09.02.2022 -


Besteht ein Anspruch auf eine Homeofficetätigkeit? (credit:adobestock)

Die Tätigkeit im Homeoffice hat sich in der betrieblichen Praxis in den vergangenen Monaten durchgesetzt. Viele Arbeitgeber bieten Tätigkeiten im Homeoffice nun auch dauerhaft an. Ein Anspruch auf eine solche Homeofficetätigkeit besteht aber weiter nicht. Alle gesetzgeberischen Vorgaben zu diesem Anspruch wurden bislang nicht umgesetzt. Das LAG Berlin-Brandenburg hat nun klargestellt, dass die Tätigkeit im Homeoffice auch nicht als milderes Mittel gegenüber einer Änderungskündigung von Arbeitnehmern beansprucht werden kann (LAG Berlin-Brandenburg v. 24.3.2021, 4 Sa 1243/20). Das LAG hat die noch gegenteilige Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin aufgehoben und damit für Rechtssicherheit gesorgt.

Der Fall (verkürzt):

Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Arbeitgeber bereits seit 1992 in der Berliner Niederlassung als Vertriebsassistentin beschäftigt. Der Arbeitgeber hat seinen Hauptsitz in Wuppertal.

Die Klägerin arbeitete stets als Verwaltungsassistentin von der Niederlassung in Berlin aus. Der Arbeitgeber vereinbarte mit dem Betriebsrat der Niederlassung Berlin einen Interessenausgleich. Dieser enthielt auszugsweise folgende Regelungen:

„Betriebsänderung

Die G. wird den Betrieb der Niederlassung (… Straße 194-199, D-10117 Berlin) zum 31. Dezember 2019 vollständig stilllegen.

Maßnahmen zur Umsetzung

Die Position der Betriebsassistenten einschließlich der Position des Teamleiters der Vertriebsassistenten sowie die Position der Mitarbeiter für den Verwaltungs- und Schreibdienst entfallen.

Die Funktion der bisherigen Vertriebsassistenz wird zukünftig in der Zentrale Wuppertal aufgebaut.“

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin der Arbeitnehmerin und bot ihr gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit Arbeitsort in Wuppertal an (Änderungskündigung). Die Klägerin lehnte die Änderung der Arbeitsbedingungen ab und nahm die Kündigung auch nicht unter Vorbehalt an.

Gegen die Kündigung hat sie Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat vorgetragen, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Der Arbeitgeber habe außer Acht gelassen, dass sie ihre Arbeit auch von zu Hause erbringen könne. Die Weiterbeschäftigung im Homeoffice stelle ein milderes Mittel zur Änderungskündigung dar. Insbesondere seien ihre Tätigkeiten problemlos im Homeoffice auszuüben. Ihre Arbeit sei bereits vollständig digitalisiert, so dass sie von zu Hause arbeiten könne und eine Anwesenheit im Betrieb nicht notwendig sei.

Der Arbeitgeber hatte hingegen klargestellt, dass eine Tätigkeit im Homeoffice nicht möglich sei, da entsprechend der unternehmerischen Entscheidung allen Mitarbeitern, die nicht im Außendienst tätig seien, keine Möglichkeit eröffnet worden sei, im Homeoffice zu arbeiten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Änderungskündigung sei nicht verhältnismäßig gewesen, weil die Möglichkeit bestanden habe, die Klägerin im Homeoffice zu beschäftigen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

I. Unternehmerische Entscheidung zu beachten!

Maßstab für die Überprüfung der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Änderungskündigung ist, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist und der Arbeitgeber sich bei Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die den Arbeitnehmer am wenigsten beeinträchtigen und die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss.

Die Entscheidung des Arbeitgebers die Vertriebstätigkeiten in der Zentrale in Wuppertal zusammenzufassen und die Niederlassungen zu schließen, stellt nach den Maßstäben des § 1 KSchG eine unternehmerische Entscheidung dar, die die Arbeitsgerichte nicht auf ihre Nachvollziehbarkeit oder Zweckmäßigkeit überprüfen können. Aufgrund dieser unternehmerischen Entscheidung ist der Beschäftigungsbedarf der Klägerin am bisherigen Arbeitsort entfallen.

Hinweis für die Praxis:

Von den Arbeitsgerichten hingegen voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis zu den bisherigen Bedingungen für einzelne Arbeitnehmer tatsächlich entfallen ist. Für beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidungen spricht die Vermutung dafür, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt sind. Rechtsmissbrauch ist dann also die Ausnahme. Im Kündigungsschutzprozess hat daher der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und im Streitfall zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene innerbetriebliche Strukturmaßnahme offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben.

II. Milderes Mittel Homeoffice?

Das Änderungsangebot, die Fortsetzung der Tätigkeit in Wuppertal, hat auch die Grenzen der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist nur als sozial gerechtfertigt anzusehen, wenn die betrieblichen Erfordernisse so dringend sind, dass die Maßnahme unter Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der erstrebten Änderung und des Interesses des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung der bisherigen Arbeitsbedingungen als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist u.a. festzustellen, ob der Arbeitgeber sich darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss.

Hier hatte der Arbeitgeber unter Berücksichtigung seiner unternehmerischen Entscheidung nur die Möglichkeit, der Klägerin eine Beschäftigung in Wuppertal anzubieten. Eine Beschäftigung im Homeoffice war kein milderes Mittel. Die Arbeitsgerichte können sich über die unternehmerische Entscheidung, alle Arbeitsplätze in Wuppertal zusammenzuziehen, nicht mit Alternativen hinwegsetzen. Daher kommt es auf die Einschätzung der Gerichte, ob die Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes als mildere Maßnahme anzusehen ist, nicht an. Maßgeblich ist allein der Inhalt der unternehmerischen Maßnahme, die von den Arbeitsgerichten nur auf Willkür und unsachliche Erwägungen geprüft werden können. Dafür lagen hier aber, wie ausgeführt, keine Anhaltspunkte vor.

Fazit:

Ein Anspruch auf Homeoffice besteht nicht. Ein Homeoffice-Arbeitsplatz kann auch die unternehmerische Entscheidung eines Arbeitgebers nicht abändern. Vielmehr entscheidet der Arbeitgeber, wie er seinen Betrieb organisieren und strukturieren möchte. Gehört dazu eine Tätigkeit an einem bestimmten Standort können die Arbeitsgerichte keine alternativen unternehmerischen Entscheidungen kreieren und sich über die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers hinwegsetzen. Die noch gegenteilige Rechtsprechung der I. Instanz, des Arbeitsgerichts Berlin, steht mit den Grundsätzen des Kündigungsschutzgesetzes nicht in Einklang. Der Entscheidung des LAG und der damit verbundenen Klarstellung der fehlerhaften Rechtsprechung der I. Instanz ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Lorbeerkranz

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  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
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