14.08.2005

Seit einiger Zeit beschäftigen die Gaspreiserhöhungen der Versorgungsunternehmen die Öffentlichkeit und vor allem auch Verbraucherorganisationen. Letztere rufen Verbraucher dazu auf, die Erhöhungen mit der Begründung nicht zu zahlen, die Preise des jeweiligen Versorgers wären unbillig.

Im folgenden soll aufgezeigt werden, welche rechtlichen Fragen damit in Zusammenhang stehen und welche Risiken Verbraucher mit der Zahlungsverweigerung eingehen.

I. Die gerichtliche Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB

Gemäß § 315 BGB sind einseitige Leistungsbestimmungsrechte der sogen. „Billigkeitskontrolle“ unterworfen. Entspricht die getroffene Bestimmung nicht der Billigkeit, so ist sie für den anderen Teil nicht verbindlich.

Fraglich ist also zunächst, ob diese Regelung auf Versorgungsverhältnisse überhaupt anwendbar ist.

Für den Bereich der Tarifkunden wird eine Billigkeitskontrolle nach §§ 315ff. BGB in der Fachliteratur weitgehend abgelehnt, weil die spezialgesetzlichen Regelungen der Allgemeinen Versorgungsbedingungen (AVB), der – mittlerweile außer Kraft getreten – Bundestarifordnung (BTO) Gas, des EnWG und des GWB einen Missbrauch des Bestimmungsrechts hinreichend ausschließen (vgl. Ludwig/Odenthal/Hempel/Franke, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Bd. 1, III § 4 Rz. 4 m.w.N.).

Die Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB ist außerdem schon durch § 19 Abs. 4 GWB ausgeschlossen (vgl. Landgericht Köln, RdE 2004, 306), weil die Vorschriften des kartellrechtlichen Missbrauchs- und Diskriminierungsverbots eine hinreichende Kontrolle des Machtungleichgewichts zwischen den Vertragspartner erlauben.

Für die Rechtspraxis maßgeblich ist allerdings die Auffassung der Rechtsprechung, die spätestens seit der Entscheidung des BGH vom 10.10.1991 (BGH NJW 1992, 171) davon ausgeht, dass Tarife für Leistungen der Daseinsvorsorge, auf deren Inanspruchnahme der Vertragspartner angewiesen ist, grundsätzlich der Kontrolle nach §§ 315ff. BGB unterworfen sind. Hierzu zählt auch die Versorgung mit Gas. Dies gilt sowohl für Sonderabnehmer als auch für Tarifkunden (BGH NJW 1987, 1828), nicht aber für Individualvereinbarungen (BGH NJW-RR 1990, 1204).

II. Das Recht des Kunden zur Zahlungsverweigerung – § 30 AVB

Geht man mit dem BGH davon aus, dass grundsätzlich auch die Gaspreise der Billigkeitskontrolle unterliegen, stellt sich die Frage, ob der Kunde bei behaupteter Unbilligkeit Zahlungen ohne weiteres verweigern kann.

§ 30 der „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit Gas“ (AVBGasV) lautet:

§ 30 Zahlungsverweigerung

Einwände gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen berechtigen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur,

1. soweit sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen, und

2. wenn der Zahlungsaufschub oder die Zahlungsverweigerung innerhalb von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Rechnung oder Abschlagsberechnung geltend gemacht wird.

Verbraucherorganisationen vertreten unter Verweis aufein Urteil des BGH vom 30. April 2001 – VIII ZR 379/02 – die Auffassung, dass diese Vorschrift nicht anzuwenden ist, wenn der Kunde die Unbilligkeit der Preisbestimmung geltend macht.

Betrachtet man Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift, ist diese Rechtsauffassung allerdings nicht haltbar. Denn es gibt gute Gründe, § 30 AVB auch auf den Einwand der Unbilligkeit anzuwenden:

1.         Gem. § 10Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sind Versorgungsunternehmen verpflichtet, jedermann an ihr Versorgungsnetz anzuschließen, wenn dies nicht wirtschaftlich unzumutbar ist. Damit einher geht die Pflicht des Versorgungsunternehmens, mit der Lieferung von Gas, Strom, Wasser oder Fernwärme in Vorleistung zu gehen.

