29.09.2021 -


Abfindung bei Eigenkündigung? (Credit: adobestock/domoskanonos)

Bei Umstrukturierungen oder organisatorischen Veränderungen im Betrieb wird mit dem zuständigen Betriebsrat regelmäßig ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart. Für den Fall betriebsbedingter Kündigungen wird dann in solchen Sozialplänen eine Abfindung für die ausscheidenden Mitarbeiter geregelt. Oftmals wollen aber Mitarbeiter in Ansehung der Veränderungen nicht bis zum Ausspruch der Kündigung warten, sondern sprechen bereits vorzeitig eine Eigenkündigung aus, entweder um der Kündigung vorzukommen oder aber, wie häufig, um eine neue Tätigkeit, die sich anbietet, antreten zu können. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung entschieden, dass Arbeitnehmer, die anlässlich einer Betriebsänderung eine Eigenkündigung aussprechen, ebenfalls eine Abfindung beanspruchen können (LAG Nürnberg v. 27.10.2020, 7 Sa 157/20). Im konkreten Fall wurde allerdings der Anspruch abgelehnt, da der Arbeitnehmer seiner erforderlichen Darlegungs- und Beweislast nicht nachkommen konnte.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war bereits seit dem Jahre 2000 bei dem beklagten Arbeitgeber als Marktforscher in Führungsposition beschäftigt. Sein monatliches Bruttoarbeitsentgelt als Abteilungsleiter betrug zuletzt 8.147,61 €. Er leitete in dem Bereich „Finanzmarktforschung“ eine von zwei Abteilungen und führte mit drei bis vier Mitarbeitern generelle Studien zu längerfristigen Entwicklungen durch, die für Banken und Versicherungen von Interesse waren.

Der Arbeitgeber führte seit dem Jahre 2016 umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen durch, die auf mehrere Jahre angelegt waren und auch den Bereich berührten, in dem der Kläger arbeitete. Seine Abteilung wurde aus der bisherigen Struktur herausgelöst und in die Division „Shopper“ integriert. Mit einzelnen Mitarbeitern wurden bereits Aufhebungsverträge abgeschlossen.

Die durchgeführten und geplanten Maßnahmen und die angestrebte neue Unternehmensstruktur wurden der Belegschaft in groben Zügen auf einem sogenannten „town hall meeting“ am 1. September 2017 bekannt gegeben.

Mit dem Konzernbetriebsrat wurde anlässlich der Umstrukturierungsmaßnahmen in einem Sozialplan u.a. Folgendes vereinbart:

„II. Beendigung des Arbeitsverhältnisses

1. Abfindungen
a) Anspruchsberechtigte

Ebenso anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer, die das Arbeitsverhältnis ab dem 31. August 2017 selbst kündigen bzw. bereits gekündigt haben, sofern die Eigenkündigung des Arbeitnehmers im Hinblick auf die geplante Betriebsänderung … veranlasst wurde. Veranlasst ist eine Eigenkündigung, wenn beim Arbeitnehmer die berechtigte Annahme hervorgerufen wird, er komme mit der eigenen Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer sonst notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung nur zuvor. Der bloße Hinweis oder die bloße Information über eine bevorstehende Betriebsänderung in dem jeweils betreffenden Bereich ist keine solche Veranlassung.“

Der Arbeitnehmer kündigte mit Schreiben vom 26. März 2018 zum 25. Juni 2018 sein Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung.

Nach Ablauf der Kündigungsfrist machte er gegenüber dem Arbeitgeber einen Abfindungsanspruch in Höhe von 178.921,52 € brutto geltend, den er nach Ablehnung gerichtlich einklagte.

Er machte mit seiner Klage u.a. geltend, bereits seit 2016 seien Umstrukturierungsmaßnahmen durchgeführt worden, von denen auch er betroffen gewesen sei. Nach Pressemitteilung sollte jeder 5. Arbeitsplatz eingespart werden. Seine Eigenkündigung sei daher veranlasst gewesen durch den Arbeitgeber. Dies löse den Abfindungsanspruch nach dem Sozialplan aus.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat im Berufungsverfahren die Entscheidung des Arbeitsgerichts vollumfänglich bestätigt

I. Regelung der Betriebspartner

Die Frage, wer im Rahmen eines Sozialplans abfindungsberechtigt ist, können die Sozialpartner zunächst frei regeln. Sie müssen dabei natürlich die allgemeinen Grundsätze, insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz, beachten. Gleiche Sachverhalte dürfen nur aus sachlichem Grund ungleich behandelt werden. Soweit daher die Betriebspartner auch den Fall von Eigenkündigungen regeln, ist dies zulässig. Die Regelung, dass nur solche Eigenkündigungen einen Abfindungsanspruch auslösen, wenn die Eigenkündigung durch den Arbeitgeber veranlasst wurde, ist ebenfalls zulässig. Insoweit stellte sich die Frage, welche Veranlassung im vorliegenden Fall der Arbeitgeber gegeben hat.

II. Veranlassung durch Arbeitgeber

Zunächst gab der Arbeitgeber schon ganz allgemein durch die Umstrukturierungsmaßnahmen und die damit verbundene Verunsicherung bei dem Kläger eine Veranlassung, über seinen Arbeitsplatz nachzudenken. Dies alleine ist aber noch nicht ausreichend. Der Arbeitnehmer, der einen Abfindungsanspruch bei einer Eigenkündigung geltend machen möchte, muss konkret vortragen, welche konkreten Maßnahmen im Rahmen der Umstrukturierungsmaßnahmen wann von welchen Führungskräften, leitenden Angestellten oder der Geschäftsführung allgemein bekannt gegeben würden. Er muss daher beweisen, weshalb er aus diesen Maßnahmen den berechtigten Schluss hätte ziehen können, dass ihm eine betriebsbedingte Kündigung drohe. Allgemeine Ängste reichen dazu nicht aus.

In Ergänzung dieser Ausführungen ist auf die zu der Problematik ergangene Rechtsprechung auch des Bundesarbeitsgerichts hinzuweisen (siehe BAG, 15.05.2007, 1 AZR 370/06). Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung folgende Grundsätze aufgestellt:

„Nach der ständigen Senatsrechtsprechung sind Arbeitnehmer, die aufgrund eines vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrages oder einer von ihm veranlassten Eigenkündigung ausscheiden, mit denjenigen gleichzubehandeln, deren Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt wird. Ursache für das Ausscheiden muss die vom Arbeitgeber vorgenommene Betriebsänderung sein. Dies ist sie auch dann, wenn der Arbeitgeber bei dem Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenen Initiative komme er einer sonst notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung Seitens des Arbeitgebers nur zuvor.“

Hinweis für die Praxis:

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Eigenkündigungen können in bestimmten Fällen einen Abfindungsanspruch auslösen. Allerdings muss dann der Arbeitgeber auch konkret die berechtigte Annahme bei dem Arbeitnehmer hervorrufen, dass ihm andernfalls betriebsbedingt gekündigt wird. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Arbeitnehmer hatte noch nicht einmal selbst Aussagen oder Tatsachen vortragen können, aus denen er hätte schließen können, sein Arbeitsplatz bei der Beklagten sei konkret vom Wegfall bedroht.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei für Arbeits­recht
    (FOCUS SPEZIAL 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

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