersuchung auch nicht generell gewartet werden, bis der Arbeitnehmer zu einem unabsehbaren Zeitpunkt die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt.
III. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Mit der amtsärztlichen Untersuchung wird der Arbeitgeber in den Stand versetzt, seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und ggf. schon vor der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers die aus der Fürsorgepflicht heraus gebotenen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers bei Wiederaufnahme der Tätigkeit zu ergreifen. Dazu ist der Arbeitgeber aufgrund der eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aber nicht in der Lage, da diese weder Aussagen zu den Gründen der Arbeitsunfähigkeit enthalten noch Aussagen dazu, ob und welche Leistungseinschränkungen beim Arbeitnehmer vorrübergehend oder dauerhaft bestehen.
IV. Ermessensausübung
Die Ausübung des Rechts, von einem Arbeitnehmer die Teilnahme an einer amtsärztlichen Untersuchung zu verlangen, muss trotz der Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 TV-L im Einzelfall im Rahmen des billigen Ermessens erfolgen, § 106 GewO, § 315 Abs. 3 BGB. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen. Die Arbeitsgerichte können diese Ermessensausübung überprüfen.
Im konkreten Fall hat die Anordnung zur betriebsärztlichen Untersuchung die Grenzen des billigen Ermessens gewahrt. Besondere Umstände, die die Anordnung des Arbeitgebers ausnahmsweise unbillig und rechtswidrig erscheinen lassen, waren hier nicht ersichtlich. Der Arbeitnehmer war nur grundsätzlich der Auffassung, während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht verpflichtet zu sein, an einer amtsärztlichen Untersuchung teilzunehmen. Besondere Umstände, wie beispielsweise die fehlende Transportfähigkeit, eine ansteckende Erkrankung, eine Verzögerung des Genesungsprozesses durch die Untersuchung etc. hat er nicht geltend gemacht. Das LAG hat ausdrücklich klargestellt, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, wonach der Besuch eines Amtsarztes ohne besondere Umstände Nerven und Gemüt eines Patienten so belastet, dass allein mit dem Arztbesuch auch eine Beeinträchtigung des Heilungsverlaufes verbunden wäre.
V. Kein Personalgespräch
Schließlich hat das LAG klargestellt, dass es sich bei der Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung aufgrund besonderer tarifvertraglicher Grundlage nicht um die Anordnung eines Personalgesprächs auf der Grundlage des allgemeinen Weisungsrechts handelt. Die Rechtsprechung des BAG zur unerlaubten Anordnung von Personalgesprächen während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit ist daher auf diesen Fall nicht übertragbar.
Fazit
Die bestehende Arbeitsunfähigkeit entbindet Arbeitnehmer nicht davon, sich bei entsprechender tarifvertraglicher Grundlage amtsärztlich auf Verlangen des Arbeitgebers untersuchen zu lassen. Im Falle der Weigerung kann der Mitarbeiter abgemahnt, sogar ggf. (fristlos) gekündigt werden. Will der Arbeitnehmer sich darauf berufen, zur Teilnahme wegen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht verpflichtet zu sein, muss er besondere Umstände vortragen, die der Untersuchung entgegenstehen. Der pauschale Hinweis auf eine Arbeitsunfähigkeit reicht nicht aus.
Auszeichnungen
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