09.09.2021 -

Kurzarbeit kann nur dann eingeführt werden, wenn dies mit dem Betriebsrat im Rahmen einer Betriebsvereinbarung verhandelt wird oder aber eine entsprechende individualvertragliche Klausel mit dem Mitarbeiter besteht, sofern kein Betriebsrat gewählt ist. Mit anderen Worten: Der Einführung von Kurzarbeit kann in einem betriebsratslosen Betrieb von den betroffenen Mitarbeitern immer dann widersprochen werden, wenn keine einzelvertraglichen Vereinbarungen über diese Einführung von Kurzarbeit bestehen. Arbeitgeber haben daher ein starkes Interesse daran, eine entsprechende Kurzarbeitsklausel in den vorhandenen Arbeitsvertrag aufzunehmen. Dies kann natürlich einvernehmlich geschehen. Im Falle der Weigerung besteht aber auch die Möglichkeit der Änderungskündigung. Mit dieser wichtigen Frage hat sich nun das Arbeitsgericht Stuttgart in einem sehr aktuellen Verfahren beschäftigt und die Einführung von Kurzarbeit im Rahmen einer fristlosen Änderungskündigung für zulässig erachtet (Arbeitsgericht Stuttgart v. 22.10.2020, 11 Ca 2950/2020).


Fristlose Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit (Copyright: Ralf Geithe/adobe.stock).

Der Fall (verkürzt)

Die klagende Arbeitnehmerin ist bereits seit 2011 bei dem beklagten Unternehmen, einer Leiharbeitsfirma, als Personaldisponentin beschäftigt. Zuletzt war sie zuständig für den Bereich Soziales und Pflege. Sie war dort insbesondere mit der Einsatzplanung für Kindergärten und Kindertagesstätten betraut.

Mitte März 2020 kam es im Rahnen der Corona-Krise zu einer vorübergehenden Schließung der Kindergärten und Kindertagesstätten. Am 9. April 2020 telefonierte die Geschäftsführerin der Beklagten mit der Klägerin und bat sie um Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit. Ein Betriebsrat besteht nicht.

Die Klägerin lehnte dies ab.

Der Arbeitgeber hatte schon am 2. April 2020 bei der Bundesagentur für Arbeit einen Arbeitsausfall in seinem Betrieb angezeigt und diesen mit der Schließung von Schulen und Kindergärten bedingt durch die Corona-Krise sowie der Abmeldung ihrer Zeitarbeitskräfte begründet. Die Bundesagentur für Arbeit hat daraufhin mit Schreiben vom 14. April 2020 mitgeteilt, dass

„aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind“.

Kurzarbeitergeld wurde ab 1. April 2020 für die Zeit des Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen, längstens jedoch bis 31. Dezember 2020 bewilligt.

Unter dem Datum vom 22. April 2020 sprach die Beklagte eine fristlose sowie hilfsweise ordentliche Änderungskündigung zum 31. Juli 2020 aus. Gegenstand der Änderungskündigung war die Einführung von Kurzarbeit mit einer zusätzlichen, sehr ausführlichen, Arbeitsvertragsklausel.

Die Arbeitnehmerin richtete hiergegen ihre Kündigungsschutzklage.

Die Entscheidung

1. Einführung von Kurzarbeit als betrieblicher Grund?

Das Arbeitsgericht hat zunächst klargestellt, dass in der Einführung von Kurzarbeit und dem Bedürfnis des Arbeitgebers, eine entsprechende arbeitsvertragliche Klausel einzuführen, ein dringendes betriebliches Erfordernis liegt. Dieses würde eine Änderungskündigung rechtfertigen und lasse sich der gesetzgeberischen Wertung der §§ 95 ff. SGB III entnehmen. In einem erheblichen Arbeitsausfall im Sinne von § 96 SGB III liege gleichzeitig ein dringendes betriebliches Erfordernis. Im Interesse der Rechtsklarheit sei daher ein Gleichlauf des Sozialrechts und des Arbeitsrechts zu fordern.

2. Keine Anwendung der Grundsätze bei Entgeltreduzierung

Das Arbeitsgericht hat weiter klargestellt, dass die von der Rechtsprechung des BAG zur Änderungskündigung bei Entgeltreduzierung entwickelten Grundsätze in diesem Zusammenhang gerade keine Anwendung finden. Die Einführung von Kurzarbeit sei schon, anders als eine Entgeltreduzierung, nicht von Dauer. Auch hier gelte, dass diese gesellschaftspolitisch und gesamtwirtschaftlich gewollt und im SGB III geregelt sei. Dies spreche für die Zulässigkeit.

3. Einführung als fristloser Kündigungsgrund?

Schließlich geht das Arbeitsgericht auch von den Voraussetzungen einer fristlosen Änderungskündigung aus. Hierfür spreche schon die Überlegung, dass ein Verweis auf längere Kündigungsfristen und die ordentliche Kündigung bei der Einführung von Kurzarbeit aufgrund drohenden Zeitablaufs für den Arbeitgeber zu einer nicht mehr möglichen sinnvollen Nutzung der Regelungsinstrumentarien der Kurzarbeit führe. Im konkreten Fall wäre z.B. die Einführung von Kurzarbeit bei der betroffenen Arbeitnehmerin erst zum 1. August 2020 möglich gewesen. Gerade in der coronabedingten Situation, bei der die Schließung der Einrichtungen ohne längere Ankündigung vollzogen wurde, würde sich dies unvorhersehbar und kurzfristig auf den Arbeitsbedarf auswirken. Würde man dies anders sehen, wäre bei der Verweigerung einzelner Arbeitnehmer die Einführungsmöglichkeit von Kurzarbeit gerade bei längeren Kündigungsfristen ausgeschlossen. Die Kurzarbeit habe aber primär den Zweck, einen Arbeitsplätzeabbau zu verhindern.

4. Fazit

Das Arbeitsgericht hat also die fristlose Änderungskündigung zur Einführung von Zulässigkeit für wirksam erachtet. Andere mildere Maßnahmen seien auch nicht ersichtlich. Die Entscheidung ist wohl nur vor dem Hintergrund der Corona-Krise zu verstehen und einzuordnen. Wir müssen daher darauf hinweisen, dass es sich bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart weiterhin um eine Einzelfallentscheidung handelt und weiterhin Rechtsrisiken bestehen, sollte der Weg über eine fristlose Änderungskündigung nun auf Basis dieser Entscheidungsgrundsätze gewählt werden.

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