Ein Dauerthema für Krankenhausärzte bleibt die Frage, wie sich Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst voneinander abgrenzen lassen. Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitszeit sorgt insoweit für weitere Unklarheit. Relevanz erlangt die Abgrenzung zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst zumeist im Nachhinein, wenn es um die Vergütung der jeweils geleisteten Stunden geht. In Arbeits- und Tarifverträgen unterliegt die Anordnung insbesondere der Rufbereitschaft häufig besonderen Anforderungen. Interessant ist insoweit, wie sich eine unzulässige Anordnung von Rufbereitschaft auf die Vergütung auswirkt. Die Frage lautet also: Muss Bereitschaftsdienst vergütet werden, wenn Rufbereitschaft gar nicht angeordnet werden durfte? Das BAG hatte sich mit einem Sachverhalt im Geltungsbereich des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) zu beschäftigen. Die grundsätzlichen Aussagen sind aber von allgemeinem Interesse.


BAG, Urteil vom 25.03.2021 – 6 AZR 264/20 (Copyright: fizkes/adobe.stock).

Der Fall

Auf das Arbeitsverhältnis eines Oberarztes fand der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) Anwendung. Dieser unterscheidet in seinem § 7 zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft und definiert diese Begriffe näher. Bei Bereitschaftsdienst hat sich der Arzt demnach an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, bei der Rufbereitschaft an einem dem Arbeitgeber anzuzeigenden – aber grundsätzlich frei wählbaren – Ort. In beiden Fällen kann der Arbeitgeber den Arzt aber dazu auffordern, die Arbeitsleistung aufzunehmen. Gemäß § 7 Abs. 6 S. 2 TV-Ärzte/TdL kann der Arbeitgeber Rufbereitschaft nur dann anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Der TV-Ärzte/TdL sieht bei Rufbereitschaft eine tägliche Pauschale vor – bei tatsächlicher Inanspruchnahme aber die normale Überstundenvergütung. Bereitschaftsdienst zählt laut Tarifvertrag hingegen zu einem bestimmten Prozentsatz als Arbeitszeit.

Der Oberarzt leistete ärztliche Hintergrunddienste, die jeweils 60 Stunden am Stück und an Wochenendtagen 24 Stunden am Stück umfassten. Er musste in dieser Zeit telefonisch erreichbar sein. Konkrete Vorgaben über den Aufenthaltsort wurden dem Oberarzt vom Klinikum nicht gemacht. Es gab auch keine feste Zeitvorgabe, wie schnell der Oberarzt die Klinik zu erreichen hatte. Allerdings hatte der Oberarzt bei Eingang eines Angebots zur Organtransplantation innerhalb von 30 Minuten die mitgeteilten Daten zu prüfen, den in Betracht kommenden Patienten und den zuständigen Dialysearzt telefonisch zu kontaktieren und das Angebot zur Organtransplantation anzunehmen oder abzulehnen. Bei einer Annahme des Angebots hatte er sich zudem unverzüglich in die Klinik zu begeben. Die für die Prüfungen erforderlichen Informationen konnte der Oberarzt einem Aktenordner entnehmen, den er während des Hintergrunddienstes ständig mitzuführen hatte. Der Oberarzt musste während des Hintergrunddienstes telefonisch erreichbar sein und wurde teilweise zu Einsätzen in die Klinik gerufen, teils aber auch nur telefonisch in Anspruch genommen. In 4 % der Rufbereitschaftsstunden wurden tatsächlich Arbeitsleitungen erbracht, allerdings kam es in 21 % der Hintergrunddienste zu einer telefonischen Inanspruchnahme und in 26 % der Hintergrunddienste zu einem Einsatz in der Klinik.

Die geleisteten Stunden wurden als Rufbereitschaft vergütet. Der Oberarzt verlangte jedoch eine Bezahlung nach den Regeln für den Bereitschaftsdienst und klagte die sich so ergebende Differenz ein. Bei den von ihm geleisteten Hintergrunddiensten handele es sich nach seiner Ansicht um Bereitschaftsdienst, da er kurzfristig im Klinikum habe erscheinen müssen. Zudem sei er durch den von ihm mitzuführenden Ordner und die mobilen Arbeitsgeräte in seiner freien Ortswahl beeinträchtigt gewesen. Die anfallenden telefonischen Instruktionen habe er schließlich nur unter Wahrung der Vertraulichkeit abgeben können, weshalb er sich faktisch auch nur an bestimmten Orten habe aufhalten dürfen. Weiterhin sei nicht nur im Ausnahmefall Arbeit angefallen. Schließlich sei es zusammengerechnet in fast der Hälfte der Hintergrunddienste zu Einsätzen gekommen. Die Klinik argumentierte dagegen, dass die faktischen Einschränkungen lediglich zwangsläufige und übliche Folge der Rufbereitschaft gewesen seien.

