16.03.2005 -

Sinn und Zweck der Kurzarbeit ist die vorübergehende wirtschaftliche Entlastung des Betriebs durch Senkung der Personalkosten unter gleichzeitiger Erhaltung der Arbeitsplätze. Die Einführung von Kurzarbeit ist damit für die Arbeitnehmer mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden. Aus diesem Grund ist der Arbeitgeber auch nicht ohne weiteres berechtigt, Kurzarbeit einseitig einzuführen, sondern muss sich auf eine Rechtsgrundlage stützen können. Das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt hatte nun zu entscheiden, ob eine förmliche Betriebsvereinbarung den Arbeitgeber berechtigt, Kurzarbeit im Betrieb einzuführen (Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 15.01.2004 – 9 (10) Sa 508/03 -, Revision eingelegt zum Bundesarbeitsgericht unter dem Az: 1 AZR 190/04). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, auf die arbeitsrechtlichen Besonderheiten der Einführung von Kurzarbeit hinzuweisen.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

 

Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Arbeitgeber als Marktleiterin beschäftigt. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten vereinbarte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich. Zudem wurde eine zweite Betriebsvereinbarung mit der Bezeichnung Kurzarbeit abgeschlossen.

 

In dieser zweiten Betriebsvereinbarung wurde unter anderen vereinbart, dass es Ziel der Kurzarbeit sei, lange Fristen aus betriebsbedingten Kündigungen abzufedern.

 

Der Arbeitgeber zeigte daraufhin dem zuständigen Arbeitsamt (jetzt Agentur für Arbeit) die Einrichtung einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit an. Ferner wurde die Namensliste der von der Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiter beigefügt. Die Klägerin war in dieser Namensliste aufgeführt.

 

Das Arbeitsamt gewährte daraufhin Kurzarbeitergeld und bewilligte den von dem Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmern für die Zeit des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen Kurzarbeitergeld.

 

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin der Marktleiterin betriebsbedingt und ordnete ihr gegenüber Kurzarbeit ohne Verpflichtung zur Arbeit an. Die Kündigungsschutzklage wurde in der ersten und zweiten Instanz abgewiesen.

 

Mit ihrer Zahlungsklage machte die Arbeitnehmerin die rechnerische Differenz zwischen dem ihr für die vom 1. November 2002 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, 31. März 2003, ausgezahlten Kurzarbeitergeld und dem ihr bei regelmäßiger Arbeit in dieser Zeit zustehenden Bruttoarbeitsentgelt geltend.

 

Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben.

 

Die Entscheidung des LAG:

 

Das Landesarbeitsgericht hat in der Berufung die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Zahlungsklage abgewiesen.

 

I. Anordnung von Kurzarbeit setzt Rechtsgrundlage voraus

 

Der Arbeitgeber ist nicht zur einseitigen Einführung von Kurzarbeit berechtigt. Für die Einführung von Kurzarbeit bedarf er vielmehr einer besonderen rechtlichen Grundlage. Folgende Rechtsgrundlagen kommen in Betracht:

 

1. Tarifvertrag

 

Die Einführung von Kurzarbeit kann in Tarifverträgen zugelassen werden. Im Einzelnen ist hierzu zwar vieles umstritten. Dennoch wird man grundsätzlich die Zulässigkeit tariflicher Regelungen annehmen können. In den Tarifverträgen wird dann in der Regel im Einzelnen unter bestimmten näher definierten Voraussetzungen die Einführung von Kurzarbeit ermöglicht. Der Arbeitgeber kann sich auf tarifliche Regelungen jedoch nur berufen, wenn er tarifgebunden ist und der einschlägige Tarifvertrag auch auf die Arbeitsverhältnisse einwirkt. Dies setzt die beiderseitige Tarifbindung voraus, die einzelvertragliche Bezugnahme oder die Anwendung des Tarifvertrages aufgrund betrieblicher Übung. In Betracht kommt auch die Bindung kraft Allgemeinverbindlichkeit.

 

´2. Betriebsvereinbarung

 

Als Rechtsgrundlage für die Einführung von Kurzarbeit kommt ferner eine Betriebsvereinbarung in Betracht. Wie auch ein Tarifvertrag, wirkt eine Betriebsvereinbarung gem. § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse ein. Ist allerdings eine tarifliche Regelung vorhanden, greift die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG. Der Betriebsrat kann also nur dort tätig werden, wo die Tarifvertragsparteien nicht bereits Regelungen getroffen haben.

 

Aber: Nicht möglich ist hingegen die Einführung von Kurzarbeit über Abschluss einer Regelungsabrede. Im Gegensatz zu einer Betriebsvereinbarung kommt der Regelungsabrede keine normative, d.h. unmittelbar und zwingende, Wirkung zu. Sie begründet lediglich rein schuldrechtliche Beziehungen. Die Einführung von Kurzarbeit setzt deshalb den Abschluss einer formgültigen Betriebsvereinbarung voraus.

 

3. Einzelvertragliche Vereinbarung

 

Einführung von Kurzarbeit kann schließlich auch über eine einzelvertragliche Vereinbarung legitimiert werden. Dies kann bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages ohne konkreten Anlass vereinbart werden. In diesem Fall benötigt der Arbeitgeber später nicht mehr die gesonderte Zustimmung des Arbeitnehmers. Möglich ist es allerdings auch, die Einführung von Kurzarbeit erst später zu vereinbaren. Dies bürgt allerdings für den Arbeitgeber das Risiko, dass der Arbeitnehmer dann seine Zustimmung nicht mehr erteilt. Gerade in Fällen, in denen ein Betriebsrat nicht vorhanden ist, ist dann die einseitige Einführung von Kurzarbeit nicht ohne Weiteres umzusetzen. Der Ausspruch von Änderungskündigungen aus betriebsbedingten Gründen unterliegt der strengen Rechtsprechung des BAG.

 

II. Mitbestimmung des Betriebsrats

 

Im vorliegenden Fall war trotz der Tarifbindung des Arbeitgebers eine tarifliche Regelung nicht vorhanden. Der Arbeitgeber hat daher zutreffend den Weg über Abschluss einer Betriebsvereinbarung gewählt und mit dem Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit vereinbart. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ohnehin ein Mitbestimmungsrecht bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betrieblichen Arbeitszeit. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fällt hierunter auch die Einführung von Kurzarbeit, und zwar auch dann, wenn Tage und Wochen endgültig ausfallen, also Kurzarbeit ohne Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Arbeit eingeführt und damit die Dauer der Arbeitszeit berührt wird.

 

Nach Auffassung des LAG Sachen-Anhalt unterfällt auch die Einführung von Struktur-Kurzarbeit nach § 175 SGB III der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Die Vorschrift des § 175 SGB III zur Struktur-Kurzarbeit wurde im Rahmen von Hartz III zum 1. Januar 2004 aufgehoben. Die Vorschrift wurde das Transfer-Kurzarbeitergeld nach § 216 b SGB III ersetzt. Allerdings gilt das Struktur-Kurzarbeitergeld nach § 175 SGB III im Rahmen der Übergangsvorschrift des § 434 j Abs. 11 SGB weiter. Die vorliegende Entscheidung hat damit auch weiterhin noch Bedeutung für die Praxis.

 

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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