16.06.2005 -

In den Gesamtbetriebsrat entsendet jeder Betriebsrat eines oder zwei seiner Mitglieder. Dies folgt aus § 47 Abs. 2 BetrVG. Wie diese Mitglieder, die entsandt werden, benannt bzw. gewählt werden, sagt das Gesetz nicht. In der Praxis kann es dabei, insbesondere aus gewerkschaftspolitischen Gründen, weitreichende Bedeutung haben, ob die zu entsendenden Mitglieder mit einfachem Mehrheitsbeschluss benannt werden oder aber im Wege der Verhältniswahl. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem praxisrelevanten Urteil nun diese Frage abschließend im Sinne der einfachen Stimmmehrheit entschieden (BAG, Beschl. v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 -, NZA 2005, S. 170).

Der Sachverhalt der Entscheidung:

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall streiten die Beteiligten über die Wirksamkeit von Beschlüssen des Betriebsrats über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat. Antragsteller in dem Verfahren waren zwei Mitglieder eines 11-köpfigen Betriebsrats.

Von diesen 11 Mitgliedern hatten sieben auf der Liste Transnet-GdED und vier – darunter auch die beiden Antragsteller – auf der Liste GDL/GDBA kandidiert.

Auf der Sitzung des Betriebsrats wurde u.a. die Entsendung von zwei Mitgliedern in den Gesamtbetriebsrat beschlossen. Zwei Betriebsratsmitglieder der Liste GDL/GDBA stellten den Antrag, über die Entsendung im Wege der Verhältniswahl abzustimmen. Der Antrag wurde mit sieben Nein – bei vier Ja-Stimmen – abgelehnt. Sodann wurden Betriebsratsmitglieder namentlich für die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat vorgeschlagen. Für jede Position gingen zwei Vorschläge ein. Die sieben über die Liste der Transnet-GdEG in den Betriebsrat gewählten Mitgliedern schlugen Bewerber aus ihrer Reihe vor. Die vier von der Liste der GDL-GDBA gewählten Betriebsratsmitglieder benannten Kandidaten aus ihrem Kreis.

Die für die vorgesehenen Ämter nacheinander durchgeführten Abstimmungen ergaben – auch bei der Bestimmung der Ersatzmitglieder – bei jeweils sieben Ja – gegen vier Nein-Stimmen die Wahl die Kandidaten aus der Liste der Transnet-GdED.

Die beiden Antragsteller von der Liste GDL/GDBA stellten beim Arbeitsgericht u.a. den Antrag, die einzelnen Betriebsratsbeschlüsse für die Wahl der entsandten Betriebsratsmitglieder für unwirksam zu erklären.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der antragstellenden Betriebsratsmitglieder ebenfalls zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Vorinstanzen bestätigt.

I. Gerichtliche Überprüfung betriebsratsinterner Wahlen

Die gerichtliche Überprüfung betriebsratsinterner Wahlen ist betriebsverfassungsrechtlich nicht geregelt. Das Bundesarbeitsgericht lässt aber in ständiger Rechtsprechung die Anfechtung betriebsratsinterner Wahlen in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG zu. Soweit deshalb die Grundsätze aus § 19 BetrVG übertragen werden können, sind diese anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die zweiwöchige Anfechtungsfrist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Die in § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vorgesehene Mindestanzahl von drei Wahlberechtigten zur Anfechtung, findet jedoch keine Anwendung. Diese Beschränkung ist für die Anfechtung betriebsratsinterner Wahlen nicht sachgerecht. Vielmehr ist für eine Anfechtung jedes Betriebsratsmitglied befugt, das – wie hier – geltend macht, in seiner Rechtsstellung als Betriebsratsmitglied oder einer Schutz genießenden Minderheit verletzt zu sein.

II. Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat keine Wahl

Im BetrVG ist zwar nicht ausdrücklich geregelt, ob die Entsendung durch einen Mehrheitsbeschluss des Betriebsrats nach § 33 BetrVG oder durch eine Wahl nach dem Verhältniswahlprinzip zu erfolgen hat. Nach Auffassung des BAG ergibt sich jedoch unmittelbar aus der Auslegung des Gesetzes, dass der Betriebsrat durch Beschluss nach § 33 BetrVG mit einfacher Mehrheit entscheiden kann.

So spricht der Wortlaut zunächst von Entsendung. Ein bestimmtes Wahlverfahren schreibt § 47 BetrVG nicht vor. Der Begriff „Wahl“ wird im Gegensatz zur Betriebsratswahl, der Wahl des Vorsitzenden des Betriebsrats und dessen Stellvertreter, der Wahl der Ausschussmitglieder und der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder (vgl. §§ 14, 26, 27, 28 und 38 BetrVG) jedoch nicht verwandt. Dieser unterschiedliche Wortlaut spricht dafür, dass der Gesetzgeber die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat im Regelfall nicht durch eine Wahl entschieden haben wollte, sondern vielmehr durch Mehrheitsbeschluss nach § 33 BetrVG.

Die historische Auslegung stützt dieses Ergebnis. Vor dem Inkrafttreten des Betriebsverfassungsreformgesetzes 2001 bestand nach § 47 Abs. 2 BetrVG a.F. ein Gruppenschutz. Die Gruppen der Arbeiter und der Angestellten wählten jeweils ihren Gruppenvertreter. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Abschaffung des Gruppenschutzes einen Minderheitenschutz durch ein einzuführendes Verhältniswahlsystem gewährleisten wollte, gibt die amtliche Gesetzesbegründung keine Anhaltspunkte.

Schließlich hat der Gesetzgeber in den Fällen, in denen er die Beachtung der Verhältniswahl für geboten hält, dies ausdrücklich in die betreffende Norm aufgenommen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass in den übrigen Fällen das Mehrheitsprinzip gilt.

Das BAG hat schließlich klargestellt, dass diesem Ergebnis auch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht entgegenstehen.

Fazit:

Die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG erfolgt durch Mehrheitsbeschluss nach § 33 BetrVG. Die mögliche Benachteiligung von Minderheiten ändert hieran nichts. Ihre Einflussnahme auf betrieblicher Ebene bleibt unberührt. Die Mitglieder der im Betriebsrat vertretenen Minderheitskoalition können auf die in den Gesamtbetriebsrat entsandten Betriebsratsmitglieder im Übrigen Einfluss nehmen und so zumindest mittelbar an Entscheidungen des Gesamtbetriebsrats mitwirken.

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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