Zwei interessante, instruktive Fallgestaltungen zur Erbausschlagung wegen eines vermeintlich überschuldeten Nachlasses hatte das OLG Düsseldorf zu entscheiden.


Erbausschlagung wegen vermuteter Überschuldung des Nachlasses – was tun, wenn sich nachträglich Vermögen auffindet? (Copyright: Gina Sanders/adobe.stock). 

Fall 1

Der kinderlose Erblasser E wurde von der Polizei tot in seiner verwahrlosten Wohnung aufgefunden. Die Polizei ermittelte A als Cousin als nächsten Angehörigen und informierte ihn, dass die Wohnung des E völlig vermüllt und verdreckt gewesen sei und eine Vielzahl offener Rechnungen bzw. Mahnungen gefunden worden seien, Wertgegenstände habe es nicht gegeben. A erklärte gegenüber der Polizei, die Bestattung und die Nachlassregelung nicht zu übernehmen. Die Informationen des Nachlassgerichts über offene Nachlassverbindlichkeiten und über die Bezahlung der Bestattung durch die öffentliche Hand hätten ihn in seiner Vorstellung einer Überschuldung bestätigt. Daraufhin erklärte A zu Protokoll des Nachlassgerichts die Erbausschlagung aus jedem Berufungsgrund und vorsorglich die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist.

Ein Nachlassverwalter fand dann erhebliche Vermögenswerte. A erklärte daraufhin die Anfechtung seiner Ausschlagung wegen Irrtums über die Überschuldung des Nachlasses. Zu Recht?

Fall 2

Erblasser E hinterließ drei Kinder. Alle drei Kinder K1 – K3 erklären die Ausschlagung der Erbschaft [Fall abgewandelt und vereinfacht].

  • K1 gab als Begründung an: „Es wird vermutet, dass der Nachlass überschuldet ist.“
  • K2 schlug die Erbschaft ohne Angabe von Gründen aus.
  • K3 gab als Begründung an: „Der Nachlass ist der Erschienenen nicht bekannt. Ich schlage die Erbschaft aus persönlichen Gründen aus.“

Ein Nachlassverwalter fand dann erhebliche Vermögenswerte. Alle Kinder erklärten daraufhin die Anfechtung ihrer Ausschlagung wegen Irrtums über die Überschuldung des Nachlasses. Zu Recht?

Lösung

Stützt sich die Anfechtung auf einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache § 1954 Abs. 1 iVm § 119 Abs. 2 BGB, ist die Überschuldung der Erbschaft eine verkehrswesentliche Eigenschaft, die zur Anfechtung berechtigen kann. Das gilt aber nur, wenn der Irrtum über die Überschuldung auf falschen Vorstellungen der Zusammensetzung des Nachlasses, also des Bestands an Aktiva und Passiva, beruht.

Aber: Nach der Rechtsprechung u.a. des OLG Düsseldorf ist nicht zur Anfechtung berechtigt, wer ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses einer Fehlvorstellung über dessen Größe unterlag. Damit kann sich derjenige nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen, der nicht aufgrund einer Bewertung ihm bekannter oder zugänglicher Fakten zu dem Ergebnis gelangt war, die Erbschaft annehmen oder ausschlagen zu wollen, sondern seine Entscheidung auf spekulativer, bewusst ungesicherter Grundlage getroffen hatte (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2020 – I-3 Wx 166/20 mit weiteren Nachweisen).

Wer bewusst bestimmte Umstände als lediglich möglich betrachtet und dieses Vorstellungsbild handlungsleitend sein lässt, der verhält sich aufgrund Hoffnungen oder Befürchtungen, die das Motiv seines Handelns bilden. Ein bloßer Irrtum im Motiv berechtigt jedoch weder im Allgemeinen noch speziell im Zusammenhang der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft zur Anfechtung. Dies findet allgemein seine Rechtfertigung im Gesichtspunkt der Rechtssicherheit; im erbrechtlichen Zusammenhang ist zudem der Gefahr zu begegnen, durch eine zu großzügige Berücksichtigung reiner Motivirrtümer faktisch eine im Gesetz nicht vorgesehene weitere Form der Haftungsbeschränkung eines Erben zu schaffen, nämlich eine sozusagen einstweilige Ausschlagung bis zur abschließenden Klärung der Vermögensverhältnisse (entwickeln sich die Erkenntnisse negativ, belässt der Erbprätendent es bei der erklärten Ausschlagung, entwickeln sie sich günstig, ficht er seine Ausschlagung an).“, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2020 – I-3 Wx 13/20.

