03.11.2021 -


Achtung bei verdeckter Videoüberwachung (credit: adobestock//kadmy)

Diebstahl und Unterschlagung berechtigen regelmäßig zur fristlose Kündigung. Gerade Eigentumsdelikte in Unternehmen werden streng geahndet und führen regelmäßig zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In vielen Fällen ist der Arbeitgeber aber nicht in der Lage, den Diebstahl als Tat nachzuweisen. Dann bleibt nur die Verdachtskündigung, die eine eigene Kündigung darstellt und auch anderen Wirksamkeitsanforderungen unterliegt. Schon diese Unterscheidung muss zwingend beachtet werden, um Rechtsnachteile zu vermeiden. Zusätzlich bedarf es aber dann auch noch bei der Betriebsratsanhörung der genauen Differenzierung. Fehler führen auch hier zur Unwirksamkeit der Kündigung. Mit einer solchen, durchaus typischen Situation hatte sich jetzt das Landesarbeitsgericht Nürnberg zu befassen und im konkreten Fall die fristlose Kündigung für unwirksam erachtet (LAG Nürnberg v. 8.12.2020, 7 Sa 226/20).

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war seit dem Jahre 2016 als gewerblicher Mitarbeiter und Kommissionierer im Frischebereich im Großhandelslager des beklagten Arbeitgebers beschäftigt.

In diesem Großhandelslager arbeiten mehr als 400 Arbeitnehmer. Das Lager ist u.a. aufgeteilt in die Bereiche Obst und Gemüse, Frische und Trockensortiment. Zum letzteren zählen auch Getränke und Spirituosen. Dort hat es in der Vergangenheit Schwund im Sortiment gegeben.

Wegen des Schwundes an Spirituosen waren Mitarbeiter beauftragt worden, die Gänge im Bereich des Trockensortiments zu kontrollieren, ob sich dort jemand unberechtigt aufhalte. Ferner war eine versteckte Kamera angebracht worden, die den Gang mit den Spirituosen im Aufnahmebereich der Kameralinse hatte. Diese wurde nur eingeschaltet in den Zeiten, in denen im Trockensortiment nicht gearbeitet wurde.

Der Kläger wurde mit einem Kollegen im Bereich des Trockensortiments gefilmt. In der Nähe dieses Bereiches befindet sich auch die Kantine. Auf dem Weg zum Treppenhaus der Kantine bückte sich der Kläger. Allerdings konnte man auf dem Film nicht genau sehen, was genau der Kläger machte.

Der Kläger und sein Kollege wurden dann von zwei Schichtleitern darauf angesprochen, was sie im Trockensortiment zu suchen hätten. Sie gaben Auskunft, dass sie zur Kantine unterwegs waren, um sich etwas zu essen und zu trinken zu holen. Eine sofortige Kontrolle des Spirituosenbereiches führte zu der Feststellung, dass an der Stelle, wo sich der Kläger gebückt hatte, zwei kleine Fläschchen Jägermeister fehlten.

Der Kläger wurde daraufhin angehört. Er bestritt den Vorwurf. Nach weiterer Betriebsratsanhörung wurde er fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Eigentumsdelikte stellen regelmäßig einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Es kommt dabei nicht auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit dieser Pflichtverletzung begangenen schweren Vertrauensbruch. Dies gilt auch bei einem Zugriff auf Eigentum des Arbeitgebers von geringem Wert, wie es hier der Fall war.

Kann der Arbeitgeber die Tat nachweisen, handelt es sich um eine Tatkündigung. Kann er den Verdacht nicht nachweisen, bleibt immer noch das mildere Mittel der sog. „Verdachtskündigung“. Der Verdacht stellt gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Hinweis für die Praxis:

Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Es muss eine große überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Bloße Vermutungen oder allgemeine Verdächtigungen reichen nicht aus.