Diese Vorleistungspflicht korrespondiert mit einem nachvollziehbaren Interesse der Versorgungsunternehmen, aber auch der Allgemeinheit, dass Versorgungsunternehmen nicht unvertretbare Verzögerungen bei der Realisierung ihrer Forderungen hinnehmen müssen, indem Kunden gegen das Entgelt für erbrachte Leistungen Einwände erheben, die sich nachträglich als unbegründet erweisen.

Dieses Interesse der Versorgungswirtschaft hat der Gesetzgeber in § 30 AVB anerkannt, indem er dort geregelt hat, dass der Kunde nur in ganz bestimmten, eng umrissenen Ausnahmefällen ein Recht zur Zahlungsverweigerung haben soll. Auch der BGH erkennt das Interesse der Versorgungswirtschaft an einer zügigen Realisierung ihrer Forderungen grundsätzlich an (vgl. BGH NJW 1983, 1777).

2.         Geht man vom Wortlaut des § 30 AVBGasV aus, wonach nur „offensichtliche“ Fehler zur Zahlungsverweigerung berechtigen, und betrachtet man die hierzu ergangene Rechtsprechung, dass

–           Offensichtlichkeit nur vorliegt, wenn ein Fehler „ins Auge fällt“, d. h. bei objektiver Betrachtung der Rechnung sich ohne nähere Überprüfung aufdrängt und keinen vernünftigen Zweifel an der Fehlerhaftigkeit lässt (OLG Hamm, Urt. v. 8. Februar 1991, NJW-RR 1991, 1209),

–           Offensichtlichkeit dann nicht vorliegt, wenn vertiefte rechtliche Überlegungen über die Berechtigung der Forderung oder tatsächliche Feststellungen (z.B. ein Sachverständigengutachten zur Zählerprüfung) zu dem vom Kunden behaupteten Fehler angestellt werden müssen (OLG Köln, Urt. v. 5. Juli 1988),

so zeigt sich, dass der pauschale Einwand der Unbilligkeit den Anforderungen an die Offensichtlichkeit eines Fehlers im Sinne des § 30 AVB nicht entspricht.

Die Rechtsauffassung des BGH führt auch zu merkwürdigen Ergebnissen: Denn es ist nicht nachzuvollziehen, warum einerseits dem Kunden kein Recht zur Zahlungsverweigerung zustehen soll, wenn er sich auf unrichtige Angaben zur Verbrauchsermittlung beruft und hierzu sogar konkrete Anhaltspunkte vorträgt, andererseits aber der bloß pauschale Einwand der Unbilligkeit der Preisgestaltung genügen soll, ein Recht zur Zahlungsverweigerung zu begründen. Damit wird dem Kunden eine Möglichkeit zum Zahlungsaufschub gegeben, die er nach dem Willen des Verordnungsgebers gerade nicht haben soll.

Bejaht man entgegen der Auffassung des BGH die Anwendung von § 30 AVB auch auf den Einwand der Unbilligkeit nach § 315 BGB, so belastet dies den  Kunden auch nicht unverhältnismäßig: Der Kunde muss zwar zunächst die Forderung begleichen. Ihm wird dadurch aber nicht das Recht abgeschnitten, im Nachhinein seiner Ansicht nach überzahlte Beträge zurückzufordern.

Die Rechtsordnung nimmt auch in anderen Bereichen in Kauf, dass jemand seine Zahlungsverpflichtung zunächst erfüllt und dann zwecks Rückforderung auf den Rechtsweg verwiesen wird: So hat z.B. der Widerspruch gegen einen Gebührenbescheid nach § 80 Abs. 2 Nr. 1Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) keine aufschiebende Wirkung, die Gebühren müssen vielmehr ungeachtet des Widerspruchs entrichtet werden, um der erhebenden Stelle einen dauerhaften Einnahmestrom zu sichern.