Bei Anlegung dieses Maßstabs kommt das OLG Düsseldorf zu folgenden Ergebnissen:

Fall 1 

A hatte sich bemüht, Einzelheiten zum Nachlass in Erfahrung zu bringen, und dazu Auskünfte bei den mit der Sache befassten öffentlichen Stellen eingeholt hat. Er hat zum einen mit Beamten der Polizei Rücksprache gehalten und von dort Informationen über die in der Wohnung des E vorgefundene Situation erhalten. Zum anderen hat er Kontakt mit dem Nachlassgericht aufgenommen und in Telefonaten mit der zuständigen Rechtspflegerin über die Frage der Annahme der Erbschaft bzw. der Ausschlagung gesprochen. Für A bestand danach kein Anlass für die Annahme, dass die erhaltenen Informationen möglicherweise nicht vollständig gewesen sein könnten und dass es werthaltige Nachlassaktiva geben könnte.

Seine Anfechtung war erfolgreich. Er war Erbe geworden.

Fall 2

K1 hatte lediglich auf einer Vermutung ausgeschlagen ohne nähere Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihr bekannter oder zugänglicher Fakten, sondern auf spekulativer, bewusst ungesicherter Grundlage. K1 hat sich damit von bloßen Vermutungen leiten lassen und diese zum Motiv ihres Handelns gemacht.

K2 hatte für ihre Ausschlagungen keine Gründe angegeben. Auch K2 befand sich allenfalls in einem bloßen und unbeachtlichen Motivirrtum und nicht in einem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft, denn K2 handelte ohne Kenntnis der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung etwa bekannter oder zugänglicher Fakten, sondern auf spekulativer, bewusst ungesicherter Grundlage.
Dasselbe gilt für K3, bei dem ebenfalls nicht dafür spricht, K3 habe sich falsche Vorstellungen von der Zusammensetzung des Nachlasses gemacht hätte. Vielmehr hatte K3 ausdrücklich erklärt, der Nachlass sei ihm nicht bekannt; er schlage die Erbschaft aus persönlichen Gründen aus.

Keine der Anfechtungen war erfolgreich. Keines der Kinder war Erbe geworden.
Zusammenfassend geben wir die Leitsätze der Entscheidungen wieder:

Leitsatz

Ist der potentielle Erbe aufgrund der von ihm in Erfahrung gebrachten Umstände (ua vermüllte Wohnung, umherliegende Rechnungen und Mahnungen, keine werthaltigen Gegenstände in der Wohnung, Informationen des Nachlassgerichts über offene Nachlassverbindlichkeiten und Bezahlung der Bestattung durch die öffentliche Hand) und der aus seiner Sicht abschließend, weil ohne sich ihm eröffnende Anhaltspunkte für weitere taugliche Informationsquellen, erfolgten Klärung der Vermögensverhältnisse, zu der Vorstellung gelangt, im Nachlass befänden sich ausschließlich Verbindlichkeiten des Erblassers, so hat er sich bei seiner hierauf basierenden Erklärung der Erbausschlagung nicht lediglich von Spekulationen, sondern von der Überzeugung einer Überschuldung leiten lassen, was ihm für den Fall, dass sich – wie hier – im Nachhinein die Werthaltigkeit des Nachlasses herausstellt, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, die Möglichkeit eröffnet, seine Erbausschlagungserklärung wegen Eigenschaftsirrtums anzufechten.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2020 – I-3 Wx 166/20

Der potentielle gesetzliche Erbe, der die Erbschaft ohne Angabe von Gründen ausschlägt und sodann mit Blick auf die inzwischen festgestellte Werthaltigkeit des Nachlasses seine Auschlagungserklärung anficht, weil er irrtümlich von einem überschuldeten Nachlass ausgegangen sei, macht nicht den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (Erbschaft), sondern einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum geltend, da er seine Ausschlagungserklärung ohne Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihm etwa bekannter oder zugänglicher Fakten, nämlich auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage abgegeben hat.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2020 – I-3 Wx 13/20

Empfehlung

Wer als Erbe seine Haftung für einen vermeintlich überschuldeten Nachlass durch Erbausschlagung vermeiden, aber dennoch ein Hintertürchen für den Fall später eventuell doch noch auftauchender Vermögenswerte offenlassen möchte, sollte möglichst umgehend auf mehrere Dinge achten und dies sorgfältig dokumentieren:

  • Nachforschungen über Zusammensetzung und Wert des Nachlasses
  • Besichtigen der Wohnung des Erblassers
  • Dokumentieren offener Rechnungen, Mahnungen, etc.
  • Dokumentieren eines womöglich verwahrlosten Zustands
  • Gespräche mit Behörden, Nachlassgericht, Banken führen und protokollieren
  • Formulierung der Ausschlagungserklärung, nämlich dass sich nach allen zu Verfügung stehenden Ermittlungen und Nachforschungen der Nachlass als überschuldet erweist.

Autor

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