II. Betriebsratsanhörung differenziert durchführen!

Im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens kann der Arbeitgeber bekanntlich nur solche Vorwürfe vortragen, zu denen er den Betriebsrat vorher auch angehört hat. Möchte sich der Arbeitgeber sowohl auf eine Tat- als auch auf eine Verdachtskündigung stützen, muss er den Betriebsrat zu beiden Kündigungen anhören.

Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat hingegen nur mitgeteilt, er beabsichtige das Arbeitsverhältnis mit einer nach dem geschilderten Sachverhalt für bewiesenen Handlung zu kündigen, so ist er mit dem Kündigungsgrund des Verdachts wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats ausgeschlossen.

So lag der Fall hier. Der Arbeitgeber hatte zwar den Arbeitnehmer vorher angehört und damit alle Voraussetzungen auch für eine Verdachtskündigung geschaffen. Den Betriebsrat hatte der Arbeitgeber aber nicht zur Verdachtskündigung angehört, sondern dem Betriebsrat gegenüber nur die erwiesene Tat als Begründung angegeben.

Ein Nachschieben des Diebstahls als Verdachtsmoment war ebenfalls nicht mehr möglich. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ist nur möglich, wenn nachträglich neue Kündigungsgründe bekannt werden. Lagen die maßgebenden Verdachtsmomente objektiv bereits vor Zugang der Kündigung vor, scheidet ein Nachschieben dieses Kündigungsgrundes aus.

Hinweis für die Praxis:

Der Fall macht deutlich, dass sowohl der Kündigungsgrund als solcher genau nachgewiesen und dokumentiert werden muss, als auch im Nachgang das Betriebsratsanhörungsverfahren sehr sorgfältig durchgeführt werden muss. Es reicht gerade nicht aus, einen wirksamen Kündigungsgrund zu haben, wenn Fehler bei der Betriebsratsanhörung passieren. Dann scheitert selbst bei einem „glasklaren Kündigungsgrund“ die Kündigung an der fehlerhaften Betriebsratsanhörung.

III. Verdeckte Videoüberwachung unzulässig?

Das Landesarbeitsgericht hatte sich dann schließlich ergänzend noch mit der Frage befasst, ob die Videoaufnahmen überhaupt in den Prozess eingeführt und die Erkenntnisse verwertet werden durften. Das hat das Landesarbeitsgericht verneint.

Das Bundesdatenschutzgesetz erlaubt eine verdeckte Videoüberwachung ausnahmsweise nur dann, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung besteht. Zudem müssen alle weniger einschneidenden Mittel zur Sachverhaltsaufklärung ergebnislos ausgeschöpft sein. Die verdeckte Kameraüberwachung muss das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellen.

Auch diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben. Der Arbeitnehmer hatte dauerhaft die verdeckte Videoüberwachung vorgesehen und diese war nicht das letzte Mittel, um insgesamt den „Schwund“ bei den Spirituosen aufzuklären. Zusätzlich zu der fehlerhaften Betriebsratsanhörung war der Arbeitgeber hier also auch daran gehindert, die von ihm vorgelegten Videoaufnahmen im Prozess verwerten zur dürfen.

Fazit:

Bei Eigentumsdelikten oder anderen fristlosen Kündigungsgründen, die nicht sicher nachgewiesen werden können, sollte der Arbeitgeber immer die Kündigung zugleich als Tat- und Verdachtskündigung aussprechen. Es reicht aus, dies innerhalb eines Kündigungsschreibens zu verdeutlichen. Es müssen nicht zwei Kündigungen ausgesprochen werden mit zwei verschiedenen Schreiben. Zusätzlich gegenüber dem Betriebsrat innerhalb eines Anhörungsschreibens geschehen. Dem Betriebsrat muss nur verdeutlicht werden, dass der Arbeitgeber sich einerseits auf die Tatkündigung andererseits aber eben auch auf den dringenden Tatverdacht stützt. Nur so werden Rechtsnachteile im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses vermieden.

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  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
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