26.07.2005 -

In Betrieben ohne Betriebsrat wird ein Wahlvorstand regelmäßig in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Zu dieser Betriebsversammlung können drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen. Wird auf der Betriebsversammlung allerdings kein Wahlvorstand gewählt, kann auf Antrag einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft auch das Arbeitsgericht einen Wahlvorstand bestellen. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft für den Betrieb oder das Unternehmen des Arbeitgebers für einen solchen Antrag nicht erforderlich ist (BAG, Beschl. v. 10.11.2004 – 7 ABR 19/04 -, NZA 2005, 426 = DB 2005, 1011 = AP Nr. 7 zu § 17 BetrVG 1972). Die Entscheidung hat Praxisrelevanz, so dass wir die wesentlichen Grundsätze kurz zusammenfassen möchten.

I. Gewerkschaft im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes

Die Antragsbefugnis zur Bestellung eines Wahlvorstandes beim Arbeitsgericht nach § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist davon abhängig, dass die Gewerkschaft im Betrieb vertreten ist. Vertreten sein bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch anwesend, vorhanden sein. Das Vertreten sein im Betrieb setzt daher eine personelle Präsenz der Gewerkschaft durch mindestens ein eigenes Mitglied im Betrieb voraus. Das BAG entnimmt dem Gesetzeswortlaut, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gewerkschaft zusätzliche Voraussetzungen erfüllen muss, um einen Antrag nach § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG stellen zu können.

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rechte einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft

Der Gesetzgeber hat einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft nicht nur die Antragsbefugnis zur Bestellung eines Wahlvorstands eingeräumt, sondern ihr eine ganze Reihe weiterer betriebsverfassungsrechtlicher Rechte zugebilligt, z.B.

–     das Recht, bei einer Betriebsratswahl Wahlvorschläge zu machen (§ 14 Abs. 3 BetrVG),

–     in betriebsratslosen Betrieben zu einer Wahlversammlung zwecks Wahl eines Wahlvorstandes einzuladen (§ 17 Abs. 3 BetrVG),

–     den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats zu beantragen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG),

–     im Falle der groben Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten durch den Arbeitgeber von diesem Unterlassung zu verlangen (§ 23 Abs. 3 BetrVG),

–     an Betriebsratssitzungen und Betriebs- und Abteilungsversammlungen teilzunehmen (§§ 31, 46 BetrVG).

Zu all diesen Aufgaben hat der Arbeitgeber den Beauftragten der Gewerkschaften nach § 2 Abs. 2 BetrVG Zutritt zum Betrieb zu gewähren. Die genannten Vorschriften sollen es den Gewerkschaften ermöglichen, ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder auf betrieblicher Ebene wahrzunehmen und ihre Mitglieder und die von ihnen gewählten Betriebsräte bei der Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechte zu unterstützen.

Für diesen Zweck ist jedoch die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft nicht erforderlich. Darunter versteht man die Fähigkeit, Tarifverträge mit einem bestimmten Geltungsbereich abzuschließen. Die den Gewerkschaften durch das Betriebsverfassungsgesetz zugewiesenen Rechte dienen nach Auffassung des BAG nicht dem Abschluss von Tarifverträgen. Es ist daher vom Zweck der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen nicht geboten, als im Betrieb vertretene Gewerkschaft nur solche anzusehen, die für den Betrieb tarifzuständig sind.

Fazit:

Eine Gewerkschaft ist bereits dann im Betrieb vertreten, wenn sie durch mindestens ein Mitglied im Betrieb repräsentiert ist. Ist dies der Fall, können alle betriebsverfassungsrechtlichen Rechte, die einer Gewerkschaft zugewiesen werden, wahrgenommen werden. Diese Rechte dienen nicht dem Abschluss von Tarifverträgen, so dass es auf die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft für den Betrieb oder das Unternehmen nicht ankommt.

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei für Arbeits­recht
    (FOCUS SPEZIAL 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen