10.07.2005 -

Die Frage der Wahlberechtigung zu Betriebsratswahlen ist für den Arbeitgeber mit weitreichenden, auch finanziellen, Folgen verbunden. Die nach § 7 Satz 1 BetrVG wahlberechtigten Arbeitnehmer sind nämlich zugleich auch Arbeitnehmer im Sinne des § 9 BetrVG und zählen damit bei der Berechnung der so genannten Schwellenwerte mit. Die Wahlberechtigung hat damit unmittelbare Auswirkung auf die Anzahl der Betriebsratsmitglieder. Der 7. Senat des BAG hatte sich nun mit der höchstrichterlichen noch nicht beantworteten Frage zu befassen, ob ABM-Beschäftigte wahlberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsrechts sind (Bundesarbeitsgericht, Beschl. v. 13.10.2004 – 7 ABR 6/04 -, NZA 2005, 480 = DB 2005, 837).

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl des Betriebsrats von Mai 2002 in einem Berliner Betrieb. Der Arbeitgeber ist in diversen sozialen Bereichen tätig und befasst sich mit der Durchführung von verschiedenen Projekten mit dem Ziel, für Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern. Dies geschieht durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und durch Strukturanpassungsmaßnahmen nach dem SGB III.

Mit den Personen, die ihm vom Arbeitsamt im Rahmen einer ABM zugewiesen werden, schließt der Arbeitgeber befristete Arbeitsverträge ab. Im Mai 2002 fand in dem Betrieb, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war, eine Betriebsratswahl statt. Es wurde entsprechend der Angaben im Wahlausschreiben ein 11-köpfiger Betriebsrat gewählt. Die Wählerliste enthielt u.a. die Namen von 262 Stammbeschäftigten und 283 Beschäftigten in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Der Arbeitgeber hat die Betriebsratswahl mit der Begründung angefochten, die 283 ABM-Beschäftigten seien keine wahlberechtigten Arbeitnehmer. Sie hätten deshalb weder an der Wahl teilnehmen dürfen noch seien sie bei der Berechnung der für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer mitzuzählen gewesen. Es hätten damit nur 9 statt 11 Mitglieder gewählt werden dürfen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn hingegen zurückgewiesen.

Die Entscheidung des BAG:

Der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Auffassung des Landesarbeitsgerichts bestätigt. ABM-Beschäftigte sind wahlberechtigte Arbeitnehmer im Sinne der §§ 7, 9 BetrVG.

I. Wahlberechtigung

Nach § 7 Abs. 1 BetrVG sind alle Arbeitnehmer eines Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, wahlberechtigt zur Betriebsratswahl. Dazu gehören zunächst alle betriebsangehörigen Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1. Arbeitnehmer ist danach grundsätzlich, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.

II. Wahlrecht der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten 

In der vorliegenden Entscheidung hat der Arbeitgeber die Wahlberechtigung der ABM-Beschäftigten u.a. mit dem Argument angegriffen, die einschränkende Rechtsprechung des Senats zum Wahlrecht der Auszubildenden sei auf Beschäftigte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu übertragen.

Voraussetzung für das Wahlrecht der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten ist, dass die Auszubildenden aufgrund eines privatrechtlichen Ausbildungsvertrages in dem Betrieb des Ausbilders eine berufliche Unterweisung erhalten und in den Betrieb auch eingegliedert sind. Hierfür wird eine betriebliche praktische Unterweisung gefordert, im Rahmen derer der Arbeitgeber dem Auszubildenden praktische Aufgaben zu Ausbildungszwecken zuweist. Die betriebsverfassungsrechtlich entscheidende Eingliederung des Auszubildenden liegt indes nur vor, wenn sich die berufspraktische Ausbildung im Rahmen der jeweiligen arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebsvollzieht, zu dessen Erreichen die betriebsangehörigen Arbeitnehmer zusammenwirken. Dazu muss die Berufsausbildung mit dem laufenden Produktions- oder Dienstleistungsprozess des Betriebs verknüpft sein.

Das ist der Fall, wenn der Auszubildende mit solchen Tätigkeiten beschäftigt wird, die zu den beruflichen Aufgaben der Arbeitnehmer dieses Betriebes gehören. Ist dagegen der Betriebszweck des Ausbildungsbetriebes auf die Vermittlung einer berufspraktischen Ausbildung beschränkt und werden daneben keine weiteren arbeitstechnischen Zwecke verfolgt, sind die dortigen Auszubildenden nicht in vergleichbarer Weise wie die übrigen Arbeiter oder Angestellten in den Betrieb eingegliedert. Die Wahlberechtigung ist dann zu verneinen.

III. Beschäftigte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen grundsätzlich wahlberechtigt!

Die zuvor dargestellte eingeschränkte Rechtsprechung des BAG zum Wahlrecht der Auszubildenden kann auf Beschäftigte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen jedoch nicht übertragen werden. Zunächst einmal werden mit ABM-Beschäftigten konkrete Arbeitsverträge abgeschlossen, was § 260 Abs. 1 Nr. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung voraussetzt (§ 260 Abs. 2 Nr. 4 SGB III n.F.). Die ABM-Beschäftigten sind auch zur Erfüllung der arbeitstechnischen Zwecke in die Betriebsorganisation eingegliedert. Dies folgt ebenfalls aus § 260 SBG III. Bei der Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen handelt es sich um eine Arbeitsplatzförderung. Gefördert wird die zusätzliche Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Über die Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wird deshalb ein Arbeitsverhältnis und kein Ausbildungsverhältnis gefördert.

In dem konkreten Fall hat der Arbeitgeber Arbeitsangelegenheiten, wie etwa einen Museumsservice und den Seniorenservice geschaffen. Arbeitstechnischer Zweck des Betriebes ist damit vorrangig die Erledigung dieser Arbeiten. Zur Erfüllung dieses Zwecks werden die Beschäftigten einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Arbeitnehmer eingesetzt. Dass dabei die Unterbrechung der Beschäftigung durch teilweise mehrwöchige Praktika in anderen Betrieben erfolgte, hebt die Eingliederung nicht insgesamt auf. Für ABM-Beschäftigte gilt nichts anderes wie für andere Arbeitnehmer, die ebenfalls zeitweilig an externen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen.

Fazit:

Die in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Beschäftigten sind wahlberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1, § 7 Satz 1 BetrVG. Diese wahlberechtigten Arbeitnehmer sind zugleich Arbeitnehmer im Sinne des § 9 BetrVG. Sie zählen bei der Berechnung der so genannten Schwellenwerte mit. Die eingeschränkte Rechtsprechung des BAG zum Wahlrecht von Auszubildenden kann auf Beschäftigte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht übertragen werden.

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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