Die Entscheidung

Das BAG folgte der Ansicht des Klinikums und lehnte einen Anspruch des Oberarztes auf Vergütung nach den Regeln des Bereitschaftsdienstes ab. Die Hintergrunddienste seien hier Rufbereitschaft entsprechend des § 7 Abs. 6 TV-Ärzte/TdL, der Oberarzt habe daher die ihm zustehende Vergütung erhalten. Nach den tariflichen Regeln sei es für die Rufbereitschaft grundlegend, dass der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort frei bestimmen könne und so auch private Unternehmungen – etwa auch Veranstaltungsbesuche – möglich seien. Nach Auffassung des BAG ist die Rufbereitschaft „ihrem Wesen nach Aufenthaltsbeschränkung, wobei der Arbeitnehmer verpflichtet ist, bei Bedarf sofort tätig zu werden“. Eine Rufbereitschaft könne gemäß § 7 Abs. 6 S. 3 TV-Ärzte/TdL auch dadurch erfolgen, dass der Oberarzt auf dem Handy angerufen werde und sodann sofort seine Arbeitsleitung erbringe.

Allerdings sei ein Arbeitnehmer auch bei einer Rufbereitschaft nicht völlig frei in der Wahl seines Aufenthaltsortes. Mittelbare Einschränkungen würden sich schon daraus ergeben, dass der Dienst kurzfristig aufgenommen werden müsse. Entscheidend für die Abgrenzung von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft sei daher der Umfang der vom Klinikum angeordneten Aufenthaltsbeschränkungen. Eine feste Zeitvorgabe, wie schnell der Oberarzt in der Klinik zu sein hatte, gab es hier nicht. Die Verpflichtung, ein Mobiltelefon bei sich zu tragen, sei typisch für die Rufbereitschaft. Sie schränke den Oberarzt bei der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht ein – die Notwendigkeit, sich innerhalb des funktionsfähigen Mobilfunknetzes zu bewegen, sei daher als Ortsbeschränkung unbeachtlich. Er habe sich auch um persönliche Angelegenheiten kümmern und an Veranstaltungen teilnehmen können. Diese habe der Oberarzt dann zwar bei Eingang eines Telefonanrufs kurzfristig verlassen müssen; dies sei aber gerade das Wesen der Rufbereitschaft. Weiterhin habe es ihn auch nicht in seiner freien Ortswahl beeinträchtigt, dass er einen Ordner mit sensiblen Unterlagen bei sich habe führen müssen. Diesen habe der Oberarzt schließlich unproblematisch ins Kino oder Theater mitnehmen können. Eine feste Zeitvorgabe habe es nur für die Annahme eines Angebots zur Organtransplantation gegeben. Alle hierfür erforderlichen Schritte habe der Oberarzt aber an seinem jeweiligen Aufenthaltsort durchführen können, erst danach hätte er sich – ohne konkrete Zeitvorgabe – in der Klinik einfinden müssen. Eine räumliche Aufenthaltsbeschränkung sei mit dieser Verpflichtung daher nicht verbunden, so das Gericht.

Allerdings habe das Klinikum die Hintergrunddienste aus anderen Gründen nicht als Rufbereitschaftsdienst anordnen dürfen. Die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 6 S. 2 TV-Ärzte/TdL seien nicht gewahrt, da erfahrungsgemäß nicht nur in Ausnahmefällen Arbeit angefallen sei, was die Norm aber voraussetze. Insoweit seien alle Einsätze des Oberarztes während der Hintergrunddienste zu berücksichtigen, nicht etwa nur die Präsenzzeiten in der Klinik. Auch dienstliche Telefonate seien zu berücksichtigen. Da es in fast der Hälfte aller Rufbereitschaften zu einer Inanspruchnahme des Oberarztes gekommen sei, könne nicht mehr von „Ausnahmefällen“ gesprochen werden. Daher sei die Anordnung der Rufbereitschaft tarifwidrig. Dies führe aber – erstaunlicherweise – nicht dazu, dass der Oberarzt die Vergütung nach den Regeln des Bereitschaftsdienstes verlangen könne. Die tarifwidrig angeordnete Rufbereitschaft wandele sich nicht automatisch in einen Bereitschaftsdienst um, so das BAG. Für den Vergütungsanspruch sei es irrelevant, ob Rufbereitschaft habe angeordnet werden dürfen. Der Begriff der Rufbereitschaft sei unabhängig von der Anordnungsbefugnis zu definieren. Auch wäre, so das Gericht, „ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil weder der tariflichen Definition des Bereitschaftsdienstes noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent“. Rufbereitschaft bleibe also Rufbereitschaft, auch wenn diese eigentlich nicht hätte angeordnet werden dürfen. Der TV-Ärzte/TdL gehe davon aus, dass jede Rufbereitschaft als solche zu vergüten sei. Es fehle insoweit an einer vertraglichen Regelungslücke.

Für die Auslegung des TV-Ärzte/TdL zog das BAG rechtshistorische Argumente heran. Die Tarifvertragsparteien hätten in Kenntnis der gerichtlichen Auslegung des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) inhaltlich identische Tarifnormen geschaffen. Es wäre daher unzulässig, in die Tarifautonomie durch Vertragsauslegung einzugreifen. Ein betroffener Arbeitnehmer könne die Ableistung tarifwidrig angeordneter Rufbereitschaft verweigern, wodurch seine Rechte hinreichend geschützt seien.

Der Oberarzt könne auch aus dem Arbeitszeitgesetz keine höhere Vergütung ableiten. Aus Verstößen gegen dieses Gesetz könnten nämlich laut dem BAG keine Vergütungsansprüche resultieren. Die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG enthalte keine Regelungen zu der Frage, wie Rufbereitschaft zu vergüten sei. Auch aus dem Art. 31 der EU-Grundrechtecharta lasse sich hier kein höherer Vergütungsanspruch ableiten, schließlich sei die europäische Union gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV nicht für Vergütungsfragen zuständig. Es sei auch kein krasses Missverhältnis zwischen der Arbeitsleistung und der hierfür gezahlten Vergütung gegeben. Schließlich sei die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung mit dem Entgelt für Überstunden vergütet worden.

Fazit

Ob Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst vorliegt, kann nur im Einzelfall geklärt werden. Entscheidend ist hierbei, wie weit ein Arbeitnehmer in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Bereitschaftsdienst kann auch vorliegen, wenn der genaue Aufenthaltsort zwar nicht ausdrücklich bestimmt wird, aber faktisch stark eingeschränkt wird.

Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung von Arbeitszeit und Ruhezeit ist grundsätzlich relevant für die Auslegung auch von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst. Demnach wäre maßgeblich, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich seinen persönlichen und sozialen Interessen habe widmen können oder aber keine auch nur kurzfristigen Freizeitaktivitäten habe planen können (EuGH Urt. v. 9.3.2021 – C-344/19 Radiotelevizija Slovenija; EuGH Urt. vom 09.03.2021 – C 580/19 Stadt Offenbach am Main). Die Rechtsprechung des EuGH hat aber nur für den Arbeitsschutz unmittelbare Bedeutung, nicht jedoch für vergütungsrechtliche Fragen. Wie sich die Unterscheidung auf Vergütungsansprüche auswirkt, ist allein eine Frage des nationalen Rechts bzw. wie hier eines Tarifvertrags.

Durchaus folgerichtig war für das BAG nur der Wortlaut des TV-Ärzte/TdL maßgebend. Entscheidend war damit allein die Frage, ob der Aufenthaltsort faktisch festgelegt worden ist. Das BAG hat daher nur geprüft, ob der Aufenthaltsort faktisch vorgegeben war und dies nachvollziehbar verneint.

Das BAG legte den TV-Ärzte/TdL dahingehend aus, dass auch tarifwidrig angeordnete Rufbereitschaft als solche zu vergüten sei. Stellen daher Stationsärzte, Fachärzte oder Oberärzte im Geltungsbereich des TV-Ärzte/TdL fest, dass keineswegs nur in Ausnahmefällen während des Hintergrunddienstes Arbeit anfällt, können sie den Hintergrunddienst verweigern. Die Ärzte können hingegen nicht darauf pochen, dass in diesem Falle nach den Regelungen des Bereitschaftsdienstes gezahlt werden muss. Inwieweit diese Aussagen auf andere Tarifverträge übertragbar sind, bedarf einer Einzelfallbetrachtung. Maßgeblich werden Wortlaut und Entstehungsgeschichte der jeweiligen Regelung sein.

Für Chefärzte findet der TV-Ärzte/TdL zwar keine unmittelbare Anwendung, für die Auslegung von Chefarztverträgen und für Aspekte der Personalplanung wird die Rechtsprechung zur Einordnung und Vergütung von Hintergrunddiensten aber ebenfalls relevant werden.

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