23.09.2021 -


Fristlose Kündigung bei Arbeitsverweigerung? (Credit: adobestock)

Die beharrliche Arbeitsverweigerung kann einen fristlosen Kündigungsgrund darstellen. In einem aktuellen Urteil hat das LAG Schleswig-Holstein entschieden, dass aber das Fehlen eines Arbeitnehmers an bloß einem einzigen Arbeitstag regelmäßig nicht geeignet ist, eine fristlose Kündigung ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung zu rechtfertigen (LAG Schleswig-Holstein v. 3.6.2020, 1 Sa 72/20). Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht von praktischer Bedeutung, da sie einmal auf die Frage, wann die beharrliche Arbeitsverweigerung einen fristlosen Kündigungsgrund darstellt, eingeht, und andererseits die Anforderungen an eine vorherige Abmahnung erläutert.

Der Fall (verkürzt):

Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Arbeitgeber, einem Rechtsanwalt, als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte zum 1. August 2019, einem Donnerstag, eingestellt worden. Das Bruttomonatsgehalt betrug 850,00 € zuzüglich einer Tankkarte im Wert von monatlich 44,00 €, Fahrtgeld von monatlich 151,20 € und einer Direktversicherung in Höhe von monatlich 268,00 €.

§ 1 Ziffer 2 des Arbeitsvertrages lautet:

„Es wird die Zeit vom 01.08.2019 bis zum 31.01.2020 als Probezeit vereinbart. Innerhalb der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis von einer Frist von einer Woche gekündigt werden, unbeschadet des Rechts zur fristlosen Kündigung. Nach Ablauf der Probezeit gelten für beide Seiten die gesetzlichen Kündigungsfristen (§ 622 BGB).“

Die Klägerin nahm also am 1. August 2019 ihre Arbeit auf. Am Montag, dem 5. August sowie am Folgetag, dem 6. August 2019, arbeitete sie vereinbarungsgemäß nicht, da ihr Sohn in der Kindertagesstätte eingewöhnt wurde. Mit Schreiben vom 5. August 2019, der Klägerin vorab per E-Mail am 5. August 2019 und im Original zugegangen am 6. August 2019, kündigte der beklagte Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 12. August 2019. Die Klägerin erschien am 7. und 8. August 2019 nicht zur Arbeit. Mit E-Mail vom 8. August 2019 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zusätzlich fristlos. Die Kündigung ging der Klägerin am 9. August 2019 schriftlich zu.

Ebenfalls am 9. August 2019 ging bei dem Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 8. und 9. August 2019 ein.

Die am 1. und 2. August 2019 geleisteten 17,34 Arbeitsstunden rechnete der Beklagte in der Folgezeit ab und zahlte die sich hieraus ergebende Vergütung.

Die Arbeitnehmerin reichte gegen beide Kündigungen fristgerecht Klage ein.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, wobei die ordentliche Kündigung für wirksam erklärt wurde, allerdings nicht mit der vereinbarten Frist von einer Woche, sondern mit der gesetzlichen Frist von zwei Wochen.

Die Entscheidung:

1. Beharrliche Arbeitsverweigerung als fristloser Kündigungsgrund

Das Fernbleiben von der Arbeit kann, wenn es den Grad der beharrlichen Arbeitsverweigerung erreicht, grundsätzlich einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abgeben. Demgegenüber ist das Fehlen eines Arbeitnehmers an bloß einem einzigen Arbeitstag, regelmäßig nicht geeignet, eine fristlose Kündigung ohne Ausspruch einer vorhergehenden Abmahnung zu rechtfertigen.

Hier hat die Klägerin unstreitig nur einen Tag, nämlich den 7. August 2019, unentschuldigt gefehlt. Für den 8. und den 9. August 2019 hatte sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht. Zwar hat der Arbeitgeber hier bestritten, dass die Klägerin arbeitsunfähig gewesen sei. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um den Beweis des ersten Anscheins, den eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung setzt, zu widerlegen.

2. Abmahnung erforderlich!

Der Arbeitgeber hatte unstreitig die Klägerin nicht vor Ausspruch der Kündigung abgemahnt. Eine solche Abmahnung war hier aber notwendig und nicht entbehrlich. Eine Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber konnte hier nicht beweisen, dass die Arbeitnehmerin nach einer Arbeitsaufforderung im Rahmen einer Abmahnung ihr Verhalten nicht geändert hätte. Es gab schlicht keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, was passiert wäre, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin unter Androhung einer Kündigung zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit aufgefordert hätte. Dies musste sich der Arbeitgeber hier entgegenhalten lassen. Zudem reicht das Fehlen an nur einem einzigen Arbeitstag nicht aus, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst wenige Tage bestanden hat.

3. Kündigungsfrist in der Probezeit

Die gesetzliche Kündigungsfrist beträgt in einer vereinbarten Probezeit nach § 622 Abs. 3 BGB zwei Wochen. Diese Frist kann einzelvertraglich nicht verkürzt werden. Die vertragliche Vereinbarung war damit unwirksam. Die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB steht nicht zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien. Eine einzelvertraglich kürzere Kündigungsfrist darf nicht vereinbart werden.

Fazit:

Der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein ist zuzustimmen. Fehlt ein Mitarbeiter nur einen Tag, kann nicht von einer beharrlichen Arbeitsverweigerung gesprochen werden. In solchen Fällen muss stets vorher abgemahnt werden. Nach unserer Erfahrung greift dieses Erfordernis einer vorhergehenden Abmahnung auch dann, wenn ein Mitarbeiter mehrere Tage fehlt. Zudem ist es häufig so, dass im Nachhinein Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden, teilweise mit rückwirkender Krankschreibung und teilweise auch schlicht mit verspäteter Vorlage. Auch dies spricht dafür, in jedem Fall einen Mitarbeiter nachweisbar vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung abzumahnen und ihn zur Arbeitsaufnahme aufzufordern.

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