3.         Die Rechtsprechung des BGH ist in der Rechtsprechung der Untergerichte auf erhebliche Kritik gestoßen. So haben sich das Landgericht und das Kammergericht Berlin in mehreren Urteilen (Kammergericht, Urt. v. 24. März 2004 –26 U 142/03 -, LG Berlin, Urt. v. 22. April 2004 – 9 O 3 08/03 – und Urt. v. 25. Mai 2004 – 9 O 253/03 -) eingehend mit der Rechtsprechung des BGH auseinander gesetzt und die Anwendbarkeit von § 30 AVB auch für den Fall bejaht, dass der Kunde die Unbilligkeit der Preise rügt.

Auch andere Gerichte haben die Auffassung mittlerweile bestätigt, dass auch bei der Behauptung der Unbilligkeit der Preise kein Zurückbehaltungsrecht nach § 30 AVB besteht:

So hat das Amtsgericht Diez mit Urteil vom 5. Januar 2005 – 8 C 250/03 – ausgeführt, dass der Billigkeitseinwand jedenfalls bei der Anforderung von Abschlagszahlungen nicht greift, weil das Versorgungsunternehmen diese nicht nach bestimmten Preisen oder Tarifen berechnet, sondern für die nach der letzten Abrechnung verbrauchte Energie verlangen kann.

Das Amtsgericht Koblenz hat durch Urteil vom 2. Juni 2005 – 141 C 403/05 – erkannt, dass eine Tariferhöhung jedenfalls dann nicht als unbillig angesehen werden kann, wenn keine kartellrechtlichen Bedenken gegen die Preishöhe des Unternehmens bestehen und die Preise im Vergleich zu anderen Gasversorgungsunternehmen im näheren Umfeld vergleichbar sind.

III. Ergebnis

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von den Untergerichten nicht durchgehend geteilt wird.Es gibt diverse Entscheidungen und gute Gründe, der Rechtsprechung des BGH nicht zu folgen. Ob der BGH seine Rechtsprechung angesichts der gut begründeten Entscheidungen des LG und KG Berlin aufrecht erhält, ist ebenfalls offen.

Berücksichtigt man, dass im Rahmen üblicher Versorgungsverhältnisse zwischen Versorgungsunternehmen und Endkunden der Streitwert zumeist nicht die Grenze erreichen dürfte, die den Rechtsweg bis zum BGH eröffnet, kommt es vor allem auf die regionale Rechtsprechung an, ob Kunden ein Recht zur Zahlungsverweigerung zugebilligt wird oder nicht.

Bedenkt man außerdem, dass ein Prozess mit dem Versorger für Verbraucher auch erhebliche Risiken birgt, kann man Verbrauchern nicht empfehlen, ihre Gasrechnungen – teilweise – nicht zu zahlen. Ein Beispiel: Bei einer Gasrechnung von 2.500 EUR pro Jahr und einer streitigen Erhöhung der Tarife um 15% liegt der Streitwert für einen Prozess bei ca. 375,00 €. Verliert der Verbraucher den Prozess, betragen die von ihm zu tragenden Prozess- und Gerichtskosten allein in der 1. Instanz 412,40 € – also mehr, als im Streit steht! Eventuelle Kosten für ein Sachverständigengutachten (ca. weitere 500-1.000 €) sind darin noch nicht enthalten.

IV. Empfehlung für die Praxis

Verbrauchern kann nur empfohlen werden, die Rechnungen des Versorgungsunternehmens zunächst in voller Höhe zu begleichen und es nicht auf einen Streit ankommen zu lassen. Sollte sich dann später – aufgrund kartellrechtlicher Verfahren oder eines Musterprozesses – herausstellen, dass die Tarife des Versorgers unbillig sind, kann der zuviel gezahlte Betrag innerhalb dafür geltender Fristen immer noch zurückgefordert werden.

Verfasser: RA Alexander Knauss

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